Süddeutsche Zeitung Magazin hat einen Artikel über „die Probleme der Blogger“, Zehn Thesen, warum deutsche Blogs nicht funktionieren, veröffentlicht. (M)Eine Stellungnahme dazu:
1. Das Internet ist eine große Gleichheitsmaschine, was dazu führt, dass selbst junge und sogar anonyme Blogger berühmt und wichtig werden können.
Wir Deutschen sind auf Status und Hierarchie fixiert? Das mag für Digital Immigrants gelten, aber wohl kaum für Digital Natives. Sogar Obama hat „Change has come“ ausgerufen, was werden erst die „Jungen Wilden“ sagen, wenn sie mal das Sagen haben?
2. In Deutschland zählt Qualifikation mehr als alles andere.
Wirklich? Wieso wettern dann so viele Journalisten gegen Blogger und bezeichnen sie – wenn überhaupt – oftmals abwertend als „Leserreporter“ und „Bürgerjournalisten“? Sicher nicht, weil die Qualifikation fürs Bloggen in Deutschland besonders hoch sein muss. (Es gibt genügend Gegenbeispiele, die ich sicher nicht nennen muss – die Blogosphäre ist beileibe kein Niggemeier!)
3. In Amerika ist es den meisten Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft wichtig, was die Blogosphäre sagt
Zunächst einmal verstehe ich nicht, wieso das eine These dafür sein soll, dass Blogs in Deutschland nicht funktionieren? Vielleicht darf man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen und sollte bedenken, dass Blogs in allen Ländern anders funktionieren? Wenn man aber jemanden die Schuld geben sollte, dann den etablierten Medien: Entweder schweigen sie die Blogosphäre, die so unbedeutend gar nicht ist, einfach tot oder schreiben meist negativ darüber. Das muss, das wird sich ändern. (Dass die großen Nachrichtenseiten nun auch fast alle selbst bloggen, zeigt zwar, dass der (Sinnes)Wandel langsam aber sicher kommt. Aber die meisten Blogs der großen Zeitungen, Zeitschriften oder Fernsehsender sind nach wie vor sehr distanziert gegenüber anderen Blogs. Einige Handelsblatt–Weblogs bilden mit ihren Blogrolls aber eine schöne Ausnahme, bravo!)
4. Um ein guter Blogger zu sein, muss man ganz andere Dinge können als ein großer Ökonom oder Banker.
Ich glaube kaum, dass die meistgelesenen Blogs im Web die der Ökonomen und Banker sind. Auch wir in Deutschland lesen gerne ehrliche, echte und authentische Blogs. Die zahlreichen Ranglisten spiegeln das sehr gut wider.
5. Ein Blogger muss sich irren, wenigstens manchmal.
Ohh, das tun wir. Glaub(t) mir. Viel zu oft. (Vielleicht sollten wir anfangen, uns weniger zu irren und vorher mehr darüber nachzudenken, was wir da eigentlich im Begriff sind, im Internet zu veröffentlichen?!) Aber es stimmt schon: Prinzipiell ist die Angst, etwas Falsches zu schreiben, sehr groß. Das rührt nicht von ungefähr: Als sehr direktes Land bekannt, sagen wir offen unsere Meinung. Im Schutz des vermeintlich anonymen Internets schießen einige dabei oftmals übers Ziel hinaus und vergreifen sich im Ton, pardon, Tasten.
6. Die Deutschen sind methodisch und systematisch
Auch das wage ich zu bezweifeln. Stürzen sich die meisten Blogger nicht auf die neusten Gerüchte, Nachrichten, Videos und Fotos, nehmen sie auseinander und kritisieren sie – teils wild, teils blind -, ohne vorher einmal gründlich darüber nachgedacht zu haben und die andere Seite zu befragen? Wenn das eine Methode sein soll, weiß ich auch nicht weiter.
7. Blogger sind die natürlichen Außenseiter
Drehen wir den Spieß doch mal rum Ergänzen wir den Satz doch einmal: Blogger in Deutschland sind die natürlichen Außenseiter der Medien. Stimmt nicht? Ich lasse mich gerne via Kommentar eines Besseren belehren! (Aber hey, das war doch mal alles andere als methodisch, ökonomisch und qualifiziert – oder irre ich mich?)
8. In Amerika sind es, gerade im Wirtschaftsbereich, vor allem Professoren, die bloggen
Ich dachte in Deutschland sei man auf Status und Hierarchie fixiert und Qualifikation zähle mehr als alles andere? Und gerade das sei so falsch? Dann verstehe ich diese These erst recht nicht – ein krasser Widerspruch! Einspruch?
9. Die Deutschen werden nicht arbeiten, wenn sie kein Geld dafür bekommen
Puuh, dann wäre mein Blog schon längst wieder offline. Nicht jeder heißt Robert Basic, und selbst der hat für sein jahrelanges Bloggen eine nicht annähernd faire Bezahlung bekommen. Ich glaube, ich spreche in diesem Falle für 99,9 Prozent aller Blogger in Deutschland: Bloggen ist kein lukratives Geschäft – aber darum geht es uns auch gar nicht. Wir bloggen nicht – an dieser Stelle spreche ich sicher nicht nur für mich – des Geldes wegen. (Aber natürlich ist es alles andere als dumm, wenn man mit seiner Arbeit ein paar Euro dazu verdient. Wirklich lohnen tut sich das jedoch bei den allerwenigsten.)
10. Die Deutschen nehmen ihre Ferien extrem ernst. Der Blogger kennt keine Ferien.
Und deswegen sollen Blogs in Deutschland nicht funktionieren? Zeitversetztes Veröffentlichen von Blogartikeln sind nun wirklich keine Seltenheit mehr: Einfach ein paar Blogeinträge im Voraus schreiben, die dann im Laufe der Woche automatisch auf dem Blog erscheinen. Die Alternative, seinen Urlaub vorher anzukündigen, wird meistens auch freundlich zur Kenntnis genommen.
Wie dem auch sei: Ich finde es sehr gut und wichtig, wenn wir unsere Ferien ernst nehmen. Abschalten, ausschalten, runterfahren: Diese Erholung brauchen wir, gerade in Deutschland, dringender denn je. Wohl dem, der noch abschalten kann! (Ich habe aber auch schon gehört, dass manche Leute erst in den Ferien aufs Bloggen gekommen sind und äußerst erfolgreiche Projekte gestartet haben…)
noch ein Markus meint
zu 2:
vielleicht liegts daran dass die Journalisten selbst keine oder nur eine schlechte Ausbildung haben und so eigentlich nicht besser sind wie viele blogger?
Hofnarr Christopher meint
Ich finde die Thesen der SZ sind sehr stark auf (angebliche) Mentalitäts-Unterschiede zwischen den USA und Deutschland fixiert. Vielleicht liegt es ja einfach daran, dass die USA im Internet immer ein paar Jahre voraus waren und zudem „ein paar“ mehr Einwohner haben…
Lebenssonde meint
Ich sehe das größte Problem bei der Meinungsfreiheit, die bei uns hier nicht wirklich existiert. Sobald ich anfange, ernste Worte über eine Firma/Produkt/Institution/politische Person zu reden, so wird mit aller Macht versucht mir den Mund zu stopfen. Durch Anwälte, Klagen usw. Ich hab jetzt nicht mehr im Kopf, aber es gab ein guter Beispiel über einen politischen Blogger, der Mundtot gemacht worden ist, weil er offen geschrieben hatte. Und das passiert sehr vielen. Es vergeht sicher jedem die Lust am Bloggen, wenn es tausend Abmahnung in den Briefkasten geworfen wird. So etwas kennt Amerika nicht.
Es sind einfach so viele wirklich idiotische Verfahren gegeben. Und nicht nur in Blogs.
Es gibt bei uns im Land schlicht und Ergreifend nicht so etwas wie eigene Meinung. Und wenn es welche gibt, so gibt es keinen, der sie sich anhört. So einfach ist das.
JUICEDaniel meint
@ noch ein Markus: Gar kein so dummer Gedanke. Nur würde das nie einer der Journalisten zugeben und somit würdest du so einen Gedanken wohl auch nie in der Zeitung lesen (auch eine Art von Meinungszensur?). [Ich will das jetzt einfach mal so stehen lassen, man muss nicht immer alles kommentieren und kritisieren]
@ Hofnarr Christopher: Sicher, das dachte ich mir auch. Das Bloggen kam aus den USA, von daher haben sie dort starke Vorteile/einen Vorsprung. Gute(!) Autos kommen aus Deutschland, von daher sind wir den Amis in diesem Bereich haushoch überlegen (vor allem, was den Spritverbrauch anbelangt). American Football kommt – vermute ich jetzt mal – aus den USA, wo sie auch ungeschlagen gut darin sind. Football hingegen aus Europa, wo wir Europäer auch super darin sind.
Von daher sträube ich mich auch dagegen, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Erfindungen von anderen werden immer zuerst mit etwas Skepsis aufgenommen. Nichtsdestotrotz gibt es trotzdem nicht von der Hand zu weisende kulturelle Unterschiede, sodass wir Deutschen, die ja sehr direkt sind und viel zu viele Gesetze haben, anders Bloggen bzw. mit Blogs umgehen als die Amis. Härter, Direkter, Kritischer, aber auch strafbarer und deswegen letztlich vorsichtiger.
@ Lebenssonde: Ja, die vielen Gesetze und Bürokratie können schon sehr einschüchternd sein. Wobei ich nicht sagen würde, dass wir keine eigene Meinung haben. Ich jedenfalls habe die sehr wohl. Aber manchmal sollte man sie mit Bedacht äußern oder bei heiklen Themen sich zweimal überlegen, ob man sie schreiben will. Bei politischen Blogs mag das in der Tat ein Problem sein, bei JUICEDblog hingegen weniger. ;)
Hofnarr Christopher meint
Also gerade das Rechtsmittel liebende Amerika, das immer wieder mit unglaublichen Klagen und Urteilen auf sich aufmerksam macht, als Land darzustellen, das gegenüber Deutschland so viel mehr Meinungsfreiheit bietet, halte ich für etwas weit hergeholt. Da klaffen meiner Ansicht nach das alte Image der USA und die Realität weit auseinander.
JUICEDaniel meint
Deine Antwort war auf Lebenssonde bezogen, oder? Was ich jedoch spontan denke:
Mag sein, dass du Recht hast. Nur sind das immer die Extrem-Beispiele, die wir hier in Deutschland hören und mitbekommen. Fakt ist: In keinem anderen Land der Welt gibt es so viel Bürokratie wie in Deutschland. Allein die Steuergesetze sind umfangreicher als die vom Rest der Welt zusammen, habe ich mal gehört. Und das sagt ja schon einiges!
Wie sich das jetzt auf die Meinungsfreiheit auswirkt, weiß ich aber leider auch nicht genau. Vermutlich ist die Grenze sehr schwammig und in manchen Teilen hier „besser“ und in manchen Teilen dort.
Blog Drauf meint
Also was da an Argumente und Feststellungen in der SZ stand ist zum größtenteils Schwachsinn oder kein schlagendes Argument warum deutsche Blogs nicht funktionieren.
Wahrscheinlich hat der Autor nicht wirklich die deutsche und amerikanische Blogszene genauestens und über einen längeren Zeitraum verfolgt.
1. der einzig große Unterschied ist die Anzahl der möglichen Leser. Na klar ist ein Amerikanischer Blog weitaus erfolgreicher als ein Deutscher, die Leserschaft übersteigt das 10-fache. Da nicht nur Amerikaner Englisch lesen können.
2. Die Hälfte der erfolgreichen Blogs stammen gar nicht aus USA, sondern aus Deutschland (z.B. smashingmagazine.com) ,Indien, Australien, UK, Südafrika oder sonst woher. Viele wissen noch nicht mal woher die Seite wirklich stammt.
Na ja, wie auch immer, es gibt viele Argumente, die gegen die Punkte der SZ dagegen sprechen. Aber auf alle Fälle sollte man wissen, das Internet bringt auch ein neues Zeitalter mit sich. Mit anderen Gepflogenheiten und Tugenden. Auch für die Deutschen. Positiv wie auch Negativ. Das kann man nicht mit dem typischen Deutschen vergleichen.
JUICEDaniel meint
Dein erster Grund ist wirklich super – daran habe ich noch gar nicht gedacht. (Wobei es nicht alleine daran liegen dürfte, aber sicher mit daran!)
Zum zweiten Grund: Wenn aber Seiten wie smashingmagazine.com aus Deutschland kommen: Mit .com und englischer Sprache würde ich die dann auch nicht gerade als deutsche Blogs ansehen, weil sie ja eine andere Zielgruppe haben/auf einem anderen (nämlich: globalen) Markt operieren. Nur weil es vielleicht Menschen AUS Deutschland sind oder Deutsche, muss man das ja nicht gleich zur DEUTSCHEN Blogosphäre hinzuzählen (Trotzdem gut zu wissen, smashingmagazine.com kannte ich noch gar nicht – danke!)
Blog Drauf meint
@JUICEDaniel, oh wow, du kanntest smashingmagazine.com noch nicht? Das sind die Macher von Dr. Web und ist das erfolgreichste Online Design Magazin weltweit.
Wie auch immer, mit Punkt 2 hast du schon Recht, es ist ja nicht auf das deutsche sondern globale Publikum ausgerichtet.
JUICEDaniel meint
Dr. Web kenne ich dafür schon. Immerhin, was?! ;) (Ist doch schön, auf diese Weise dazu zu lernen… :) )
Martin Metzmacher meint
Daniel!
Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Guter Post!
Ich möchte eigentlich noch hinzufügen, dass auch Business Blogs eine immer größere Rolle spielen. Ich denke das problem der Nicht-Blogger wird sich über kurz oder lang selber lösen – nämlich wenn Sie merken, dass keine mehr zuhört.
Ach ja…und komisch auch, dass die SZ selber blogt…http://sz-magazin.sueddeutsche.de/blogs/