Stieg Larsson und Hörbücher sind für mich die Entdeckungen des Jahres 2012: Da wäre zunächst einmal diese sensationell gute Millennium-Trilogie, die nach dem ersten bereits perfekten Teil sogar noch besser wird. Und dann wären da noch die satten 19 Stunden Hörgenuss des zweiten Teils Verdammnis durch den Sprecher Dietmar Wunder – traumhaft gut.
Für beides bin ich im Prinzip ein paar Jährchen zu spät dran. In Rezensionen auf Audible ausgedrückt: 451 Mal zu spät.1 Nichtsdestotrotz erfreue ich mich nun an stundenlanger Hörspannung allererster Güte (aktuell Teil 3, Vergebung). Der Sprecher, Dietmar Wunder, hat wirklich eine wunderbare Stimme. Und der bereits verstorbene Autor Stieg Larsson war wirklich ein wunderbarer Schriftsteller. Bei beiden sind die lobenden Adjektive vollkommen berechtigt – und zusammen sind sie eine nahezu unschlagbar gute Kombination.
Stieg Larsson war ein Ausnahmekünstler. Wie er es schaffte, fiktive Welten zum Leben zu erwecken, erstaunte mich immer wieder: Woher nimmt er diese schier grenzenlose Fantasie, mit der er die bis ins kleinste Detail perfekt stimmige und stimmungsvolle Geschichte erzählt, die haargenau so in Wirklichkeit hätte passiert sein können? Nicht selten beschreibt er einen seiner unzähligen Charaktere mit einer akribischen Genauigkeit, die mich völlig verblüfft. Bei jedem anderen Autor würde ich gelangweilt abschalten oder mich verwirrt ausklinken – Stieg Larsson jedoch gelingt es mit seiner hervorragenden Schreibe, mich keine Sekunde zu langweilen.
Dietmar Wunder scheint auch ein Ausnahmekünstler zu sein. Es ist wirklich beeindruckend, wie es ihm gelingt, Larssons in gedruckter Form 768 Seiten starkes Werk erlebbar zu machen. 19 Stunden lang liest er so gut, dass man ihm problemlos sechs Stunden am Stück zuhören kann – und erst spät in der Nacht von der Müdigkeit übermannt wird. Seine Stimme ist angenehm tief und seine Gabe, andere Charaktere mit verschiedenen Stimmen auszustatten eine große Bereicherung. Einzig, und hier komme ich zum ersten Manko, die Stimme von Lisbeth Salander und den meisten anderen sporadisch auftretenden Frauenstimmen klingen bei ihm nicht sehr stimmig oder anders gesagt ein bisschen zu hoch. Das dürfte an seiner naturgemäß sehr tiefen Stimme liegen, die es ihm sicher nicht leicht macht, Frauenstimmen (glaubhaft) zu sprechen.
Auch bei Stieg Larsson gibt es aus meiner Sicht zwei Wermutstropfen: Zum einen springen beim ersten Drittel des Buches derart viel Charaktere miteinander in die Kiste, dass es mich zugegeben etwas nervt. Denn die Handlung treibt das nicht wirklich voran und die Intention des Autors bleibt daher unklar. (Im ersten Teil hielten sich die Liebschaften und Liebesszenen noch deutlich stärker in Grenzen.)
Der zweite Kritikpunkt betrifft das Ende: Während bei Verblendung am Ende alle Fragen beantwortet werden und der Fall abgeschlossen ist, greift Larsson im zweiten Band plötzlich auf die Cliffhanger-Methode zurück, die ich schon bei der Hunger Games-Trilogie stark kritisierte. Das Buch endet so abrupt, dass ich zuerst dachte, es fehle ein Teil des Hörbuchs. Doch dem war nicht so, wie ich im Internet schnell überprüfte. Wäre ich jetzt im Urlaub gewesen und hätte keine Möglichkeit, den dritten Teil, Vergebung, zu lesen oder hören – ich hätte mich sicher ziemlich geärgert.
Das war’s aber auch schon an Kritikpunkten – ansonsten ist es wie gesagt einmal mehr ein perfekter Roman. Spannend und intelligent verpackt Larsson die ernste Thematik des Mädchenhandels (und damit auch des Menschenhandels) in einen Roman, der den Leser weder überfordert, noch schockiert oder gar bedrückt – und dennoch wachrüttelt.2 Denn eines sollte man sich vor Augen führen: Stieg Larsson beschreibt in der Millennium-Trilogie trotz Romanform keine Fiktion, sondern die Realität. Prostitution, Sklaverei und Menschenhandel sind heutzutage so verbreitet wie noch nie zuvor – in puncto illegaler Markt ist der Menschenhandel nach dem Drogen- und Waffenmarkt sogar der drittgrößte weltweit! Grund genug, auch in einem Roman zumindest Ansätze dieses Marktes zu skizzieren – und damit die Aufmerksamkeit auf dieses in den Medien unterrepräsentierte Thema zu richten.
Bleiben mir noch zwei Dinge zu sagen:
- Vielen Dank, Jonathan, dass du mich sowohl auf Hörbuch als auch auf Verdammnis aufmerksam gemacht hast. In der Tat eine extrem spannende Kombination!
- Wer nun Lust darauf bekommt, ebenfalls ein Hörbuch (bei der Millennium-Trilogie sollte man möglichst mit dem ersten Teil beginnen) auszuprobieren: bei Audible.de gibt es für Neukunden das erste Hörbuch gratis. Einfach über Amazon.de bestellen, dort steht es dann dabei.
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