Kinderkriegen ist definitiv und unangefochten eine Frauensache. Da stand ich nun, der Mann, am Rande und versuchte irgendwie an der Geburt meines Sohnes teilzuhaben. Ich unterstützte und sprach meiner Frau so gut ich konnte zu. Doch am Ende war dies vielmehr ein hilfloses Zuschauen.
Es wird eine Geburt geben. Den Beweis erbringen inzwischen nicht mehr nur die Ultraschallbilder. Und es wird immer offensichtlicher: Da wächst etwas, das bald schlüpfen will. Meine Frau, inzwischen hochschwanger, ist in den letzten Monaten nicht nur körperlich, sondern auch an Bedürfnissen expandiert. Für mich als werdender Vater tut sich außer der Mehrarbeit allerdings nicht viel. Es kommt mir vor wie eine Blockade im Kopf.
Ab und zu helfe ich etwas mehr im Haushalt, unterwegs schleppe ich alles und wir halten an der einen oder anderen Bank an – das lange Stehen ist nichts für Schwangere. Im Allgemeinen ist das keine große Leistung meinerseits, sehe ich doch, wie sich meine Frau zum Ende hin (oder zum Anfang?), mit allem – sei es Laufen, Sitzen, Schlafen – so abmüht. In ihrem Kopf scheint es nur Geburt, Hebamme, Stillen, Kinderklamotten zu geben. Sie wird mehr und mehr zur Mutter – und das rechtzeitig.
Meine Gedanken hingegen schweifen immer wieder fragend und jetzt doch etwas ängstlich um diese Selbstständigkeit, die ich nun kurz nach Abschluss meiner Bachelorarbeit anstrebe. Meine Gedanken drehen sich um ein geregeltes Einkommen, finanzielle Absicherung und all diesen Mist. Mir wird klar: Mit deiner Jugend ist es jetzt endgültig vorbei. Selbst Schuld. Du Trottel. Bafög ist auch nicht mehr und meine Frau hatte ihre Arbeitsstelle gekündigt, damit wir ein halbes Jahr nach Neuseeland gehen konnten. Danach, im vierten Monat schwanger, bekam sie als Erzieherin keine Stelle mehr. Irgendetwas von wegen krankheitsgefährdet, zu hohes Risiko krankgeschrieben zu werden etc. war die Begründung. Somit ist auch das Elterngeld dahin.
„Wir sind schwanger. Wir werden Familie.“
Erstmals trifft mich dieses Gefühl der Verantwortung einer Familie, meiner Familie, gegenüber. Denn das ist genau, was hier passiert: „Wir sind schwanger. Wir werden Familie.“ Ich beiße meine Fingernägel. Wenn ich es gedanklich schon wieder nicht begreife, so merke ich doch, dass eine Veränderung stattgefunden hat. Eine Veränderung, die mich auf einen Lebensweg schiebt, der nicht alles halten wird, was ich mir für die nächsten Jahre gewünscht hatte. Und dazu kommt so Vieles, von dem ich absolut null Ahnung habe. Was bedeutet Vatersein? Welche Werte möchte ich weitergeben, vorleben? Welche Werte habe ich denn überhaupt? Wie möchte ich mein Kind erziehen? Darf man überhaupt noch erziehen? Was heißt das eigentlich, erziehen? Und wie stellt meine Frau sich das vor? Wie wickelt man denn überhaupt so ein kleines Kind? Wie hält man ein Baby? Ich bin völlig ahnungslos. Dann schiebe ich das alles wieder zur Seite – ich bin doch erst 25! Keine Zeit für solche Sorgen. Das Leben ist schön! Und weiter geht’s! Ein netter Versuch.
Was meine Frau und ich jedoch teilen, ist die Frage: Werden wir gute Eltern sein? Immer wieder versichern wir uns: Ja. Klar. Wieso denn nicht? Aus uns ist doch auch etwas geworden. So schlecht waren unsere Vorbilder scheinbar nicht! Immer schön die Ohr’n steif halten! Gut, das hätten wir auch abgehakt.
Dann gibt es noch diese Geburtsvorbereitungskurse. Meine Frau drängt mich, dabei zu sein. Ich gehe mit, auch wenn sich in mir alles dagegen sträubt. Schon draußen vor der Tür knirsche ich mit den Zähnen. Im Schaufenster hängen ausgeglichene, vor Lebensfreude strotzende Frauen in Fitnessmontur, im Schneidersitz, Augen geschlossen, ein Lächeln im Gesicht. So geht also Geburt. Ich versuche, meiner Frau zuliebe, mir nichts anmerken zu lassen. Aber sie weiß Bescheid. Wir gehen rein. Immer schön lächeln und winken, denke ich und schließe wortlos einen Pakt mit den anderen Männern. Die sind mit Sicherheit genauso scharf darauf gemeinsam im Rollenspiel zu schnaufen und zu prusten und in verschiedensten Stellungen seiner Frau nach Instruktionen der Trainerin vom Schaufensterplakat sein Kind zu entlocken. Stellungen, die sich keiner von uns auch nur in den kühnsten Träumen oder peinlichsten Vorstellungen von solch einem Kurs hätte ausmalen können. „Du schaffst das! Einatmen, ausatmen. So stolz auf dich. Einatmen, ausatmen.“ Wie lange geht so eine Geburt? „Eh, ja, weiter so. Einatmen, ausatmen.“ Und da sind doch Hebammen und Ärzte, oder? Wozu muss ich dann diese Anweisungen geben? Hört meine Frau sonst auf zu atmen? „Einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen, nicht vergessen, einatmen, ausatmen…“ Ich entscheide mich, was bleibt mir anderes übrig, ohne Komik mitzumachen und die Vorstellung zu genießen. Großes Kino.
Anhand eines maßstabgetreuen weiblichen Beckens bekommen wir noch vorgeführt, wie sich das Baby mehrmals dreht, um durch den Geburtskanal – herrliche Terminologie – zu passen. Wieder was gelernt. Erstaunlich, wie sich meine anfängliche Skepsis in ehrliches Interesse und Staunen verwandelt hat. Schade nur, dass der Kurs so aufgebaut ist, dass die Frauen mehrmals dieses Vergnügen haben, die Männer aber nur einmal. Abgehakt.
Kinderwagen kaufen. Abgehakt. Beistellbett besorgen. Abgehakt. Windeln, Stillkissen, Spucktücher, Mützchen, Söckchen, Strumpfhosen, Bodys, Schlafsack. Abgehakt. Wir wappnen uns für den Ernstfall. Komme was wolle. Wir sind bereit.
Mit Wehen im Taxi durch Neukölln
Früh morgens, um fünf Uhr, weckt mich meine Frau. Am Tag vorher waren wir noch den Teufelsberg hoch gelaufen. Sie scherzte, ob es wohl heute Nacht losgehen würde. Jetzt hat sie Vorwehen. Wir warten ab, versuchen uns noch ein wenig auszuruhen. Wenn die Wehen regelmäßig alle fünf Minuten kommen, sollte man ins Krankenhaus – wenn man denn im Krankenhaus entbinden möchte. Aus irgendeinem Grund bleiben wir trotz der Regelmäßigkeit, die ich alle fünf Minuten überprüfe, noch zuhause. Mittags packt uns dann doch die Nervosität und wir rufen ein Taxi. Mit Wehen im Taxi durch Neukölln. Wir versuchen nonchalant zu wirken – was natürlich absurd ist. Der Taxifahrer lässt uns am Haupteingang raus.
Jetzt geht’s also los. Neun, zehn Monate schwanger, fleißig für zwei essend, erwartend, in guter Hoffnung am demografischen Ausgleich arbeitend. Jetzt ist fertig.
Wir warten knapp anderthalb Stunden bevor ein Arzt sich die Lage anschaut. Die Sache läuft nicht, wie ich es mir vorgestellt habe. Wir haben doch den Fünf-Minuten-Abstand! Dachte rein in‘ Kreißsaal, raus mit Kind. Wir sollen erst mal Spazieren gehen, vielleicht was Essen, heißt es jedoch. Meine Frau bricht gleich entzwei und wir sollen nochmal kurz in die Cafeteria?!
Ich hol mir einen Kaffee. Meine Frau will nichts. Alle paar Minuten schiebt sie sich, schmerzverkrampft und hilflos, an der dunkelroten Kunstlederlehne hoch. Wir sind nicht die Einzigen, denen es so ergeht. Allerdings wollte ich umgekehrt auch nicht einfach so in dieser Kantine ’nen Kaffee trinken, während sich hier und da die ein oder andere Frau in nicht zu übersehender Vorbereitung auf die anstehende Geburt befindet. In der Sitzecke hinter uns sitzt ein älteres Paar. Sie liest Zeitung: „Was ist das nochmal, dieses G-o-o-gle?“ „Das ist doch das mit dem Internet.“ Wahnsinn. Ich amüsier‘ mich prächtig. Meine Frau hat keinen Nerv dafür. Wir gehen wieder runter, um auf einen Platz im Kreißsaal zu warten.
Wieder CTG – Kardiotokografie, Herzfrequenz des Kindes und Wehentätigkeit der Mutter in Ordnung. Um halb sechs abends – nach vier, fünf Stunden des Wartens – kommen wir in den Kreißsaal.
Bis meine Frau sich doch für eine PDA – Periduralanästhesie, wobei Schmerzen durch ein Betäubungsmittel im Wirbelkanal des Rückens blockiert werden, man sich im Optimalfall jedoch noch gut bewegen kann – entscheidet, vergehen viele Stunden. Verschiedene, noch aus dem Geburtsvorbereitungskurs bekannte Strategien werden durchexerziert. Nichts passiert. Wir stecken fest.
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Super geschrieben, David. Bei uns ging es etwas anders, und wie ich so gelesen habe, habe ich auch gemerkt wie meine Frau und ich auch einiges verpasst haben. Wie du sagtest, Leben kostet was. Diese Wahrheit wurde mir auch ganz klar, und jetzt auch mit Erziehen. Grüße an deiner tollen Frau!
Lieber John, vielen lieben Dank für Deinen Kommentar. Ihr habt ja Eure eigenen Erfahrungen gemacht – und damit sicherlich nichts verpasst!
Gelungener Artikel David! Die meisten Artikel zu dem Thema sind entweder nicht aus der Sicht eines Mannes geschrien oder zu überzogen humoristisch. Danke für die spannende & ehrliche Beschreibung! Tobz
Freut mich zu hören, dass es nicht zu humoristisch ist – ein bischen Spass muss ja sein, aber ich hoffe auch, dass deswegen das Ehrliche nicht auf der Strecke bleibt. Danke darum für Deinen Kommentar! Ich hoffe dem weiterhin gerecht zu werden.
Ich bin nicht schwanger, wünsche mir aber Kinder. Mich umtreiben aber dieselben Sorgen wie dich. Werde ich gut für mein Kind sorgen können? Wie sollen mein Freund, ich und das Kind zusammen überleben?
Schön, dass Du Dir Kinder wünschst! Das ist wirklich eine erfüllende Sache. Ich will hier keinen Ratgeber spielen, trotzdem wünsch ich Dir Erfüllung Deines Wunsches zur richtigen Zeit – und überleben werdet Ihr es bestimmt auch!
Na herzlichen Glückwunsch! Ich finde mich in sehr vielen Punkten des Artikels wieder, sowohl vor als auch während der Geburt, war bei meiner Frau ganz ähnlich.
Jetzt 2 Jahre später kann ich nur sagen, das wird ne geile Zeit! Anstrengend hier und da, aber wenn dich dein Wurm dann anlächelt und dir später „Papaaaaaaaaaa“ rufend entgegegen kommt gibt es nichts besseres mehr auf der Welt.
Was kann man dazu noch sagen – danke! Ich bin weiterhin gespannt. So ein Kind entwickelt sich offenbar sehr schnell und es gibt fast jeden Tag auch etwas Neues und Schönes zu erleben. Jetzt bin ich auch Papa, wow.
„Welche Werte möchte ich weitergeben, vorleben?“ „Vorleben“, das ist das eigentliche Problem. Vieles von dem, was hier angesprochen wird, ist nicht von Dauer. Das mit den Windeln z. B. geht relativ schnell vorbei (2-3 Jahre), nach ein paar Monaten kann man wieder leidlich durchschlafen, Vorleben aber ist nahezu ein 24 Stunden Job, etwa 20 Jahre lang. Was man von Kindern verlangt, muss man nämlich selbst erst einmal leisten. Es macht sich z. B. nicht gut, wenn man auf dem Fernsehsessel sitzend, Bier und Fernbedienung in den Händen, von den Kindern verlangt sie sollten nicht immer am PC hängen, sondern ‚mal raus, sich mit Freunden treffen oder Sport treiben. Der Einsatz lohnt sich aber m. E. Man bekommt tatsächlich unglaublich viel zurück.
Ja, das ist wohl – und man bekommt es ja immer wieder gesagt – was sehr, sehr viel zählt, das „Vorleben“. Leider bin ich ja noch lange kein perfekter Mensch (was ist das überhaupt schon wieder für ne Floskel?) und erwarte auch nicht das irgendwann zu sein. Meinst du, ehrlich zu sein ist noch wichtiger, als allezeit „das Richtige“ vorzuleben? Du hast Kinder? In welchem Alter, wenn ich fragen darf?
Sehr spannend, eine Geburt mal durch die Augen eines Mannes zu sehen. :)
Ich war bei der Geburt meines Kindes so auf mich, meine Schmerzen und das bevorstehende Ereignis fixiert, dass ich meinen Mann eigentlich kaum wahrgenommen habe. Sicher fühlt man sich beschützt und aufgehoben, wenn der Partner die Geburt hautnah begleitet. Im Endeffekt muss man als Frau aber selbst irgendwie die Schmerzen durchstehen, denn die kann einem niemand wegnehmen. Ich finde es schön, wie du erklärt hast, wie du durch die Geburt die Kostbarkeit eines Lebens erkannt hast. Bei uns war es nicht anders, mit einem Kind im Arm merkt man erst so richtig, welche große Verantwortung man nun eigentlich trägt. Aber auch wie angewiesen das kleine Würmchen auf dich und deine Fürsorge ist, sein Leben liegt sozusagen in deinen Händen. Auch wenn die schlaflosen Nächte und das nervtötende Schreien manchmal anstrengend war, bereue ich das Muttersein in keinster Weise. Ein Kind gibt dem Leben erst Sinn irgendwie, und für die schönen Momente wie das erste Lächeln würde ich alle Strapazen noch einmal auf mich nehmen. In dem Sinne wünsche ich euch ein schönes Eltern-Sein. :)
Da ist sie wieder, die Verantwortung. Aber wie du sagst, auch ein lebenserfüllendes Privileg. Ein sehr schönes Bild: „Sein Leben liegt in deinen Händen.“ Danke.
Wunderschön geschrieben, jetzt sitze ich hier mit zerlaufener Wimperntusche, vielen Dank! ;)
Ja, was zählt ist, dass der Mann dabei war. Total!
Ein Tag, der das Umkrempeln eines ganzen Lebens symbolisiert – da muss man einfach dabei sein. Schön, dass Du es auch so siehst.
Wirklich schön geschrieben, danke für diesen Erfahrungsbericht. Und euch dreien alles, alles Gute!
Danke! Selbst schon diese oder ähnliche Erfahrungen gemacht? Da es bei jedem wohl etwas unterschiedlich verläuft würde mich sehr interessieren, wie es bei dem ein oder anderen von Euch war!
Huhu David,
das ist wirklich sehr schön was du geschrieben hast und obwohl ich eine Frau bin, kann ich mich in deinen Ängsten und in deiner Lebenseinstellung sehr gut wiederfinden.
Ich selbst bin erst 21 und bekomme jeden Moment mein erstes Kind :D
Es war mein Wunsch mit meinen Kind zuwachsen und die Freiheit einer Jungen Mama im Studium genießen zu können. Viele Menschen schauen einen komisch an, wenn man mit einer Runden Kugel und anfang 20 etwas von Studium und Karriere erzählt. Gerade auch in meinem Bereich (Film und Fernsehen)
Auch ich frage mich immer wieder was ich mir wohl dabei gedacht habe. Man weiß nie, ob es die richtige Entscheidung war und was man alles verpasst.
Aber das macht das leben doch zu einer ganz besonderen Herausforderung die nur wenige erleben dürfen. Viele können von Saufentouren usw. erzählen…
Aber wir haben die dafür Kinder die uns so vieles mehr geben… mit dehnen wir die nächte gemeinsam durchmachen und Tagsüber durch die Wohnung turnen (ohne schmerzen)
Und wir können den Superman Body passend zu unseren Superman T-Shirt kaufen, ohne schief angeschaut zu werden :D
Zu allen sorgen und ängsten fällt mir mittlerweile nurnoch ein kräftiges und lautes: „Tschakkaaa!!!“, ein.
Viel Glück euch drein :-)