Es wurde als das Orwellsche „1984“ unserer Generation beschrieben. Für viele Leser ist es das Buch des Jahres: „The Circle“. Egal ob man das Buch des US-amerikanischen Schriftstellers Dave Eggers mag oder nicht: Es polarisiert und lädt zur Diskussion ein. Und erfüllt damit seinen Zweck.
Das Buch hinterlässt ein beklemmendes, bedrückendes Gefühl. Das Ende ist schaurig-gut und lässt – in meinem Fall – einen aufgewühlten Leser zurück. Puh. Erst einmal durchatmen. Und jetzt?
Ich kann mir vorstellen, dass dieses düstere Endzeitszenario vor allem hier in Deutschland viel Anklang finden wird. Oder anders gesagt: Ich verstehe gut, warum es bereits so viel Anklang gefunden hat. Denn in dem Buch wird sehr deutlich, was die Folgen einer linearen Weiterentwicklung der Digitalisierung sein könnten. Noch sind wir weit davon entfernt – aber manche Entwicklungen gehen schneller als man denkt.
„The Circle“ spielt in einer nicht allzu weit entfernten Zukunft, in der das gleichnamige Technologieunternehmen die bisherigen Giganten Google, Apple, Facebook und Amazon abgelöst hat. Die Folge: The Circle erlangt eine Monopolstellung in immer mehr Bereichen: Suchmaschine, soziales Netzwerk, Bezahlsystem – alle Wege führen zu The Circle. Als wäre das nicht schon gefährlich genug, plant The Circle die Verschmelzung mit der Regierung: Steuererklärung, Überwachung der Schüler – [ironie]zum Schutz vor Missbrauch[/irnonie] –, und Wahlen sollen künftig ebenfalls mit den Technologien von The Circle möglich sein.
Die große Stärke des Buchs: Den Lesern wird gut erklärt, warum es zu solchen Entwicklungen kam bzw. kommen wird könnte. Die Gründe für eine weltweite Vernetzung, eine zunehmende Transparenz und immer weniger Privatsphäre werden nachvollziehbar dargelegt, Stichpunkt Sicherheit. Leider – und hier schwächelt das Buch aus meiner Sicht – sind die Argumente der Gegner und Kritiker dieser Entwicklung vergleichsweise schwach – obwohl sie stärker sein könnten müssten. Wäre ich nicht ohnehin schon von dem Wert unserer Privatsphäre überzeugt, könnte mich „The Circle“ vermutlich nicht vom Gegenteil überzeugen. 560 Seiten und trotzdem keine handfesten, plausiblen Gründe, warum der zunehmende Ausspäh-, Kontroll- und Überwachungswahn so gefährlich ist.
Doch vielleicht braucht es das auch gar nicht, weil beim Lesen des Buches jedem klar werden dürfte, dass solch eine Welt nicht erstrebenswert ist. Dass ein Leben, in dem wir Kameras in den eigenen vier Wänden installieren und zu 100 Prozent gläsernen Bürgern werden – mit dem Ziel Vergewaltigungen, Entführungen und Einbrüche zu bekämpfen – nicht erstrebenswert ist. Vielleicht reicht das Gefühl, dass „The Circle“ beim Lesen erzeugt, um uns von der Gefahr einer solchen Entwicklung zu überzeugen.
Es bleiben zwei Punkte, die mich weiterhin beschäftigen:
- An unserem Nutzungsverhalten wird sich nichts ändern. Bestes Beispiel ist die Übernahme von WhatsApp durch Facebook. In Deutschland gab es einige Aufschreie – aber am Ende ist WhatsApp weiter kräftig gewachsen und die Alternativen sind nach wie vor keine wirklichen Alternativen. Gleiches gilt für Amazon, als bekannt wurde, wie der Konzern mit seinen Mitarbeitern umgeht. Kurz nach der kritischen Berichterstattung und der darauffolgenden Empörung im Netz verkündigte Amazon Rekordumsätze – auch in Deutschland. Eine wahre Veränderung im Nutzerverhalten blieb bislang aus. Auch nach dem Lesen von „The Circle“ erwarte ich keine nennenswerte Änderung. Keiner möchte in so einer Welt leben, aber kaum jemand möchte etwas an seinem gegenwärtigen Nutzungsverhalten im Netz ändern. Leider steuern wir damit geradewegs auf ein solches Szenario zu. Google und Facebook erreichen langsam den Punkt, an dem sie ihre gefährlich werdenden Konkurrenten einfach frühzeitig aufkaufen und die verbleibenden Alternativen übernommen werden oder Pleite gehen. Wir befinden uns auf dem besten Weg zu der in „The Circle“ beschriebenen Monopolisierung – und es interessiert uns nicht. Oder es interessiert uns vielleicht schon. Aber wir sind zu bequem und haben uns bereits an gewisse Vorzüge dieser Entwicklungen gewöhnt, die wir nicht mehr missen wollen. Vielleicht fehlt uns auch die Zeit, uns mit diesen Dingen auseinanderzusetzen. Um zu reflektieren und nicht nur darum zu wissen, sondern es auch zu verstehen. Vielleicht tut es aber auch noch nicht weh genug und die Gefahren wirken zu abstrakt und in weiter Ferne. Vermutlich überwiegt bei uns der Vorteil die Nachteile, die ja womöglich gar keine sind, sondern nur von hypothetischer und verschwörungstheoretischer Natur sind?
- Wie sähe die attraktive Alternative aus? Auch das Buch gibt keine Antwort darauf. Denn wenn man erst einmal die Büchse der Pandora geöffnet hat, will oder kann man sie ab einem gewissen Punkt nicht mehr schließen. Das Internet hat unbestritten viele Vorteile. Ich kann beispielsweise auf eigene Faust bloggen und Inhalte verbreiten. Oder mit Freunden rund um die Welt chatten und Videoanrufe tätigen. Ich kann nach gewissen Informationen suchen und mich weiterbilden. Ich kann mich mit anderen Menschen über meine Hobbys austauschen und dazulernen. Alles Dinge, die in dieser Form und Intensität ohne das Internet sicher nicht möglich wären. Und alles Dinge, die ich nicht missen möchte. Auf der anderen Seite werden ständig Accounts gehackt, Computer mit Viren verseucht, Kreditkarteninformationen gestohlen, Webseiten angegriffen, gefährliche Informationen und Lügen verbreitet, Fakten verdreht und Wahrheiten manipuliert. Die Liste an Vor- und Nachteilen ließe sich nahezu endlos fortsetzen. Und die meisten von uns sind sich sicher einig, dass die Konsequenz nicht heißen wird, das Internet abzuschaffen (auch wenn sich das manche im tiefen Inneren sicher wünschen würden, allein schon durch den sozialen und emotionalen Stress, den Facebook, WhatsApp und Co. verursachen können). Die Frage lautet also, wie eine attraktive Alternative aussähe? Hier mangelt es bei „The Circle“ an konstruktiven Vorschlägen.
Mein Fazit: „The Circle“ zeigt keine Lösung auf und liefert keine Antworten auf brennende Fragen. Stattdessen verdeutlicht „The Circle“ die Gefahr eines Informationsmonopols sowie der Verschmelzung mit der Regierung. Das wiederum wirft Fragen auf. Sollten wir wirklich alles wissen? Haben wir ein Recht darauf, alles zu wissen? Führt vollständige Transparenz wirklich zu weniger Gewalt und mehr Sicherheit? Fragen über Fragen. Dieses Buch ist somit ein idealer Anstoß, sich mit diesem Thema in leicht verständlicher Romanform auseinanderzusetzen. „The Circle“ informiert uns über die potenziellen Gefahren. Was wir daraus machen, hängt von uns ab. Möge die fruchtbare Diskussion beginnen.
Dave Eggers, „Der Circle“, KiWi, 14. August 2014, 560 Seiten, 22,99 Euro, ISBN: 978-3-462-04675-5
Mayday Holland meint
Der Circle ist eines der besten Romane zum Thema Überwachung für mich. Dave Eggers ist es nämlich gelungen das Thema emotional begreiflich zu machen. Darin Unterscheidet sich der Roman von Eggers von anderen Romanen die oftmals eine eher „objektive“ Darstellungsart wählen.
Meine Rezension kann man hier nachlesen: http://sector-o.cc/2014/10/dave-eggers-der-circle/