Was geht (gar nicht) im Netz? Eine ganze Menge. Es geht jedoch nicht nur um richtige Umgangsformen und Rahmenbedingungen für die Nutzung des Internets. Die entscheidende Frage ist eine ganz andere: Was ist gut (für mich)?
Damit ist nicht etwa das Streben nach einer hedonistischen Sichtweise gemeint, in der das „Ich“ im Vordergrund steht. Ganz im Gegenteil: Schon Apostel Paulus wird in der Bibel mit den Worten „Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten“ (Luther 1984) zitiert. Aus diesem Leitfaden lassen sich viele Verhaltensformen für unseren Alltag ableiten – auch im Netz. Denn der Appell dieses Gedankens gilt online wie offline: Überlegt euch gut, welche Konsequenzen euer Handeln hat. Ob es zu Positivem oder Negativem führt. Welche Auswirkungen es auf euch und eure Mitmenschen hat. Diese Fragestellung lässt sich auch konkret auf einzelne Aspekte des Internets anwenden. Der Reihe nach:
Schlechtes Online-Benehmen verhindert gute Diskussionen. Was muss sich ändern, damit der Austausch im Netz wieder Spaß macht?
Zunächst einmal: Auf vielen Plattformen im Netz macht der Austausch nach wie vor Spaß. Es gibt große Foren zu Fotografie, Android und anderen Fachthemen. Dort kann man tagtäglich hilfsbereite Menschen antreffen, sie sich völlig friedlich über diverse Themen austauschen.
Dort, wo der Austausch keinen Spaß mehr macht, muss man sich zunächst einmal fragen, wie es zu der Verschlechterung gekommen ist. Meist geschieht das mit der zunehmenden Reichweite. Denn erst ab einem gewissen Bekanntheitsgrad hat man auch Neider, Kritiker und die vielbeschworenen Trolle – Menschen, die meist grundlos über alles und jeden meckern.
Vergleicht man die Kommentare auf Zeit Online mit denen auf YouTube wird schnell klar: Auch bei zwei reichweitenstarken Webseiten gibt es deutliche Qualitätsunterschiede. Ob dies auf Video vs. Text (Bildungsniveau) zurückzuführen ist, ist eine andere Frage.
Was kann man nun gegen einen Diskussionsverfall auf manchen Plattformen tun? Bei YouTube wäre es vermutlich das Beste, die Kommentarfunktion zu deaktivieren. Denn: Selbst die Einstiegshürde des Registrierens, um kommentieren zu dürfen, hält die Besucher nicht von wüsten Beschimpfungen ab. Und die Menge an peinlichen Videos macht es nicht unbedingt einfacher, sich niveauloser Kommentare zu enthalten.
Gleiches gilt im Übrigen auch für Facebook-Kommentare, die auf manchen Nachrichtenseiten anstatt einer eigenen Kommentarfunktion unterhalb journalistischer Artikel verwendet werden. Eine Unsitte, wie ich finde. Die Qualität der Kommentare ist dadurch nämlich – trotz Klarnamenspflicht –nicht besser geworden. Was bleibt, ist lediglich die Geringschätzung der Verlage gegenüber dem Wert der einzelnen Kommentare, die man bereitwillig an einen US-Konzern ausgelagert hat.
Hier sind wir auch schon an einem Punkt angelangt, den ich für sehr wichtig halte: Gute Diskussionen sollten vor allem öffentlich geführt werden (können). Also außerhalb des geschlossenen Netzwerks Facebook. Politik, Wirtschaft und Medien sollten gemeinsam dafür sorgen, dass es keine Monopolstellung für Diskussionsplattformen (Facebook!) gibt und Diskurse und Dialoge auch weiterhin jedem frei zugänglich sind.
Wer an dieser Stelle die Lösung gegen schlechtes Online-Benehmen erwartet hat, den muss ich leider enttäuschen. Das wäre genauso utopisch wie eine Lösung für schlechtes Offline-Benehmen. Ich kann daher nur daran appellieren, dass jeder Einzelne über die Konsequenzen seines Handelns nachdenkt und sich fragt, ob das, was er oder sie tun möchte, überhaupt gut ist – online wie offline.
Eines jedenfalls ist sicher: Genauso wie Überwachungskameras im öffentlichen Raum die Gewaltbereitschaft nicht nachhaltig senken können1, kann auch eine Überwachung des Internets2 nicht verhindern, dass Einzelne sich daneben benehmen.
Kurzum: Wir sollten uns daher nicht die Freiheit nehmen lassen, auch weiterhin das Netz als Chance zu begreifen, miteinander in Verbindung zu treten und uns gegenseitig zu helfen. Dass es bei allen Chancen auch Risiken gibt, darf dabei natürlich nicht ausgeblendet werden. Aber eine Mehrheit an gebildeter und medienkompetenter Internetnutzer sollte sich nicht einer Minderheit an Neidern, Kritikern und Trollen beugen müssen.
Reicht es, die Regeln zu verschärfen und den Laden nachts abzuschließen, damit keine Trolle ihr Unwesen treiben können?
Klare Antwort: nein. Wer im Internet nachts „den Laden abschließen“ will, hat das Internet nicht verstanden. Das Internet ist zwar kein rechtsfreier Raum, aber es ist gleichzeitig ein Raum ohne Landesgrenzen und Ladenöffnungszeiten, um bei der Analogie zu bleiben. Während in einem reellen Laden i.d.R. mindestens eine Person anwesend sein muss, ist eine Webseite auch ohne meine Anwesenheit i.d.R. frei verfügbar und je nach Schutzvorkehrungen einigermaßen einbruchssicher. Warum sich also nachträglich dieser tollen Möglichkeit berauben? Nachtaktive Menschen profitieren davon ebenfalls wie Menschen aus dem Ausland. Stellt euch einmal vor, das Fernsehprogramm würde – wie es lange Zeit war – nachts plötzlich durch ein Standbild ersetzt. Oder die Zeitung würde am Abend aus „Sicherheitsgründen“ wieder eingesammelt werden, da man ja plötzlich auf die Idee kommen könnte, einen bösen Leserbrief zu schreiben. Absurd, nicht wahr?
Worüber wir uns sicherlich einig sind: Im Internet sollte es keinen Platz für Trolle geben. Da es sie aber leider trotzdem gibt, lautet die Frage an dieser Stelle: Wie wollen wir mit ihnen umgehen? Schärfere Regeln sind hier vermutlich nicht der richtige Ansatz. Zumindest nicht, wenn er in einer Nachtsperre des Internets resultieren würde – denn das wäre weit über das Ziel hinausgeschossen. Ein Ansatz könnte beispielsweise eine öffentliche Werbekampagne sein, die auf die Verantwortung des Einzelnen hinweist – und darauf, dass es gesellschaftlich verpönt ist, Troll zu sein. So banal das auch klingen mag: Vielen Jugendlichen (die meist hinter den Trollen stecken) ist nicht (mehr) völlig bewusst, dass sie mit ihren Pöbeleien und Stänkereien tatsächlich anderen Menschen wehtun. Denn die Folgen ihres Handelns sind nicht (unmittelbar) spürbar. Nur ein paar Klicks und Tastendrücke weit entfernt.
Medienkompetenz ist etwas, das man genauso lernen muss wie gepflegte Tischmanieren oder Gastfreundschaft. Nur ist das Internet so neu, dass diese Werte hier noch nicht weitergegeben werden konnten. Man sollte demnach auch in Schulen mehr Medienkompetenz in den Unterricht integrieren und von klein auf klarmachen: Das Internet ist trotz fehlender Barrieren von Raum (Ländergrenzen) und Zeit kein rechtsfreier Raum – und hinter jedem Benutzername steckt auch ein Mensch. Ein Mensch, dem man im Alltag stets ins Auge schauen können sollte.
Ist der digitale Meinungsaustausch vielleicht eine völlig neue Kulturtechnik, die erst einmal erlernt sein will? Oder gelten offline wie online die gleichen Regeln für eine gelungene, respektvolle Kommunikation?
Das Problem beim digitalen Meinungsaustausch ist das fehlende Gegenüber. Vieles, was im Netz geschrieben wird, würden sich die Personen nie trauen, anderen Leuten ins Gesicht zu sagen. Bei öffentlichen Reden und Vorträgen mit nebenstehender Twitterwall etwa findet sich dort sehr viel mehr unverblümte Kritik (auch aus dem Publikum mit identifizierbarem Avatar) als es ohne sie gäbe. Warum das so ist? Weil uns indirekte Kommunikation leichter fällt als direkte.
Da spielt sicher auch die ausbleibende unmittelbare Reaktion auf mein Handeln mit rein. Einmal mehr: Vielen fehlt das vorausschauende Denken, das nötige Bewusstsein für die mögliche Konsequenz. Was ist gut (für mich)? Diese Frage sollte sich jeder einzelne im Vorfeld stellen. Nicht bewusst, sondern unbewusst. Es muss also ein Automatismus werden, der zuvor verinnerlicht wurde. Denn eine dauerhafte Verhaltensänderung kommt nicht von außen (diktatorische Staaten stülpen ihre Vorstellungen mit Gewalt der Bevölkerung über), sondern von innen heraus – nachdem die betreffende Person gehört und verstanden hat, warum dieses oder jenes gut oder schlecht ist.
Wie schädlich ist Anonymität?
Eine schwierige Frage. Anonymität kann schädlich sein, kann aber auch von Nutzen sein. Wenn sich beispielsweise der Rapper Cro hinter seiner Maske versteckt und tausende von Fans in ganz Deutschland hat, nützt ihm die Maske – denn in echt bleibt er auf diese Weise unerkannt und kann ein normales Leben in der Öffentlichkeit führen. Man könnte entgegnen, Cro sei lediglich ein Pseudonym und keine Anonymität, weil ja nachverfolgbar sei, wer hinter Cro stecke. Doch würde ich auf der Straße von Cro zusammengeschlagen werden, wüsste ich zunächst nicht, wer sich hinter Cro versteckt. Ich müsste also Anzeige erstatten und die Polizei würde seinen Namen ermitteln. Auch im Netz hinterlässt man Spuren (IP-Adressen), mit denen man nachverfolgbar ist. Und wenn wir jetzt nicht von böswilligen Cyber-Terroristen, sondern lediglich von nervigen Trollen ausgehen, sind diese im Zweifelsfall ebenfalls nachverfolgbar.
Um aus meinem eigenen Leben ein Beispiel zu geben: Ich bin mit zahlreichen Pseudonymen (Nicknames) im Netz aufgewachsen: Chatrooms, Online-Games und Webforen sind nur drei Beispiele, wo ich die unterschiedlichsten Namen benutzte. Es hat mir Spaß gemacht. Kein einziges Mal habe ich dabei eine Straftat begangen. Wenn ich mich mal mit jemandem gestritten habe, hatte das nichts mit dem vermeintlichen „Schutz der Anonymität“ zu tun, sondern lediglich damit, dass ich ein Mensch bin – und mich im echten Leben auch manchmal streite.
In den jungen Jahren gab es so etwas wie Klingelstreiche – wo wir unentdeckt bei unseren Nachbarn geklingelt haben. Sollte man nun aus Angst vor Klingelstreichen alle Privathäuser mit Überwachungskameras am Eingang ausstatten? Und alle Sturmhauben nur mit einem aufwendig erworbenen Sicherheitspass verkaufen, um Vermummung zu verhindern? Natürlich nicht. Nicht nur, dass es viel zu teuer wäre – es ist schlicht nicht möglich, Anonymität gänzlich zu verhindern.3 Und ganz nebenbei auch nicht der richtige Ansatz. Nochmal: Veränderung sollte nicht von außen, sondern von innen heraus kommen. Anonymität an sich ist also nicht die Wurzel allen Übels. Stattdessen sollte der Hebel für einen besseren Umgang im Netz in den Bereichen Erziehung, Bildung und Aufklärung umgelegt werden: Hier sollte man ansetzen, um soziale Verantwortung gegenüber seinen Mitmenschen bewusster und nachhaltiger zu vermitteln. Das ist in der Tat keine neue Erkenntnis, aber mit Sicherheit die bestbewährteste.
Brauchen wir einen “Aufstand der Anständigen”, eine digitale Zivilcourage?
Nein. Die meisten von uns zeigen tagtäglich vorbildlich, wie man sich (gepflegt) im Netz benehmen kann. Das sollten sie weiterhin beibehalten und anständiges Benehmen auch an ihre Mitmenschen weitergeben – ganz gleich ob als Politiker, Journalist, Lehrer oder Elternteil.
Was kann der Gesetzgeber tun?
Der Gesetzgeber könnte veranlassen, dass das Fach Medienkompetenz stärker im Schulplan verankert wird und die Lehrenden bestens darin ausgebildet sind. Zudem sollte man ein solches Fach mit Ethik verknüpfen – denn die entscheidenden Fragen für gutes Verhalten liegen nicht im richtigen Umgang mit dem Internet, sondern im richtigen Umgang mit dem Menschen. Eine moralische Frage.
Ebenfalls könnte man eine Imagekampagne gegen Cybermobbing initiieren, ähnlich wie „Du bist Deutschland“, „Mach’s mit“ oder „Schon gezahlt?“. Dahinter sollte dann ein Dachverband stehen, der sich um den Dialog mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen in puncto Netzfragen kümmert und regelmäßig Vorträge, Podiumsdiskussionen und Veranstaltungen zur Aufklärung in Sachen Medienkompetenz und Moral im Internet zu betreiben.
Muss er (der Gesetzgeber, Anm.) überhaupt etwas tun?
Die Verantwortung des Staates ist es aus meiner Sicht, eine funktionierende Gesellschaft sicherzustellen. Im Internet funktioniert vieles sehr gut 4, manches ist jedoch sicher noch ausbaufähig. Um eine weiterhin funktionierende Gesellschaft sicherzustellen, sollte der Staat verstärkt präventiv in Aufklärung, Bildung und Erziehung investieren anstatt die Folge und Auswirkung fehlender Verantwortung mit teuren Überwachungssystemen bekämpfen zu wollen. Veränderung ist wichtig – und nachhaltige Veränderung kommt stets von innen heraus, nicht von außen. Online wie offline.
Dieser Blogartikel entstand im Rahmen der Blogparade der Enquete-Kommission des Bundestages zum Thema „Was geht (gar nicht) im Netz?“.
- zudem kann es zu einer Verschiebung der Gewaltaustragungsorte kommen ↵
- Vorratsdatenspeicherung – wenn auch zu einem anderen Zweck ↵
- Wer eine Straftat begehen möchte, wird immer einen Weg finden, diese zu tun. Das entbindet den Staat nicht vor der Verantwortung, seine Bürger und Bürgerinnen zu beschützen. Aber die vollständige Überwachung ist eben auch nicht die richtige Lösung. ↵
- man muss sich ja nicht auf Webseiten rumtreiben, wo die Kommentare unter der Gürtellinie sind ↵
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