Bekannt wurde er mit einem Video, in dem er einen Betrugsskandal bei der ZDF-Show „Deutschlands Superhirn“ aufdeckte. Zuletzt konnte man ihn bei YouTube täglich beim Gitarre lernen über die Schulter schauen. Im JUICED-Interview spricht Komponist Klaus Kauker über den allgemeinen Trend zu mehr Disco und Schlager, Taylor Swifts plötzlichen Image-Wandel zum Bubblegum-Sternchen und eine Dame, die die Musikwissenschaft vor große Rätsel stellt.

Herr Kauker, wann haben Sie das letzte Mal Radio gehört?
Ähm… (grübelt) Das ist fast eine Woche her. Ich habe im Bett gefrühstückt, da gehört es für mich dazu, meinen Lokalradiosender anzumachen.
Wegen den Nachrichten oder wegen der Musik?
Wegen allem eigentlich. Auch wegen der inhaltslosen Kommentare zwischen den Liedern.
Langweilt Sie die Musik, die im Radio läuft, als studierten Komponisten nicht?
Kommt drauf an, unter welchen Gesichtspunkten man das hört. Der harmonische Aufbau ist natürlich sehr simpel. Wer gute Melodien mag, sollte lieber ein Orchesterwerk hören. Aber wenn es darum geht, den Sound zu beurteilen, ist die heutige Popmusik ganz weit vorne. Gerade, wenn man selbst Produzent ist, merkt man, wie viel Kreativität und Feingefühl in der Gestaltung der Sounds liegen.
Was halten Sie von dem, was sich gerade in den deutschen Top-Ten tummelt?
Zum Beispiel „All About That Bass“ (von Meghan Trainor, Anm. d. Red.), das gerade auf Platz eins ist, gefällt mir ganz gut. Das ist eine dieser Blues-Nummern, die sich immer wieder der Popularität erfreuen. Das hat schon bei „Mercy“ von Duffy gut funktioniert. Oder bei den Songs von George Ezra.
„All About That Bass“ hat eine klare Message: Auch mit ein paar Kilos zu viel darf man sich auf die Tanzfläche trauen. Ist so etwas heutzutage ein wichtiger Faktor?
Es geht eher um ein Lebensgefühl. Ich glaube, die Message darf nicht zu komplex sein.
Unter den deutschen Top zehn befinden sich derzeit vier DJs: David Guetta, Avicii, Calvin Harris und Robin Schulz. Können Sie damit etwas anfangen?
Ist nicht ganz so mein Musikgeschmack. Freiwillig höre ich das nicht, vor allem nicht alleine (lacht). Zum Tanzen ist das aber voll in Ordnung. Im Club braucht man eben diesen „Four to the floor“-Bass. DJs wie Avicii und David Guetta können unheimlich gut produzieren, die haben ein Gefühl dafür, was auf dem Tanzboden funktioniert.
Seit Neustem setzen sogar Bands wie Coldplay auf Discorhythmen…
Das neue Album fand ich gar nicht schlecht. Aber dieser eine Clubsong, der dann auch noch im Zug der Weltmeisterschaft rauf und runter gespielt wurde („A Sky Full Of Stars“, Anm. d. Red.), hat mir überhaupt nicht gefallen. Auch, weil ich den Eindruck hatte: Die können’s eigentlich nicht. Aus kommerzieller Sicht mag es klug sein, das mal zu machen, aber es liegt wirklich nicht jeder Band.
Finden Sie es schade, dass es immer mehr Elektro und immer weniger „richtige“ Bands gibt?
Natürlich repräsentieren die Charts die relativ breite Mainstream-Masse. Doch mittlerweile gibt es beim Musikkonsum unzählige Subkulturen, wo konventionelle Bands immer noch eine große Rolle spielen. Nicht jeder orientiert sich an den Singlecharts. Bei Streamingdiensten wie etwa Spotify, die einem ganz maßgeschneidert Musik vorschlagen, kann man auf viele neue Bands stoßen, auch ohne dass die in den Singlecharts vertreten sind.
Haben Sie das Gefühl, die Hörer werden immer anspruchsloser?
Eigentlich nicht. Bevor es Streamingdienste gab und bevor das Hörverhalten so gut analysiert werden konnte, hatte man eben nur das lineare Radio. Möglicherweise waren die Charts damals dementsprechend pluralistischer. Diese Zersplitterung – es gibt ja mittlerweile unzählige Genres – spricht aber für eine pluralistische Gesellschaft, die von den Mainstreamcharts nicht mehr so treffend wiedergespiegelt wird.
Auf Ihrem YouTube-Kanal haben Sie mal erklärt, wie man einen Dieter-Bohlen-Song schreibt. Wie schreibt man denn 2014 einen Chart-Hit?
Für solch einen Discosong auf jeden Fall „Four To The Floor“. Dann gibt es ganz bewährte Aufbaumuster: indem man den musikalischen Verlauf zuspitzt, dann kommt der obligatorische Drop, es wird ganz ruhig, dann geht es auf einmal wieder rein. Wenn man einmal in die Disco geht, weiß man auch, wofür das gut ist. Man muss sich nur in den Disco-Tänzer hineinversetzen.
Hauptsache simpel also?
Auch wenn Musik erst einmal simpel erscheint, braucht sie die ein oder andere geniale Idee. Wenn ich mir etwa die Vocals von Avicii anhöre, sind die zwar nicht wahnsinnig komplex, aber dafür sehr, sehr griffig. Die Worte, die Töne sitzen so verschmolzen im Arrangement, das ist eine höchst stimmige Angelegenheit. Einen anderen Text darauf zu dichten, passt dann zum Beispiel nicht. Und: Im Zuge von Copyright-Problematiken muss man natürlich versuchen, immer wieder etwas Neues zu finden, damit man sich nicht den Vorwürfen ausliefert, man hätte was kopiert.
Fällt Ihnen trotzdem öfter auf, dass geklaut wird?
Das weiß man nie so genau. Es kann natürlich sein, dass jemand, der sich eines Samples bedient, einen Deal mit dem Rechteinhaber geschlossen hat und das ganz legal benutzen darf. Bei Rappern fällt mir aber sehr häufig auf, dass sie ganze Akkordfolgen und Sounds sampeln, sodass die Songs zum Verwechseln ähnlich klingen. Wenn sie dann einen neuen Text darauf dichten, sagen sie: Das ist mein eigenes Werk. Ich finde das häufig sehr grenzwertig.
Hat eine – in Anführungsstrichen – echte Band heutzutage noch eine Chance?
Ich denke schon. Man muss allerdings mit purer Leidenschaft dabei sein. Wenn man von Anfang an eine Schere im Kopf hat – Lohnt sich das? Kann ich damit reich werden? Kann ich damit meine Familie ernähren? – dann ist das die falsche Motivation. Wenn man für seine Musik so blutet, dass man sich mit nichts anderem beschäftigen möchte, das ist die richtige Motivation. Und das wird nach wie vor honoriert.
Wie schwer ist es für eine Band wie etwa Revolverheld, sich gegen diese ganze Discomusik durchzusetzen?
Ich kann mir vorstellen, dass sie eine Fangemeinde haben, der das total egal ist, wie viel Clubmusik es nebenher gibt. Das sind einfach zwei völlig getrennte Kulturen. Sobald Revolverheld ihre Fanbase bedienen, wird die weiter glücklich sein, weiter die CDs kaufen und weiter wachsen.
Würde so etwas wie Led Zeppelin oder Deep Purple heute noch funktionieren?
Hmm (überlegt), das weiß ich nicht. Ich würde mich freuen, wenn das so wäre, aber ich kann das schlecht prognostizieren. Ich fand lustig, dass sich U2 auf diesen miesen iTunes-Deal eingelassen haben, weil sie dachten, sie könnten durch die Musik allein keinen Erfolg generieren. Das hat mich schon nachdenklich gestimmt. Anscheinend hat die Band das Selbstvertrauen in Musik und Fanbase allein verloren. Bands probieren bei der Distribution ihrer Musik gerade einiges aus. Ich denke, da werden wir noch viele Überraschungen erleben.
Welche Erklärung haben Sie dafür, dass der Schlager dank Helene Fischer wieder salonfähig geworden ist?
Das ist ein großes Phänomen, das von Seiten der Musikwissenschaft erst seit Kurzem eifrig thematisiert wird. Bis vor einigen Jahren wurde Schlager nicht ernst genommen. Mittlerweile merkt man: Das ist nicht nur was für ältere Leute. Eigentlich konnte man das schon an den Après-Ski-Hütten sehen. Auch in Discos sind die Schlagerhallen immer gut besucht. Helene Fischer ist es gelungen, dass man nicht mehr unbedingt besoffen sein muss, um Schlager hören zu können. Trotzdem ist das Ganze für mich sehr rätselhaft. Ich hoffe da auf einige plausible Theorien seitens der Musikwissenschaft.
Was halten Sie von einer Taylor Swift, die früher mit selbstgeschriebenen Countrysongs auftrat, jetzt aber von der Plattenfirma zu einem Bubblegum-Pop-Sternchen umgebastelt wurde?
Ich mag Taylor Swift nicht, bin auch kein Country-Fan. Weder ihre alte, noch ihre neue Musik haut mich vom Hocker. Was ich aber verstehen kann, ist, wenn Künstler sich entwickeln und dann andere Musik machen. Die Fans werden ja auch älter. Bei Tokio Hotel hatte ich zum Beispiel das Gefühl, dass die sich jetzt verändern mussten, weil ihre Fans eben nicht mehr 13 sind, sondern 18.
Stecken nicht meistens die Plattenfirmen hinter dieser Entwicklung?
Dass Taylor Swift jetzt ein Bubblegum-Image aufgebaut hat, steht nicht unbedingt für geistliche Reife. Eher im Gegenteil. Country hätte ich für authentischer gehalten, als das, was sie heute macht. Wer letztendlich die Entscheidungsgewalt hat, vermag ich aber nicht zu spekulieren.
Sind die Komponisten heutzutage die wahren Künstler? Und die Sänger austauschbar?
Um ein gewisses Niveau zu erreichen wird mittlerweile alles outgesourct. Produzenten, die die Musik machen, Texter für den Text, eine Plattenfirma, die das sammelt und überlegt, welchem Künstler man welchen Song zuordnen kann. Da sind unheimlich viele Köpfe am Werk. Das muss man nicht gut finden. Aber: Es ist gängige Praxis und scheint zu funktionieren.
Vielen Dank für das Gespräch, Klaus Kauker.
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