Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am vergangenen Mittwoch ihre Regierungserklärung abgegeben. Wer sich die Rede nicht anschauen mag, kann sich das Protokoll auch auf der offiziellen Webseite der Bundesregierung durchlesen. In ihrer Rede ist ein Abschnitt über die USA, Obama und die NSA enthalten, der Applaus verdient hat – so sie denn ihren Worten auch Taten folgen lässt.
Im Folgenden möchte ich den Abschnitt an manchen Stellen kommentieren und wichtige Passagen hervorheben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir spüren immer mehr, welch tiefgreifendem Wandel unsere Gesellschaft durch die Digitalisierung ausgesetzt ist. Bildung, Ausbildung, der Arbeitsalltag, die industrielle Produktion verändern sich. Informationen aus der ganzen Welt sind in Sekunden verfügbar. Die Kommunikation der Menschen ist schier grenzenlos. Daten über jeden Einzelnen können in beliebigem Umfang gespeichert werden. Wir wollen, dass das Internet eine Verheißung bleibt; deshalb wollen wir es schützen.
Ja, wir wollen, dass es für die Menschen, so wie es heute viele erleben, eine Verheißung bleibt.
Was genau meint Angela Merkel mit Verheißung? Das erinnert mich spontan an das „Gelobte Land“, auch als „Land Kanaan“ oder eben das „Land der Verheißung“ bekannt. Aber das kann sie in Bezug auf das Internet nicht gemeint haben, oder?
Allerdings heißt das: Wir wollen es schützen vor Zerstörung von innen durch kriminellen Missbrauch und durch intransparente, allumfassende Kontrolle von außen.
Der bisherige rechtliche Rahmen für eine vernünftige Balance von Freiheit und Sicherheit – das ist offensichtlich geworden – reicht nicht mehr aus. Einen internationalen Rechtsrahmen gibt es noch nicht. Das heißt, wir betreten Neuland.
An dieser Stelle frage ich mich: Wie sieht eine vernünftige Balance von Freiheit und Sicherheit aus, Frau Merkel? Denn das ist doch eine der wichtigen Kernfragen in dieser Debatte. Wie viel Freiheit ist möglich und wie viel Sicherheit nötig?
Eines muss ich eingestehen: Je mehr wir durch Edwards Snowdens Enthüllungen über den NSA-Skandal erfahren, desto mehr hat Angela Merkel mit ihrer Bezeichnung „Neuland“ Recht. Leider.
Jeder Einzelne von uns ist davon betroffen.
Deshalb wird die Bundesregierung in diesem Jahr unter der gemeinsamen Federführung des Innen-, des Wirtschafts- und des Infrastrukturministeriums eine digitale Agenda erstellen und im Laufe der Legislaturperiode umsetzen. Wir arbeiten an einer europäischen Datenschutzgrundverordnung mit Hochdruck. Aber wir achten dabei sehr darauf, dass der deutsche Datenschutz durch die Vereinheitlichung des europäischen Datenschutzes nicht unverhältnismäßig geschwächt wird.
Das klingt zunächst irgendwie positiv, ist aber letztendlich sehr schwammig formuliert. Eine „digitale Agenda“ kann alles und nichts sein und ist noch lange kein Garant auf Erfolg. Ich kann mir jedenfalls nur sehr wenig darunter vorstellen. Immerhin: Das Bestreben einer europäischen Datenschutzverordnung halte ich für sinnvoll. Doch auch hier müssen wir zunächst einmal das Ergebnis dieser Verordnung abwarten – und ob sich anschließend die großen Firmen und Nationen auch daran halten und diese umsetzen. Bis dahin können Jahre vergehen.
Mit großer Wucht sind wir vor einem halben Jahr durch Informationen von Edward Snowden über die Arbeitsweise der amerikanischen Nachrichtendienste mit Fragen der Datensicherheit konfrontiert worden. Niemand, der politische Verantwortung trägt, kann ernsthaft bestreiten, dass die Arbeit der Nachrichtendienste für unsere Sicherheit, für den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger unverzichtbar ist. Niemand, der politische Verantwortung trägt, kann ernsthaft bestreiten, dass die Arbeit der Nachrichtendienste im Zeitalter asymmetrischer Bedrohung, für die der 11. September exemplarisch steht, noch wichtiger als ohnehin schon geworden ist. Gerade um diese Gefahren bannen zu können, ist nicht nur die Arbeit unserer eigenen Dienste von großer Bedeutung für uns, sondern ebenso die Zusammenarbeit mit Nachrichtendiensten unserer Verbündeten und Partner.
Das Problem ist doch bei dieser nicht bestreitbaren Aussage, dass durch den Spähskandal auf der einen Seite unschuldige Bürger überwacht und unter Generalverdacht gestellt werden und gleichzeitig Terroranschläge durch die Überwachung nicht verhindert werden konnten. Kurzum: Der Versuch, mehr Sicherheit durch mehr Überwachung im digitalen Raum zu gewährleisten, ist bislang fehlgeschlagen. Die Motivation, Verbrecher frühzeitig zu entlarven, ist gut. Aber die Umsetzung, deshalb Unschuldige zu überwachen, ist es nicht.
Es kann gar nicht oft genug betont werden, dass wir gerade unseren amerikanischen Partnern wertvolle Informationen verdanken. Umgekehrt leisten innerhalb dieser internationalen Kooperation auch unsere eigenen Dienste wertvolle Beiträge. Das Parlamentarische Kontrollgremium wird jeweils darüber unterrichtet. Aber niemand, der politische Verantwortung trägt, kann auch ernsthaft bestreiten, dass das, was wir seit einem halben Jahr über die Arbeit insbesondere der amerikanischen Nachrichtendienste zur Kenntnis nehmen müssen, ganz grundsätzliche Fragen aufwirft.
Völlig richtig, der NSA-Skandal wirft grundsätzliche Fragen auf. Schade, dass Merkel anschließend nur eine davon – nämlich die Abwägung von Freiheit vs. Sicherheit – aufgreift:
Es geht um die Frage der Verhältnismäßigkeit. Es geht darum, in welchem Verhältnis zur Gefahr die Mittel stehen, die wir dann wählen, um dieser Gefahr zu begegnen. Die Bundesregierung trägt Verantwortung für den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger vor Anschlägen und Kriminalität, und sie trägt Verantwortung für den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger vor Angriffen auf ihre Privatsphäre. Sie trägt Verantwortung für unsere Freiheit und Sicherheit. Seit jeher stehen Freiheit und Sicherheit in einem gewissen Konflikt zueinander. Sie müssen durch Recht und Gesetz immer wieder in der Balance gehalten werden.
Diesen Absatz halte ich für einen der stärksten von Merkels gesamter Regierungserklärung. Denn sie greift darin eine grundlegende Frage auf, nämlich die Frage nach der Rolle des Staates für unsere Gesellschaft. Dazu ein kurzer Exkurs:
In manchen Ländern sieht das Verständnis der Bevölkerung von ihrer Regierung anders aus: In Schweden beispielsweise erwarten die Menschen, dass die Regierung auch normativ wirkt, d.h. dass sie (auch in Gesetzen) festlegt, was für die Gesellschaft gut und erstrebenswert ist. Die Einwohner Schwedens finden dieses Vorgehen der Regierung gut und unterstützen sie dabei.
Welche Erwartung habt ihr an den Staat? (Selbstverständlich haben nicht alle deutschen Bürger die oben geschilderte Erwartung)
Wir kennen das in Deutschland ja zu gut aus unseren langen Diskussionen um Wohnraumüberwachung und Vorratsdatenspeicherung. Kann es also richtig sein, dass unsere engsten Partner wie die Vereinigten Staaten von Amerika oder Großbritannien sich Zugang zu allen denkbaren Daten mit der Begründung verschaffen, dies diene der eigenen Sicherheit und der Sicherheit der Partner? Wir hätten also auch etwas davon. Kann es richtig sein, dass man auch deshalb so handele, weil andere auf der Welt es genauso machten? Kann es richtig sein, wenn es zum Schluss gar nicht mehr allein um die Abwehr terroristischer Gefahren geht, sondern darum, sich auch gegenüber Verbündeten, zum Beispiel für Verhandlungen bei G-20-Gipfeln oder UN-Sitzungen, Vorteile zu verschaffen – Vorteile, die nach meiner jahrelangen Erfahrung sowieso völlig zu vernachlässigen sind?
Rhetorisch sehr gekonnt, Merkel verwendet da ein starkes Stilmittel und sagt dann etwas, das mich persönlich sehr freut:
Unsere Antwort kann nur lauten: Nein, das kann nicht richtig sein.
Amen dazu!
Denn es berührt den Kern dessen, was die Zusammenarbeit befreundeter und verbündeter Staaten ausmacht: Vertrauen. Vertrauen ist die Grundlage für Frieden und Freundschaft zwischen den Völkern. Vertrauen ist erst recht die Grundlage für die Zusammenarbeit verbündeter Staaten. Ein Vorgehen, bei dem der Zweck die Mittel heiligt, bei dem alles, was technisch machbar ist, auch gemacht wird, verletzt Vertrauen; es sät Misstrauen. Am Ende gibt es nicht mehr, sondern weniger Sicherheit.
Wieder so ein kluger Absatz, bei dem ich vor Freude in die Hände klatschen könnte – wenn ich nicht wüsste, dass zwischen Worten und Taten manchmal sehr große Differenzen sind. Immerhin freut es mich, dass sie bei ihrem deutlichen „Nein“ nicht stehenbleibt, sondern mit der scharfsinnigen Erkenntnis der Vertrauensgrundlage noch einen obendrauf setzt.
Darüber reden wir mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Ich bin überzeugt, dass Freunde und Verbündete in der Lage und willens sein müssen, Grundsätze ihrer Zusammenarbeit auch auf dem Gebiet der Abwehr von Bedrohungen zu vereinbaren, und zwar in ihrem jeweils eigenen Interesse.
Ich kann mir wirklich nur schwer vorstellen, was Obama der Aussage entgegnen möchte. Derzeit wäre das wohl der Spruch „You know, Angie, Vertrauen is good, but Kontrolle is better“.
Die Vorstellungen sind heute weit auseinander. Viele sagen, die Versuche für eine solche Vereinbarung seien von vornherein zum Scheitern verurteilt, ein unrealistisches Unterfangen. Mag sein. Mit Sicherheit wird das Problem nicht schon durch eine Reise von mir gelöst und abgeschlossen sein.
Diese Aussage hat mich an Friedrichs USA-Reise erinnert, als er zurückkam und sagte, dass alles in bester Ordnung sei. Noch bevor bekannt wurde, dass Merkels Handy abgehört wurde, wohlbemerkt. Was darauf schließen lässt, dass Friedrich erstens viel zu unkritisch (und weich?) war und zweitens einige Leute in den USA entweder bewusst gelogen haben müssen oder aber zumindest wichtige „Details“ verschwiegen haben müssen. Beides führt exakt zu dem von Merkel angesprochenen Vertrauensverlust.
Mit Sicherheit wäre auch der Abbruch von Gesprächen in anderen Bereichen, wie etwa denen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen, nicht wirklich hilfreich. Auch andere sogenannte Hebel, wie es in diesen Tagen so oft heißt, die Amerika zum Umdenken zwingen könnten, gibt es nach meiner Auffassung nicht. Trotzhaltungen haben im Übrigen noch nie zum Erfolg geführt.
Politisches Relativieren und sonstiges Blablabla… schade, diesen Absatz hätte sie sich sparen können. Obwohl sie natürlich Recht hat, dass Trotzhaltung nicht konstruktiv ist. Aber darum geht es auch nicht. Merkel sollte Härte zeigen – und das will sie gegenüber den USA nicht. Denn es könnte zu Spannungen führen. Aber hey, genau das sollte doch eine Freundschaft aushalten können, oder nicht?
Ich führe – und das mit allem Nachdruck – diese Gespräche mit der Kraft unserer Argumente, nicht mehr und nicht weniger. Aber ich glaube, wir haben davon gute.
Eine schwierige Passage. Instinktiv möchte ich sie dafür loben, dass sie mit ihren Argumenten (von denen sie mit den Argumenten Vertrauen vs. Misstrauen, Freiheit vs. Sicherheit und die Frage der Verhältnismäßigkeit nur wenige in ihrer Rede angeführt hat) überzeugen möchte – und nicht wie ein trotziges Kind meckert oder wie ein getroffener Hund bellt oder wie Rambo mit Gewalt droht. Gleichzeitig finde ich es schade, dass sie einmal mehr bloß keinen Druck aufbauen möchte (weil sie es vermutlich auch gar nicht kann, was mindestens ebenso erschreckend ist). Dabei wäre es doch wichtig, ihren Worten Nachdruck zu verleihen, um tatsächlich endlich mal was zu verändern verbessern.
Der Weg ist lang; aber lohnend ist er allemal. Denn die Möglichkeiten der digitalen Rundumerfassung der Menschen berühren unser Leben im Kern. Es handelt sich deshalb um eine ethische Aufgabe, die weit über die sicherheitspolitische Komponente hinausweist. Milliarden Menschen, die in undemokratischen Staaten leben, schauen heute sehr genau, wie die demokratische Welt auf Bedrohungen ihrer Sicherheit reagiert, ob sie in souveräner Selbstsicherheit umsichtig handelt oder ob sie an jenem Ast sägt, der sie in den Augen genau dieser Milliarden Menschen so attraktiv macht – an der Freiheit und der Würde des einzelnen Menschen.
Wenn ich Merkel richtig verstanden habe, hat sie gerade gesagt, dass Freiheit und Würde über der Sicherheit stehen. Was ich sehr begrüßen würde, da ich das auch so sehe. Auch ihrer Anmerkung, dass wir es hier mit einer ethischen Aufgabe zu tun haben, stimme ich voll und ganz zu. Denn so lange wir die technischen Möglichkeiten zum Abhören haben, wird es auch Bestrebungen geben, diese (aus)zu nutzen. Wie ich bereits geschrieben habe:
So lange es ein Unternehmen auf der Welt geben wird, das so viel weiß wie derzeit Google, Facebook, Amazon, Apple, Microsoft und Yahoo!, wird es auch das Bestreben danach geben, an diese Daten ranzukommen – warum auch immer. Geheimdienste, Hacker, Datenklau, Spionage, Terrorismus – you name it.
Umso wichtiger ist es, technologischen Fortschritt schon frühzeitig mit ethischen Debatten zu begleiten. Google Glass, 3D-Drucker und Co. werden uns in Zukunft noch vor viele weitere gesellschaftliche und moralische Herausforderungen stellen.
Doch bei allen Konflikten, bei allen Enttäuschungen, bei allen Interessenunterschieden werde ich wieder und wieder deutlich machen: Deutschland kann sich keinen besseren Partner wünschen als die Vereinigten Staaten von Amerika. Die deutsch-amerikanische und die transatlantische Partnerschaft sind und bleiben für uns von überragender Bedeutung.
Einmal mehr politisches Relativieren und sonstiges Blablabla… aber taktisch natürlich klug: Erst US-Präsident Obama kräftig ans Bein pinkeln und ihm dann zum Abschluss sagen: „You know, Obamie, we are still Freunde… Aight?“
Ich glaube nicht, dass hier viele Taten folgen die den Bürgern helfen. Ich denke die Regierung(en) in Deutschland stehen den Regierung(en) in Amerika viel näher als den Bürgern die sie gewählt haben. Das ist wie eine Matrixorganisation. Das eine Huhn hackt dem anderen kein Auge aus.
Angela Merkel weiß, was ihre Wähler, die erdrückende Mehrheit in Deutschland wollen: Wahrung des Status quo. Die Message: Uns geht’s doch gut. Damit ist sie super durchgekommen, nichts konkretes tun, egal was passiert, abperlen lassen und Bauernopfer bringen. Und wurde wieder gewählt.