Lange galten südkoreanische Starcraft-Spieler als unschlagbar. Seitdem immer mehr südkoreanische Profispieler zu Wettbewerben im Ausland antreten, werden auch europäische Spieler besser. Aber woher kommt die Faszination der Südkoreaner für das Computerspiel?
Während die Kino- und Musikindustrie im Sterben liegt, herrscht in der Spiele-Branche Goldgräberstimmung. Amazon hat jüngst den erfolgreichen Live-Streaming-Anbieter für Computerspiele Twitch für fast eine Milliarde US-Dollar aufgekauft. Der amerikanische Game-Designer Chris Roberts, nicht zu verwechseln mit dem deutschen Schlagerstar, hat mit seinem Startup Roberts Space Industries für das noch in der Entwicklung befindliche Onlinespiel Star Citizen über 50 Millionen Dollar von den Fans eingesammelt. Dabei befindet sich das Spiel nicht einmal im Beta-Stadium.
Vielfalt der Computerspiele
Es gibt zahlreiche Computerspiele in den unterschiedlichsten Kategorien. Die Grenzen zwischen den verschiedenen Spielegenres sind fließend. Beliebt sind insbesondere Ego-Shooter, Rollenspiele und Echtzeitstrategiespiele (Englisch: real-time strategy, oder kurz: RTS). Im Segment der RTS-Games sind bereits etliche Titel erschienen. Viele Spiele verschwinden kurz nach dem Erscheinen wieder vom Markt. Doch Starcraft, das Spiel des berühmten Entwicklerstudios Blizzard Entertainment, konnte sich sehr lange behaupten.
Das aktuelle Hauptspiel Starcraft II – Wings of Liberty ist bereits über 4,6 Millionen Mal über den Ladentisch gegangen. Die Verkaufszahl des Vorgängerspiels Starcraft mit der Erweiterung Brood War betrug sogar 9,5 Millionen. Starcraft wurde im Jahr 1998 veröffentlicht und war so beliebt, dass das Spiel trotz der Veröffentlichung des Nachfolgers von Starcraft II im Jahr 2010 von vielen Spielern weitergespielt wurde.
Kult in Südkorea
In Südkorea genießt Starcraft einen absoluten Kultstatus. In den Internetcafés (in Südkorea PC-Bang genannt) sind kaum PCs ohne Starcraft-Installation zu finden. Das Spiel ist so beliebt, dass die Turniere sogar im Fernsehen übertragen werden. Die professionellen Spieler werden dort von den Fans gefeiert wie Bastian Schweinsteiger und Manuel Neuer hierzulande.
Der Fußballweltmeister-Titel ging dieses Jahr nach Deutschland – Südkorea hingegen wäre Weltmeister in Starcraft, wenn es so ein Titel geben würde. Und das, seitdem das Spiel überhaupt existiert. In Starcraft war die Dominanz der südkoreanischen Spieler sogar so groß, dass man bei den Spielern zwischen Südkoreanern und „Ausländern“ unterschied. In der aktuellen Weltrangliste findet man unter den Top 16 ausschließlich Spieler aus Südkorea. Erst auf Platz 17 findet man einen „Ausländer“ – aus Norwegen.
Ein beliebtes Echtzeit-Strategiespiel
Bei einem Starcraft II-Turnierspiel tritt ein Spieler gegen einen anderen Spieler an. Es gibt zwar eine Mehrspieleroption, die bei Turnieren jedoch nur selten benutzt wird. Damit hebt sich Starcraft II von anderen RTS-Games wie Defense of the Ancients 2 (DOTA2) oder League of Legends (LOL) ab, die zu typischen Teamspielen gehören.
Ist der E-Sport überhaupt ein Sport?
Einige der Leser fragen sich bestimmt, ob so ein Spiel überhaupt als Sportart gezählt werden kann. Die Antwort darauf: Ja. Genauso wie das Schachspiel zum Denksport hinzugezählt und vom Internationalen Olympischen Komitee IOC als Sportart anerkannt wird, kann Starcraft als elektronischer Sport (E-Sport) gezählt werden. Der Körper verbraucht beim Denken viel Energie, wie man bei der legendären Schach-WM zwischen Anatoli Karpow und Garri Kasparow im Jahr 1984 sehr gut beobachten konnte. Karpow soll bei einem Spiel dieser WM mehrere Kilogramm an Gewicht verloren haben – dabei war er damals schon ziemlich schmächtig.
Wie bei einem richtigen Wettkampf gibt es bei einem Starcraft-Turnier Schiedsrichter und festgelegte Regeln. Auch gehören gute Manieren zum guten Ton. So gibt man sich geschlagen, in dem man „gg“ (steht für „good game“) tippt und aus dem Spiel rausgeht. Einfach so aus dem Spiel rausgehen ohne „gg“ (Fachausdruck: rage quit) ist schon so etwas wie das Ausschlagen des Händedrucks nach einem Schachspiel.
Seit einiger Zeit kann man die eigenen Einheiten tanzen lassen, um den Gegner zu demütigen. Das entspricht ungefähr dem Verhalten des französischen Hindernisläufer Mahiedine Mekhissi-Benabbad, der bei der Leichtathletik-EM vor dem Zieleinlauf sein Trikot auszog, um seine Gegner zu demütigen. Zwar ist diese Unsportlichkeit bei einem Starcraft-Spiel nicht verboten. Bestraft wurde sie trotzdem einige Male, weil der Gegner das Spiel doch noch umdrehte und am Ende sogar das Spiel gewann.
Heimlich in den PC-Bangs
In Südkorea gibt es schon lange eine gut ausgebaute Internet-Infrastruktur und in fast jeder Ecke findet man ein PC-Bang (Internetcafé). Als im Jahr 1998 Starcraft veröffentlicht wurde, verbreitete sich das Spiel rasend schnell im ganzen Land. Die Eltern sehen es zwar nicht gerne, wenn ihre Kinder vor dem PC sitzen und spielen – schließlich sollen sie lieber lernen und gut in der Schule sein. Aber die wenige Freizeit, die die Kinder haben, verbringen viele von ihnen am liebsten mit den Kumpels in PC-Bangs. Manche tun das heimlich, auch mit der Gefahr von den Eltern Prügelstrafe zu bekommen.
Viele Südkoreaner leben in Großstädten. In der Megastadt Seoul leben allein rund 10 Millionen der fast 50 Millionen Einwohner Südkoreas. So ist es kein Wunder, dass die Menschen dort kaum Geduld haben. Alles muss schnell gehen. Diese Ppalli-Ppalli1-Kultur hat sich wohl auch bei den Computerspielen manifestiert. So sagt der GSL2-Manager Chae Jung-won, der selbst früher ein guter Zerg-Spieler3 war, in dem Buch „The Birth of Korean Cool: How One Nation Is Conquering the World Through Pop Culture“ von Euny Hong, dass die Südkoreaner schnelle Spiele mögen und sehr wettbewerbsorientiert denken. Es käme noch hinzu, dass Starcraft bei ihnen förderlich sei, in ihrer sozialer Umgebung zu spielen: Viele Starcraft-Begeisterte spielen gegen ihre Freunde mit der Motivation, besser zu sein. Die wettbewerbsorientierte Gesellschaft spiegelt sich selbst in einem Computerspiel wie Starcraft II wider. Wer ist der beste Starcraft-Spieler im PC-Bang? Wer ist der Beste im Bezirk X in Seoul? Die Europäer hingegen spielen lieber zuhause in ihrem Zimmer – zumal die Internetcafés auch nicht so billig sind wie in Südkorea.
Dort sind die Nutzungsgebühren der PC-Bangs nämlich spottbillig – wohl auch, weil der Betrieb wegen der niedrigen Strom- und Personalkosten sehr niedrig ausfällt. Dort findet man auch mindestens Automaten für kalte und heiße Getränke. Manche Kunden bestellen sogar einen kleinen Imbiss.
Starcraft verbreitet sich
Mit der Verbreitung von Starcraft dachten sich einige Leute, dass man die Sache auch kommerziell nutzen könnte. Es wurde eine Profi-Liga für Starcraft-Spieler gegründet, professionelle Teams wurden gebildet und große Sponsoren gefunden. Die Preisgelder stiegen an und der Schneeballeffekt setzte sich fort. Auch in Deutschland wurde Starcraft immer bekannter. Allerdings war das Spiel hierzulande nie so populär wie in Südkorea, es gab keine Profi-Liga für Starcraft und als Freizeitspieler konnte man nicht so gut werden wie ein Profispieler in Südkorea. Mit dem Erscheinen von Starcraft II – Wings of Liberty änderte sich das in Europa. Auch auf unserem Kontinent gibt es nun eine Profi-Liga und einige Profis aus Südkorea kommen nach Europa, weil es hier für E-Sportler inzwischen lukrativer geworden ist. So gibt es viele kleine Online-Events (sogenannte Cups), bei denen man etwas dazu verdienen kann. Außerdem finden weltweite Events statt, beispielsweise die Intel Extreme Masters oder die Dreamhack.
GSL-Finale 2012 Season 2 Set5: MVP vs Squirtle – Beide Spieler zeigen, was im Starcraft II möglich ist. Selbst die Kommentatoren sind außer Rand und Band.
Sowohl für die europäischen als auch südkoreanischen Spieler ist es gewinnbringend, dass die ostasiatischen Spieler hier spielen. Europäer lernen die Tricks von den südkoreanischen Kollegen kennen und die Profis aus Asien lernen besser Englisch zu sprechen. So sorgte der Gewinn von Patrick Brix alias Bunny aus Dänemark gegen den Südkoreaner Ko Seok-hyun alias Hyun beim Gfinity G3 Finale in London für Furore und man konnte die sprachliche Entwicklung von Jang Min-chul alias MC (auch „Boss Toss“ genannt, weil er lange Zeit der beste Protos-Spieler war) in den auf Englisch geführten Interviews beobachten.
Reich als E-Sportler
Nun stellt sich die Frage, wie man allein mit Computerspielen sein Lebensunterhalt bestreiten kann. Top Starcraft-Spieler können bis zu 500.000 US-Dollar an Preisgeldern einfahren. Auch Teams von großen Sponsoren wie Samsung, KT oder SK werden gut versorgt: Sie bekommt die Unterkunft gestellt, eine Köchin sorgt für gesundes Essen und es gibt in solchen Teams sogar Spezialisten, die besondere Taktiken entwickeln, um die die Profispieler sich nicht kümmern müssen. Kleinere Teams oder Profigamer ohne Sponsoren haben es allerdings nicht sehr einfach. Sie versuchen über die Preisgelder im Ausland sich etwas dazuzuverdienen und weitere Nebenverdienste durch Streaming und Nachhilfe zu generieren. Im E-Sport ist es also nicht anders als bei den anderen Sportarten wie Golf, Fußball oder Boxen: Es gibt wenige, die einen Großteil des Kuchens abbekommen. Der große Rest darf sich um die „Krümel“ streiten.
Gaming verpönt
In Deutschland ist der E-Sport trotz der boomenden Branche anscheinend weiterhin größtenteils verpönt. Die Pädagogen fordern das generelle Verbot von Ego-Shootern und fühlen sich bestätigt, wenn es irgendwo in dieser Welt zu einem Amoklauf kam. Mit dem Image der an einer Spielekonsole oder PCs zockenden Zeitgenossen ist es nicht gut bestellt, wie auch Nutzer Ezyr im Forum ComputerBase enttäuscht feststellt.
Sicher, es gibt auch negative Aspekte des E-Sports. So leiden immer mehr junge Leute an chronischen Handgelenkentzündungen sowie an Hals- und Rückenbeschwerden. Andere haben Sucht-Probleme. Psychologen haben heute immer mehr mit Suchtpatienten zu tun, die nach Computerspielen, Internet und der Nutzung von Smartphones süchtig geworden sind. Andererseits sollte man nicht alles verteufeln, denn es gibt durchaus auch positive Aspekte an der wachsenden E-Sport-Szene: So bringen Spiele wie Starcraft verschiedene Kulturen zusammen, Menschen können ihre Reaktionsfähigkeit verbessern und dadurch vielleicht den Alterungsprozess verlangsamen. Denn Starcraft ist nichts anderes als ein Schachspiel in Warpgeschwindigkeit.
Torsten meint
cool, ein E-Sport Artikel auf Juiced :D
Den letzten Abschnitt würde ich so übrigens nicht unbedingt stehen lassen. Was den Profi-Bereich angeht, ist dieser in Dtld nicht unbedingt ganz vorne und erst recht nicht bekannt (kommt aber auch auf das Game an), aber Casualgaming ist auch in Dtld besonders verbreitet (nach Einführung der Wii kam doch mal irgendwann raus, dass nun auch vermehrt Frauen zocken würden).
Sehr passend zu dem Artikel gibt es übrigens eine Gaming-Doku, die vor einiger Zeit auf Steam released bzw. von Valve produziert wurde: Free to Play. Gezeigt werden die Vorbereitungen (und das Leben) und das Turnier aus Sicht von 3 jugendlichen Profispielern aus 3 verschiedenen Ländern.
Torsten meint
oh, peinlich, könnte ein Admin/Mod bitte meinen Kommentar sinnvoll formatieren und diesen hier löschen? wäre voll liep!
JUICEDaniel meint
:) Done.