»Das gedruckte Buch ist altmodisch und verstaubt – sagt schon mal Tschüss, denn bald wird es uns für immer verlassen!« Das haben uns Technik-Geeks und Lifehack-Apostel schon viel zu oft erzählt. Aber muss Unsinn nur pausenlos wiederholt werden, damit ihn alle glauben? Schluss damit. Das Buch wird bleiben und deshalb ist es Zeit für einen frischen Blick auf dieses alte, wunderbare Medium.

Buch oder eBook, Print oder Digital? Überall diskutieren Leute darüber, was besser ist. Dabei werden die immer gleichen Argumente ausgepackt (»Auf ein eBook-Gerät passen hunderte Bücher. Beim Umzug musst du nie wieder schwere Bücherkisten schleppen!« – »Das Papier fühlt sich doch so toll an, bedeutet dir die Handerotik beim Lesen denn gar nichts mehr?«). Aber ist diese Diskussion wirklich sinnvoll? Können wir Print und Digital überhaupt gegeneinander in Stellung bringen? Kann man Äpfel mit Birnen vergleichen? Oder Autos mit Zahnspangen? Hier geht es nicht bloß um verschiedene Medien, es geht um verschiedene Konzepte. Analog und Digital sind völlig unterschiedliche Ideen, deshalb ist die Frage bereits im Ansatz schwierig zu beantworten. Wir wissen doch schon lange: »The Medium is the Massage.«* Der Träger der Nachricht beeinflusst die Botschaft, das Medium ändert alles.
Der Gestalter Otl Aicher hat Anfang der Neunzigerjahre ein Buch darüber geschrieben. Es heißt »analog und digital« (komplett in Kleinbuchstaben geschrieben; der Mann hielt Großschreibung für unmenschlich und tyrannisch.) Aicher war ein durch und durch analoger Typ. Für ihn waren Ideen und Gedanken dazu da, etwas mit eigenen Händen in die Welt zu bringen. Seinen Studenten an der Ulmer Hochschule für Gestaltung brachte er stets zuerst bei, den Bleistift richtig zu spitzen. In »analog und digital« kommt ein ausgezeichnetes Beispiel vor, dass man auch auf Bücher und eBooks übertragen kann: Die Unterschiede zwischen Straßenkarte und Navigationscomputer.
Ganz klar, das Navigationsgerät hat praktische Vorteile – es führt uns schnurstracks ans gewünschte Ziel, das musste selbst Otl Aicher zugeben. Aber der Computer bietet nur Funktion. Daneben passiert nicht viel, das »Reiseerlebnis« bleibt eindimensional. Wer dagegen eine Straßenkarte benutzt, macht eine Reihe beachtenswerter Prozesse durch: Zuerst muss der Reisende die Straßenkarte studieren und bekommt dabei einen Eindruck von der umliegenden Landschaft und der Lage seines Ziels. Er liest die verschiedenen Orts- oder Straßennamen, die Geschichte und Kultur der Region widerspiegeln, tüftelt eine Route aus und überlegt, welcher Weg der günstigste ist. Vielleicht fällt ihm dabei auf, dass ein Ort auf der Strecke liegt, den er immer schon einmal besuchen wollte. Und wenn er trotz Karte einmal nicht mehr weiter weiß, hält er an, um jemanden nach dem Weg zu fragen. Dabei kann er die originellsten Begegnungen haben, Geheimtipps von Einheimischen bekommen und Neues kennen lernen. Das Navi führt ihn dagegen direkt ans Ziel – mehr nicht.
Beim gedruckten Buch ist es ganz ähnlich wie bei der Straßenkarte: Natürlich hat das Buch gegenüber dem eReader ein paar unpraktische Nachteile. Aber Leute, was für Vorteile, wenn wir endlich aufhören immer nur praktisch zu denken!
Wer einen eReader besitzt, ist nie mit nur einem Buch alleine. Was für die meisten ein Trumpf ist, kann ein großer Schwachpunkt sein: Gefällt einem das Buch nicht, das man gerade liest, springt man weiter zum nächsten oder übernächsten – mit nur einem Klick. Wie viele Bücher werden nun nicht mehr zu Ende gelesen! Kürzlich erschien eine Studie, die die jämmerlichen Zahlen von tatsächlich fertig gelesenen eBooks offenbarte. Wer aber im Urlaub nur ein oder zwei Papier-Bücher dabei hat, wird sich vielleicht überwinden, dran bleiben, um dann von dem Buch, das er digital nie zu Ende gelesen hätte, doch gut unterhalten worden sein. (Apropos Urlaub: Es soll tatsächlich Pärchen geben, die am Strand nicht mehr gemeinsam schwimmen gehen, weil immer einer auf den teuren eReader aufpassen muss.)
Das Buch ist eines der beliebtesten Geschenke. 48 Prozent der Deutschen verschenken zu Weihnachten Bücher. Der Buchhandel erzielt etwa ein Viertel seines Jahresumsatzes in den wenigen Wochen vor Heilig Abend und jeder Branchenkenner weiß: Ohne Weihnachten wäre unsere Verlagslandschaft nicht überlebensfähig. Doch wie verschenkt man eBooks? Mit Gutscheinen oder Download-Karten. Nicht besonders originell. Ob sich diese unpersönliche Art, Lesestoff zu schenken, durchsetzen wird? Oder werden, wie bereits abzusehen, andere Produktkategorien das Buch ablösen?
Es ist immer spannend, was andere Menschen interessiert, was sie bewegt. Wer mit der Bahn fährt, sieht Leute lesen. Beim Buch kann einem ein erhaschter Blick auf das Cover etwas über den Leser offenbaren. Ein langweilig grauer eReader sagt nichts über seinen Besitzer. Die Mitreisenden bleiben farblos und ein spontaner Ansatz für ein Gespräch ist nicht mehr so leicht zu finden. Nicht dass jeder Mensch ein interessanter Gesprächspartner wäre … aber ab und zu ergeben sich in Deutschlands Zügen richtig tolle Gespräche – und oft war ein Buch der Auslöser dafür.
Überhaupt haben wir den Wunsch danach, zu zeigen, wer wir sind. Ist das schlecht? Vielleicht gehört es einfach zum Menschsein dazu. Jedenfalls zeigt das Magazin oder das Buch in unserer Hand, was wir für wichtig halten. Unser Bücherregal bietet einen Blick auf unsere Gedanken, Einstellungen und die Dinge, die uns beschäftigen. Was sagt ein eReader über seinen Leser? Nicht besonders viel. Schade.
Und so könnte man immer weiter machen … Bücher bringen Menschen zusammen und sorgen für Gesprächsstoff. Es geht nicht nur um praktische Vorteile. Analog steht für Interaktion mit der Welt, da passiert etwas zwischen dem Nutzer und seiner Umgebung. Digital ist praktisch und funktional – mehr nicht.
*Marshall McLuhan: The Medium is The Massage (eigentlich »Message«, doch Massage trifft McLuhans Gedanken noch besser).
Dies ist eine Antwort auf den Artikel „Warum ich einen Kindle benutze“.
Hallo Veli,
danke dafür, dass Du Deine Meinung hier veröffentlicht hast. Ich teile einige Teile Deiner Meinung. Jedoch habe ich einige Probleme mit Deiner Vermutung über die eBook-Leser.
Erst einmal ist es ganz emotionslos gesehen egal, wo Buchstaben, Wörter, Sätze und Absätze drauf stehen. Sei es auf Papier, auf einem Display mit LED-Hintergrundbeleuchtung, auf einer Tafel oder auf einem Blechschild – es geht immer um irgend welche Information. Wenn diese Information gelesen wird und beim Leser richtig angekommen ist, ist das Ziel erreicht.
Mit den Emotionen ist so eine Sache, darüber kann man streiten oder nicht. Auch gibt es bei traditionellen Lesern, die mehrere Bücher parallel lesen. Aber anderseits bei Ebook-Lesern gibt es Leser, die eher Buch sequenziell lesen – wie ich zum Beispiel. Nur wenn ich Recherche betreibe – sowohl bei der wissenschaflichen Arbeit als auch neuerdings für die journalistische Arbeit – lese ich mehrere Bücher gleichzeitig. Diese allerdings lese ich auch nicht immer von vorne nach hinten, sondern ich suche mir die Kapitel oder Passagen heraus, die ich für die Arbeit benötige.
Es ist richtig, dass gedruckte Bücher viel weniger kosten als ein Lesegerät und wer wird ein am Strand liegendes Buch schon klauen. Da ist wohl die Wahrscheinlichkeit viel größer, dass ein Kindle oder ein Tolino geklaut wird. Andererseits gibt es ja auch sehr wertvolle Bücher mit goldenen Lettern… ;)
Bevor ich mir ein Buch kaufe, schaue ich mir erst einmal an, worum es in dem Buch geht, überfliege die Inhaltsangabe (bei Lehr- und Sachbüchern) und lese mir die Rezensionen anderer Leser. Häufig lese ich mir auch einige Passagen durch um mir den Schreibstil des Autors anzusehen. Wenn ich mir das Buch aber erworben habe, lese ich mir das Buch auch. Aber ich gebe Dir Recht, dass nicht alle Leser so vorgehen. Wenn ich mir zum Beispiel einige Rezensionen bei Amazon durchlese, da steigt mein Blut in den Kopf. Einer schrieb über das Buch „Das geraubte Leben des Waisen Jun Do“ von Adam Johnson eine harsche Kritik. Das Buch sei eine Enttäuschung, und er vermutet, dass der Autor keine Ahnung von Nordkorea hätte und stellt seine Person über die Juroren des Pulitzer-Preises. Da hätte man doch ein paar Minuten mehr Zeit nehmen sollen, bevor man das Buch kauft.
Das Problem EBooks zu verleihen oder zu verschenken, sehe ich nicht als Problem an. Zumindest ist das kein technisches Problem, sondern ein politisches und emotionales Problem. Es gibt durchaus gute technische Ansätze auch EBooks zu verleihen (an den Uni-Bibliotheken wird das problemlos durchgeführt). Probleme gibt es wegen Rechteinhabern, die vor finanziellen Verlusten durch Raubkopien Angst haben. Daher wird die Verleihfunktion kaum angeboten. Ich habe gelesen, dass in den USA so etwas möglich sein soll. Mit dem Verschenken dürfte ebenfalls technisch kein großes Problem sein. Ich denke, es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Anbieter techsniche Lösung dafür haben. Zumindest kann man heute nur über Geschenkgutschein EBooks verschenken.
Und wenn Du argumentierst, dass ein EBook gar kein Cover hat und somit kein Gesprächstoff bietet. Naja, das möchten manche Leute auch gar nicht. Wenn sie im Zug lesen, wollen sie ungestört weiter lesen und nicht von seinem Gegenüber bequatscht werden um zu Quatschen kann man ja auch in die Kneipe gehen. ;)
Im Übrigen möchte man manchmal nicht, dass sein Platznachbar es erfährt, was man liest. Aber das passiert auch bei einem EBook. Vor wenigen Wochen stand ich bei einer Postfiliale in der Schlange. Vor mir stand eine junge Frau mit einem EBook und las darin. Ich konnte einige Zeilen erhaschen und wußte sofort, dass es sich um die englisch Fassung von „Fifty Shades of Grey“ handeln mußte…
Aber eine Sache gebe ich Dir zu, worin ein Buch unschlagbar ist. Es ist physisch vorhanden! Auch wenn man das Buch nicht gelesen hat, kann man damit ein wenig brüsten. Ich würde auch von einem Besitzer einer großen Buchsammlung wie Umberto Eco großen Respekt bekommen.
Ich denke jedoch, dass trotz des EBook-Hypes die gedruckten Bücher nochfür lange Zeit bleiben werden. Ich vergleiche das mal so: Viele Leute gehen immer noch gerne ins Kino, obwohl überall Blurays und Streaming-Dienste im Internet gibt. Die Gründe sind weil wir alle Menschen wohl Emotionen haben. Daher werden Bücher und Kinos noch lange leben.