
Auf den ersten Blick erscheinen die Aussagen des designierten baden-württembergischen Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zu seiner geplanten Verkehrspolitik widersprüchlich: Einerseits spricht er von „grundlegender Veränderung in der Verkehrspolitik“, „Innovationspeitsche“ und „beschleunigtem Prozess zu nachhaltigem Wirtschaften“ – auf der anderen Seite betont er „Ruhe im Blut“, „Sonne im Herzen“, „behutsame Reformen“ und alles natürlich stets „mit Maß“. Ja, was denn nun?
Für eine Partei, bei der das Thema Auto im Koalitionsvertrag mit der SPD keine bedeutende Rolle spielt, hat Kretschmann sich einiges vorgenommen: Klimaschutzauflagen, Tempolimit sowie Pkw-Maut statt Kfz-Steuer deuten an, in welche Richtung es beim designierten Ministerpräsidenten geht: „Mobilitätskonzepte statt Autos“ forderte er und erntete dafür zunächst einmal Kritik.
Doch Kretschmann lässt sich nicht beirren und bleibt seiner politischen Überzeugung treu – auch wenn es unbequem wird. Denn er weiß, dass die Automobilindustrie und er gar nicht so weit auseinander liegen, wie es in den Medien dargestellt wird. Aber wieso braucht es dann noch Klimaschutzauflagen für eine weitere Reduzierung des zulässigen Schadstoffausstoßes, wenn Daimler ohnehin in drei Jahren eine S-Klasse mit einem Verbrauch von 3 Litern Sprit und 75 Gramm CO2 anbieten möchte?
Gegenfrage: Was spricht gegen die Klimaschutzauflagen, wenn Daimler und Co. den CO2-Ausstoß ohnehin senken möchte? Zu befürchten haben die Autohersteller aus Baden-Württemberg dann jedenfalls nichts – solange sie sich an ihre Aussagen halten.
Es ist eine kluge Entscheidung Kretschmanns, die Automobilbranche auf diese Weise dazu anzuhalten, ihren Worten auch Taten folgen zu lassen und an der CO2-Reduzierung weiter festzuhalten.
Auch seine Gründe für ein Tempolimit ergeben Sinn: „Es senkt die Zahl der Verkehrsopfer. Es senkt die Verkehrsemission. Und es sorgt für eine Verkehrsverflüssigung.“ Da die meisten Autobahnen in Baden-Württemberg sowieso über Tempolimits verfügen, wäre die Umstellung nicht besonders groß. Auch eine Ausweitung der Lkw-Maut auf Pkws ist nur fair: So würden künftig etwa auch ausländische Autofahrer zur Kasse gebeten und die Kosten gerechter verteilt werden.
Mit seiner Idee, die Maut möglichst individuell, „also abhängig von Zeit, Ort, Straßennutzungsdauer und Pkw-Modell“ zu gestalten, ist Kretschmann jedoch über das Ziel hinausgeschossen. Dieses Vorhaben dürfte einen gewaltigen Bürokratie- und Überwachungsaufwand mit sich bringen, der finanziell nicht zu stemmen ist. Dann doch lieber „mit Maß“.
Und wie sinnig sind die Mobilitätskonzepte des designierten Ministerpräsidenten? Nachhaltigere Mobilität – das sei auch die Meinung der Industrie, sagt Kretschmann. Nach einem Gespräch mit dem Daimler-Vorstandsvorsitzender Dieter Zetsche betonte er: „Die Standpunkte liegen gar nicht weit auseinander.“
Die Automobilindustrie hat den Kurs ohnehin längst Richtung nachhaltiger Entwicklung wie Elektromobilität und Hybridantrieb. Das bestätigte auch Daimler-Chef Zetsche und antwortete auf die Frage, was Daimlers und Benz‘ Rat für die Zukunft wäre: „Macht grüne Autos noch faszinierender – und faszinierende noch grüner.“
Kretschmann und die Automobilindustrie gehen den richtigen Weg. Und wenn sie jetzt noch miteinander statt gegeneinander arbeiten, lösen sich alle vermeintlichen Widersprüche in Wohlgefallen auf und die „Sonne im Herzen“ Kretschmanns scheint nicht nur für die Grünen, sondern für ganz Baden-Württemberg.
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