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2. Wirtschaftliche Aspekte: Diversifikation, Portfoliomanagement und Investition
In diesem Abschnitt werde ich auf einige Aspekte eingehen, die im wirtschaftlichen Kontext eine wichtige Rolle spielen. Dazu erläutere ich Managementstrategien und Unternehmensentscheidungen und überprüfe, inwieweit sich Google an diese theoretischen Konzepte hält und womit mögliche Abweichungen begründet werden können.
Diversifikation
Google erweitert seine Produktpalette durch den Aufkauf vieler Anbieter und sichert sich so Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz. Die Kunden von Google bekommen ihre Dienstleistungen aus einer Hand – und das zu sehr hoher Qualität. Man braucht keine Extraprogramme mehr wie Outlook, Routenplaner, Kalender, Wörterbücher oder Tageszeitungen: Google bietet alles in einem.
Das Unternehmen aus Mountain View filtert die Daten heraus und liefern, trotz aller Kritik, gute Ergebnisse. Durch seine vielen verschiedenen Beteiligungen ist Google inzwischen zu einem lateral diversifizierten Unternehmen geworden. Das heißt, die einzelnen Geschäftsteile hängen nicht mehr unmittelbar aneinander, sondern stehen unverbunden nebeneinander.
Mit gutem Willen kann man das Unternehmen auch als vertikal diversifiziert einstufen, was bedeuten würde, dass Google seine Geschäftsbereiche um vor- und nachgelagerte Segmente erweitern würde (wie z.B. ein Autohersteller, der seine Sitze selbst produziert oder eigene Autohäuser eröffnet).
Die Vorteile hierbei sind im Wesentlichen, dass man unabhängiger ist und durch Aufgabenzentralisierung seinen Unternehmenswert steigern kann, weil weniger Kosten für Verwaltung und Marketing entstehen. Da bei Google jedoch Bereiche wie Zeichenprogramme, Kalender, Karten und Browser – insbesondere aber das Videoportal YouTube und die Genforschung – nicht wirklich miteinander verbunden sind, ist es plausibel von einem lateralen, sprich unverbundenen Konzern zusprechen.
Portfoliomanagement
Die zentrale Frage des Portfoliomanagements lautet: Wie kann die Unternehmensleitung sicherstellen, dass der Unternehmenswert des Konzerns größer ist, als die Summe der Einzelwerte des Konzernunternehmens? Das bedeutet, dass ein Konzern durch den Erwerb eines anderen Unternehmens seinen Wert steigert, indem dieses Geschäft dem Konzernverbund (finanziell oder auch imagemäßig) einen höheren Nutzen liefert, als die mit dem Erwerb und der Unterhaltung verbundenen Kosten. Portfoliomanagement ist also die Zusammenstellung und Verwaltung eines Bestandes an Investitionen oder Unternehmensteilen.
Zur Beantwortung dieser Frage gibt es drei Grundsätze:
- Alle Geschäftsfelder sollten für sich einen positiven Wertbeitrag leisten.
- Der Konzernverbund als Ganzes sollte mehr wert sein als die Summe der einzelnen Unternehmensteile.
- Best Ownership: D.h. der Wertbeitrag einzelner Geschäfte zu dem Mutterunternehmen sollte den Wertbeitrag übersteigen, den diese Geschäfte potentiellen alternativen Eigentümern bieten würden.
Wenn man Google anhand dieser Grundsätze untersucht, wird schnell klar, dass diese Rechnung nicht auf gehen kann. Wenn jedes Geschäftsfeld einen positiven Wertbeitrag leisten soll, heißt das, dass einzelne Sparten über längere Zeit keinen Verlust machen dürfen, da sie sonst verkauft werden, um so den Wert des Unternehmens zu steigern.
Doch schon gegen diesen ersten Grundsatz verstößt Google mit beeindruckender Gleichgültigkeit. Der Schweizer Finanzdienstleister Credit Suisse rechnet vor, dass Google mit seinem Videoportal YouTube im Jahr 2009 einen Verlust von etwa 470 Millionen schreiben wird, was die Dividende der Aktionäre schmälert. Das ist ein Verlust von 1,3 Millionen US-Dollar pro Tag. Doch Google sieht das gelassen und glaubt fest daran, dass YouTube noch ein lukratives Geschäft werden wird. Fragen, ob es nicht Zeit wäre, das Handtuch zu werfen und das Portal aufzugeben, werden nicht ganz ernst genommen. So antwortete Eric Schmidt in einem Interview mit der FTD auf diese Frage mit einem ironischen “Who would suggest that?“.
Aber jeder, der etwas von Investition versteht, muss sich unweigerlich fragen, wie eine Investition von über 1,65 Milliarden US-Dollar vorteilhaft sein kann (d.h. einen Kapitalwert größer Null aufweisen kann), wenn die erwarteten Zahlungsströme gegen Null gehen. Entweder haben sich die Controller bei Google gehörig verrechnet, als sie den Deal durchgegangen sind (z.B. durch einen Vorzeichenfehler), oder aber – was weitaus wahrscheinlicher ist – sie haben eine risikoadjustierten Zinssatz von 0 angenommen. Aber selbst unter diesen Umständen müsste YouTube einen Gewinn von etwa 100 Milliarden US-Dollar aufweisen, um sich innerhalb von 16 Jahren zu amortisieren, Traffickosten, Gebühren und Lizenzen noch nicht berücksichtigt.
Allein eine Anlage bei der Bank zu einem Zinssatz von 5 Prozent1 würde im Durchschnitt in 16 Jahren 111 Millionen bringen. Und Google nimmt einfach mal so 470 Millionen pro Jahr Verlust in Kauf. Warum?
Eine mögliche Antwort könnte sein, dass Google eben alles anbieten möchte, was es im Internet an Daten gibt. Eben auch die Videos. Es gehört zu seiner Unternehmensphilosophie – und dafür ist Google auch bereit zu zahlen.
Die Zweite, viel beängstigendere Antwort, könnte lauten, dass Google auch hier seine Kernkompetenz (das Sammeln und Aufbereiten von Daten) nicht vernachlässigen möchte. Es werden alle angeklickten Videos gespeichert und Google weiß, wofür sich jeder Nutzer interessiert und kann auf diese Weise speziell die Videos hervorheben, die gezielt unser Interesse ansprechen. Mithilfe von AdSense 2 erwirtschaftet Google durch hohe Klickraten auf die Werbung (nicht nur Werbebanner, auch Textwerbung) enorme Umsätze.
Allein im Jahr 2008 erzielte Google Umsatzerlöse von 21,80 Milliarden US-Dollar und ein Vorsteuerergebnis (d.h. Erlöse abzüglich Kosten und Zinsen) von 5,85 Milliarden US-Dollar. Und das mit „nur“ knapp über 20.000 Mitarbeitern. Im jüngst veröffentlichten Bericht von Google für das Jahr 2009 waren es schon 23,65 Milliarden US-Dollar Umsatz, davon blieben stolze 6,5 Milliarden Dollar Nettoeinkommen übrig. (via basicthinking)
Im Vergleich dazu wirkt beispielsweise die Deutsche Telekom absolut ineffizient. Trotz eines Umsatzes von 61,66 Milliarden Euro (90,95 Milliarden US-Dollar) konnte sie 2008 lediglich einen Gewinn von 3,45 Milliarden Euro (5,15 Milliarden US-Dollar) erzielen, und das mit 235.000 Mitarbeitern. Das zeigt eindrucksvoll, dass die Deutsche Telekom trotz nahezu zwölfmal so vielen Mitarbeitern im Endeffekt weniger Gewinn erwirtschaftet, als das bedeutend jüngere Medienunternehmen Google Inc.
Den zweiten Grundsatz, als Konzernverbund mehr wert zu sein als die Summe der einzelnen Unternehmensteile, erfüllt Google im Wesentlichen, da der Konzern durch den Zusammenschluss verschiedener Unternehmensteile einen positiven Mehrwert schafft. Die Vorteile liegen auf der Hand: Durch den Zusammenschluss können Teile der Verwaltung zentralisiert werden und somit im Vergleich zu den unabhängigen Einzelunternehmen Kostenersparnisse realisiert werden. So kann Google im Vergleich zu den einzelnen Unternehmen etwa die Personalkosten im Managementbereich oder Einkaufspreise reduzieren. Sie können Aufgaben, die vorher mehrere Leute erfüllt haben, auf weniger Mitarbeiter verteilen oder sind im Einkauf nicht mehr so stark von Zulieferern abhängig. Auf diese Weise erzielen sie günstigere Einkaufspreise.
Inwieweit der letzte Grundsatz von Google, das „Best Ownership“ erfüllt wird, lässt sich schwer sagen. Grundsatz ist, dass der Wertbeitrag einzelner Geschäfte zu dem Mutterunternehmen höher sein sollte, als der Wertbeitrag, den diese Geschäfte in der Hand möglicher alternativer Eigentümer erzielen würden. Denn sonst wäre ein Unternehmen bereit, diesen Teil selbst zu kaufen, weil die erwarteten Rückflüsse aus der Investition abgezinst auf den heutigen Zeitpunkt den Kaufpreis übersteigen würden (Kapitalwertrechnung). Inwiefern Google davon betroffen ist, lässt sich schlecht sagen, da durch die hohe Marktmacht ein Verkauf nicht nötig ist.
Investition
Wie bereits im vorigen Teil gezeigt, ist die Investition von Google in YouTube aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht nachvollziehbar. Die Investition in DoubleClick ist verständlich und ergibt auch bei betriebswirtschaftlicher Betrachtung Sinn. Aber inwieweit teure Aufkäufe von kleinen Unternehmen für Google wirklich lukrativ sind, ist derzeit nicht beantwortbar. Offensichtlich ist jedoch, dass durch die Erweiterungen immer neue Geschäftsfelder geschaffen werden sollen, die einzig über Werbung finanziert werden können, da Google nahezu alle hauseigenen Dienste kostenlos anbietet.
Mittlerweile bietet Google sogar eine eigene Programmiersprache an, ebenfalls kostenlos. Mein persönliches Highlight der kostenlosen Angebote Googles ist die Ausrüstung von Flughäfen in den USA mit WLAN. Alles einzig und alleine durch Werbung finanziert. Doch die Vorteile sind oft auf den ersten Blick nicht genau ersichtlich. Gleiches gilt für Googles eigenes Betriebssystem Chrome OS, das in Kürze erscheint. Natürlich kostenlos.
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