Zur großen Google-Titelstory in der Januar-Ausgabe des Spiegels gab es auch ein kurzes Interview mit Philipp Schindler (39)1, Google-Chef für Nord- und Zentraleuropa, das neben viel Blabla zwischen den Zeilen auch bedenkliche interessante Ansichten offenbart. JUICED hat das Interview für euch analysiert.
Schindler: Wir sammeln nicht Daten, um einen Machtanspruch zu befriedigen oder um Menschen zu kontrollieren. Wir nutzen Daten, damit wir für unsere Kunden einen Mehrwert schaffen können.
Damit sie für uns einen Mehrwert schaffen können? Nette Antwort, aber mal ehrlich: Wer glaubt denn sowas? Schauen wir der Wahrheit doch mal ganz nüchtern ins Auge: Ein Unternehmen hat zunächst einmal das Ziel oder den Anspruch an sich selbst, seine eigene Existenz zu sichern. Das tut Google mithilfe von kostenlosen Diensten für ihre Nutzer/Kunden. Als Gegenleistung bekommt Google deren Daten. Die Daten nutzen sie also zwecks Absicherung der eigenen Existenz2 (= Egoismus) und nicht zwecks Kundenmehrwert (=Nächstenliebe).
Doch auf eine äußerst geschickte Weise verdreht Schindler hier die Sachlage, stellt Google plötzlich in ein positives Licht und will den Lesern Honig ums Maul schmieren. Aus seiner Sicht hat er alles richtig gemacht – wie gesagt: eine nette Antwort.
Schindler: Wir leben in einer Zeit, in der wir permanent und überall Datenspuren hinterlassen, ob wir Geld abheben oder mit einer Kreditkarte bezahlen.
Stimmt, Herr Schindler. Aber Sie haben dabei eines unterschlagen vergessen: Wir tun das alles nicht nur bei einem einzigen Anbieter. Das ist ein großer Unterschied.
Schindler: Sie als Konsument haben doch die Wahl: Bieten wir Ihnen einen solchen Mehrwert, dass Sie bereit sind, eine Information über sich preiszugeben oder nicht?
Erneut eine geschickte Antwort. Aber leider hat die Sache auch hier einen Haken, besser gesagt zwei: Zunächst einmal haben wir nicht „doch“ sondern „noch“ die Wahl. Wenn Google mit seiner Kostenloskultur weiterhin seine Mitstreiter aus dem Wettbewerb verdrängt3, haben wir bald bei vielen Diensten keine Wahl mehr.
Die zweite Hälfte des Satzes sollte der Verständlichkeit halber lauten: „Bieten wir Ihnen einen solchen Mehrwert, dass Sie bereit sind, mit einer Information über sich zu bezahlen oder nicht?“ Im Klartext sagt Schindler nämlich: Bei Google bezahlen wir mit unseren Daten. Und das sollte uns vorsichtig oder zumindest nachdenklich machen. Denn es zeigt, dass unsere privaten Nutzerdaten Google mehr wert sind als Geld.
Spiegel: Warum tilgen Sie nicht einfach alle Spuren einer Suche?
Schindler: Wir anonymisieren die Suchdaten nach neun Monaten, das heißt, Ihre gespeicherte IP-Adresse wird so verfremdet, dass sie nicht mehr einem Rechner zugeordnet ist.
… sondern „nur“ noch 256 Rechnern – immer noch einen sehr geringe Begrenzung, die leicht wieder eingegrenzt werden könnte.
Die abschließende Frage von Spiegel, ob Schindler im Falle einer Bewerbung bei der Konkurrenz sein Google-Mail-Konto nutzen würde, antwortete er:
Schindler: Selbstverständlich, warum denn nicht? Da liest kein Mensch von Google mit – nur die Google-Rechner tun das, um Signalwörter in Ihrer elektronischen Post mit Werbung zu verbinden. Aber das ist nicht weiter bedenklich. Ein Virenscanner geht Ihre sonstigen Mails doch auch durch.
Erst einmal: Ob es bedenklich ist oder nicht, würde ich gerne selbst entscheiden. Trotzdem netter Versuch. Dann: Ein Virenscanner erfasst nur einen Bereich, sendet in der Regel nicht gleich den ganzen Inhalt der Mails an eine zentrale Datenbank (und schon gar nicht alle Daten) und speichert die Daten nicht alle auf seinem eigenen Server. Google hingegen erfasst auch zahlreiche andere Bereiche (Suchanfragen, Videos, Termine, Webseiten etc.) und speichert sie extern auf seinen eigenen Servern. Von Millionen Nutzern weltweit. Da kann kein Antivirenhersteller auch nur annähernd mithalten.
Fazit: Schindler lügt nicht. Alles, was er sagt, scheint wahr zu sein. Aber er lässt viele weitere Wahrheiten einfach weg, die kein gutes Bild auf Google werfen würden. Das ist sein Job und den macht er gut. Doch ich als Nutzer bevorzuge es, ein möglichst vollständiges Bild von Google zu haben. Nur so kann ich mir eine fundierte Meinung zu dieser Thematik bilden. Glücklicherweise verraten einige Interviews mit ein bisschen Hintergrundwissen zwischen den Zeilen mehr als manch einem lieb sein könnte.
Leser-Interaktionen