Ein Bildband über Nordkorea? Das hat mir gerade noch gefehlt. Als jemand mit großer Leidenschaft für Nordkorea meine ich das durchaus ernst. Umso größer also mein Interesse an dem 224 Seiten schweren „North Korea – Anonymous Country“ von Fotojournalistin Julia Leeb mit zahlreichen Bildern, die beeindrucken.
Nordkorea ist mir ein Herzensanliegen. Seit 2006 beschäftige ich mich intensiv mit diesem Land, habe bereits Vorträge darüber gehört, bin für Shin Dong-Hyuk nach Berlin gereist (nur um ihn dort dann doch nicht zu treffen), habe mir Reportagen von Vice und ProSieben (Galileo) angeschaut, zahlreiche Bücher und Artikel darüber gelesen und auch selbst etwas dazu geschrieben. Hier auf JUICED gibt es ein ganzes Online-Dossier zu Nordkorea, um aufzuklären und zu informieren, was in diesem Land vor sich geht.
Was mir neben Vorträgen, Videos, Büchern und Artikeln noch fehlte, war ein Bildband zu Nordkorea. Ein Bildband, in dem das Land fotografisch dokumentiert und dadurch eine weitere Perspektive auf Nordkorea ermöglicht wird. Ja, es gibt bereits zahlreiche Webseiten und Blogs mit Bildern aus Nordkorea. Aber das ist etwas völlig anderes als sorgfältig ausgewählte, arrangierte und bearbeitete Bilder, die einen Gesamteindruck vermitteln sollen. Und genau das gelingt Julia Leeb mit „North Korea – Anonymous Country“ nahezu hervorragend.
Fangen wir mit den negativen Kritikpunkten an, dann haben wir das hinter uns:
- Fotojournalistin Julia Leeb reist gemeinsam mit zwei Kolleginnen mit einem Touristenvisum anstatt einem Journalistenvisum nach Nordkorea. Sie schreibt im Buch selbst, dass sie hierbei gelogen hat. Für mich trübt das den ansonsten positiven Gesamteindruck, da sie lediglich aufgrund einer Lüge an diese Bilder gekommen ist (und wir westlich-kapitalistischen Moralapostel im gleichen Atemzug viel Kritik am diktatorischen Nordkorea üben – auch wenn mir sehr wohl bewusst ist, dass das nicht vergleichbar ist. Aber Lüge ist nun mal Lüge.).
- Schade finde ich es auch, dass sie – wie fast alle anderen auch – lediglich an einer Guided Tour teilnimmt. Aufgrund der vorgegebenen Tour sind die Bildmotive und damit die Bildauswahl stark eingeschränkt. Daher muss ich davon ausgehen, dass Julia Leeb Nordkorea zwangsläufig (deutlich) positiver gezeigt hat, als das Land in Wirklichkeit ist. Das meine ich nicht in Bezug auf die Landschaften, sondern auf die Leute und ihre Lebenssituation.
- Wenn man noch ein weiteres Haar in der Suppe finden möchte, könnte man manche kleinen Bildbearbeitungsfehler bemängeln, die bei einem Buch von solcher Qualität und solchem Preis nicht vorkommen sollten – besonders gut zu sehen beim unvollständig unscharf maskierten Sonnenschirm auf S. 181.
Doch nun zu den Stärken des Buches – die deutlich überwiegen: die Bilder sind hervorragend, die Auswahl ist gelungen, die Beschriftungen sind kurzweilig. Ich habe mir das Buch über mehrere Wochen immer wieder angeschaut und mindestens zwei Stunden mit dem Betrachten der Fotos verbracht. Verglichen mit den Reportagen von Vice und ProSieben würde ich diesen Bildband jederzeit vorziehen und behaupten, dass man dadurch einen besseren Eindruck von Nordkorea bekommt. Bewegtbilder sind nicht immer stärker als Fotografien – vor allem dann nicht, wenn sie mit dramatischer Musik unterlegt werden, um künstlich Spannung zu erzeugen.
Das Buch ist in Architektur, Kultur und Menschen aufgeteilt. Innerhalb der drei Rubriken gibt es folgende Unterrubriken:
Architektur:
- Öffentliche Gebäude & Monumente
- Wohngebiete
Kultur:
- Öffentliche Veranstaltungen (Arirang-Festival!)
- Alltagsleben
Menschen:
- Pyöngjang
- Provinz
Diese Aufteilung halte ich für sehr gelungen. Julia Leebs Fotografien geben – trotz der oben genannten Einschränkung – einen guten Überblick über Nordkorea und man bekommt viele Facetten zu sehen, die man so vorher noch nicht kannte.
Lobenswert sind auch die kurzen, aber interessanten Vorworte und Leebs Einleitung, die allesamt genauso wie die Bildunterschriften durchgehend dreisprachig (Englisch, Deutsch, Französisch) sind.
Mein Fazit: Überragend? Nein. Bewegend? Nein. Beeindruckend? Ja. Die Wirkung der Bilder entfaltet sich vor allem im großen Format (26,2 x 32,4 cm) sehr gut. Jedes Bild erzählt eine kleine Geschichte, ergänzt die anderen Bilder sinnvoll und fügt eine weitere sehenswerte Facette zu diesem abgeschotteten Land hinzu. Auch gestalterisch ist „North Korea – Anonymous Country“ sehr schön geworden. Elegant, gekonnt und durchdacht. Für Nordkorea-Interessierte eine klare Empfehlung.
Julia Leeb, „North Korea – Anonymous Country“, teNeues, 28. Juli 2014, 224 Seiten, 79,90 Euro, ISBN: 978-3-8327-9843-7
Chris meint
Hallo,
soweit ich weiß, gibt es in NK ausschließlich Guided Tours. Also reist man mit ‚Aufpassern‘, die die Route und die Sehenswürdigkeiten vorgeben (wobei wohl Wünsche geäußert werden dürfen), oder gar nicht.
Und genauso verhält es sich, wieder soweit ich weiß, mit den Visa. Journalisten werden wohl nicht in’s Land gelassen, die Bilder hätten nicht entstehen können. Klar, eine Lüge bleibt es dennoch.
In letzter Zeit sind einige Beschränkungen gelockert worden (man darf wohl neuerdings sogar sein Handy behalten), es geht nicht mehr gar so streng zu, was man ja nicht zuletzt auch an den Bildern sieht, die erlaubt worden sind zu machen (ich weiß, manche auch heimlich). Aber bis sich ein Journalist frei in NK bewegen kann, wird es wohl doch noch ein wenig dauern.
Chris
JUICEDaniel meint
Ja, mit den Guided Tours tue ich mich sehr schwer. Entweder so oder gar nicht: Was soll man da als Journalist machen?
Wenn ich die Chance hätte, würde ich vermutlich auch lieber an einer Guided Tour teilnehmen als gar nicht zu reisen. Aber wo ist da der (journalistische) Mehrwert? Alle sehen dasselbe (das, was sie sehen sollen) und zeigen/berichten anschließend dasselbe (oder sehr Ahnliches). Julia Leeb ist es ja trotzdem gelungen, den einen oder anderen mir bisher unbekannten Aspekt aufzuzeigen, weshalb sich ihre Bildauswahl sehr lohnt. Und im Vergleich zum bisher Gesehenen halte ich ihr Bildband für eines der vielfältigsten und umfassendsten visuellen Möglichkeiten, sich einen Ersteindruck von Nordkorea zu verschaffen.
Der verlinkte Beitrag von ProSieben ist übrigens von einem Journalisten, der mit dem Journalistenvisum reingelassen wurde. Es geht also doch – wenn auch sehr schwierig und langwierig. Aber mit JUICED haben wir vermutlich keine Chance, eine solche Genehmigung zu bekommen. Und again: Auch hier war es lediglich eine Guided Tour, weshalb ich den Mehrwert einer solchen (PR-)Reise in Frage stellen muss.
Nico meint
Ich war schon mehrmals in Nordkorea (so ziemlich überall und alles was man als Ausländer besichtigen darf), kann also sagen, dass Frau Leeb’s Bilder sich zu 90% auf Pyongyang beschränken. Den Bildern nach, hat sie eigentlich sehr wenig von dem Land gesehen. Pyongyang stellt Nordkorea genauso wenig dar wie Paris Frankreich, insofern sollte der Titel eher ‚Pyongyang‘ lauten.
Letztendlich fand ich diese Bilder eher klischeehaft. Ihr ist es auch überhaupt nicht gelungen irgendeine Verbindung zu den Menschen herzustellen. Es gibt viel stärkere Sammlungen von u.a. Philippe Chancel, Eric Lafforgue sowie David Guttenfelder. Für mich also eher zwei Sterne.