Einen Vorwurf kriegt Aleksander Knauerhase immer wieder zu hören: Er stelle die Autisten als „zu normal“ dar. Doch der 40-Jährige weiß, wovon er spricht. Schließlich hat er selbst das Asperger-Syndrom. Ist dieser Mann ein Held?
Autismus, das war immer so weit weg. Mal hier eine Doku im Fernsehen, mal da ein Hollywood-Streifen mit einem Autisten in der Hauptrolle. Es muss unheimlich anstrengend sein, ein autistisches Kind zu haben, dachte ich immer. Heute werde ich eines besseren belehrt, denn gerade sitzt mir ein Autist gegenüber und gießt sich Zucker in den Cappuccino.
In einem kleinen Wiesbadener Hipstercafé treffe ich Aleksander Knauerhase, 40 Jahre alt, Diagnose: Asperger-Syndrom. Knauerhase ist ein gemütlicher Typ, trägt Jeans und Karo-Hemd und hat das dünne Haar zur Seite gekämmt. Er kommt gerne hierher. Von meiner Vorstellung eines Autisten ist er in etwa so weit entfernt wie der SC Paderborn von der Champions League. Ich habe wenig Ahnung und so manches Vorurteil mitgebracht. Denn wenn ich ehrlich bin, habe ich mir ein Gespräch mit einem Autisten eher unangenehm vorgestellt. Entweder hochbegabt und in einer eigenen Welt lebend, oder kaum ansprechbar und verwirrt.
Wie wichtig ist ein Reiz?
Hätte es mir niemand verraten, ich würde Knauerhase für einen Menschen halten, der genauso normal ist, wie ich (wenn es das überhaupt gibt: normale Menschen). Er selbst ist der Einzige, der etwas von der Behinderung mitkriegt. Im Gegensatz zu mir nimmt sein Gehirn, genau genommen der Thalamus, sämtliche Reize gleich wahr. Knauerhase muss ständig bewerten, wie wichtig ein Reiz ist. Während ich ein Vogelzwitschern draußen im Hof ausblende, wird er davon abgelenkt und muss sich bewusst dagegen entscheiden, dem Tier zuzuhören. „Das ist extrem anstrengend“, sagt er, und macht dabei eigentlich einen sehr entspannten Eindruck. „Ich bin ständig auf Hochdampf.“
Autisten hätten daher auch oft kein Bewusstsein für gefährliche Situationen, da das Gefahrensignal manchmal in der Liste abzuarbeitender Reize nach unten rutsche, erzählt Knauerhase. Als Kind rannte er während des Bauernhof-Urlaubs mal zwischen nicht-kastrierten Bullen herum. „Kuh ist Kuh“, habe er gedacht. Der Informationswissenschaft-Student lacht. Das tut er ziemlich oft während unseres Gesprächs, auch da ist er ganz anders, als ich es erwartet hatte.
In die „Normalwelt“ verbiegen
Dass mit ihm etwas nicht stimmt, merkte Knauerhase schon in jungen Jahren. Er löste Dreisätze, ohne dass der Lehrer überhaupt angefangen hatte, den Rechenweg zu erklären und meldete sich im Biologie-Unterricht, wenn in seinen Augen etwas keinen Sinn ergab. Bis vor wenigen Jahren habe er versucht, sich in die „Normalwelt“ zu verbiegen, erinnert sich Knauerhase. Die Asperger-Diagnose hatte es während seiner Jugend ohnehin noch nicht gegeben. Lediglich eine Hochbegabung wurde festgestellt. Doch die Tatsache, dass sein Gehirn hochsensibel für jegliche Reize war, machte ihm zu schaffen. Auf eigene Faust recherchierte Knauerhase nach möglichen Gründen für sein Verhalten und stellte fest, dass der Autismus die Antwort auf all seine Fragen sein könnte.
Mit 35 wurde er diagnostiziert und bekam Gewissheit. Bei der Diagnostik wird unter anderem geprüft, wie viele autistische Züge ein Mensch besitzt. Ab einer gewissen Anzahl gilt man als Autist. Daher auch die unterschiedlich starke Ausprägung. „Autistische Züge hat jeder Mensch“, erklärt Knauerhase. Nach der Diagnose quälten ihn neue Fragen. Werde ich meinen Job verlieren? Bekomme ich noch eine Unfallversicherung? Nach einer „heftigen Depression“ konnte sich Knauerhase nun mit der Behinderung arrangieren. „Ich hadere nicht mehr damit“, sagt er. „Ich habe meinen Frieden mit dem Autismus geschlossen und nehm’s so, wie es ist.“
„Rain Man“ taugt nicht als Beispiel
Da sitzt er also, der erste Autist, den ich persönlich kennenlerne und erzählt mit einem Eifer, den ich überhaupt nicht erwartet hatte. Beim Thema Autismus musste ich bis jetzt immer an den Film „Rain Man“ denken, im dem Dustin Hoffman den hochbegabten Raymond Babbitt spielt, der über Nacht das Telefonbuch auswendig lernt, jedoch keinerlei Gefühle kennt und völlig durchdreht, wenn man ihn nicht seine Bücher sortieren lässt. Dem mit vier Oscars prämierten Film kann Knauerhase wenig abgewinnen. „Als Beispiel taugt er nicht“, meint der Wiesbadener.
Kim Peek, der als Vorbild für Raymond Babbitt diente, war nämlich Savant. Das Besondere: Savants haben ein außergewöhnliches Talent, können etwa Bücher auswendig lernen und Städte aus dem Gedächtnis exakt nachzeichnen. Dafür fallen ihnen Dinge wie Schuhe binden oder allein essen schwer. Es gebe nur etwa 100 Savants auf der Welt, hat Knauerhase recherchiert. „Das heißt, auf einen Autisten kommen null-Komma-null-null-null-irgendwas Savants.“ Leider vermittle der Film aber das Bild, dass alle Autisten so seien wie Raymond beziehungsweise Kim Peek. Knauerhase kann das nachvollziehen: „Ein intensiveres Beispiel ist natürlich interessanter.“
Angeklopft beim Presserat
Bei einem Amokläufer mit Asperger-Syndrom werde ebenfalls oft über die Behinderung berichtet, beklagt er. „Der Autismus wird als Erklärung für Dinge verwendet, die man nicht erklären kann“, vermutet Knauerhase. Er hält das für Unfug: „Ob der Amokläufer blond war oder Schuhgröße 42 hatte, wird ja auch nicht erwähnt.“ Beim Presserat hat Knauerhase bereits angeklopft und gefragt, ob man das Nennen von Autismus als möglichem Grund nicht ebenso ahnden könne wie etwa die Angabe der Nationalität, für die es eine Rüge gibt. Und, was wurde daraus? „Einfach abgeschmettert“, sagt Knauerhase.
Doch von solch einer kleinen Niederlage lässt sich der 40-Jährige nicht einschüchtern. Auf seinem sehr persönlichen Blog schreibt er seit November 2012 über sein Leben als Autist. Zwischen 6000 und 7000 Besuchern kann er im Monat verzeichnen, dazu war „Quergedachtes“ für die diesjährigen Bobs Awards nominiert, einem Preis der Deutschen Welle für Online-Aktivismus. Die besten Blog-Texte, über 100 sind es mittlerweile, möchte Knauerhase überarbeiten und zu einem Buch zusammenfassen, das er durch Crowdfunding finanzieren will. Zudem hat sich der Masterstudent selbstständig gemacht und arbeitet als quer durch die Republik reisender Dozent. Damit steht Knauerhase aber noch in den Startlöchern. „Ich muss kämpfen, damit die Leute mir das zutrauen.“ Trotzdem konnte er bereits einige Vorträge bei Firmen über das Thema Autismus verzeichnen.
Bist du ein Held, Aleksander?
Dass Knauerhase ein guter Redner ist, glaube ich ihm aufs Wort. Stundenlang könnte ich ihm zuhören. Leider muss ich auch schon wieder los, die Arbeit ruft. Aber eine letzte Frage will ich noch stellen. Bist du ein Held, Aleksander? Auf keinen Fall, lautet die Antwort. Helden, die gebe es nur im Comic, meint er. „Ich mache das alles gerne“, sagt Knauerhase. „Und wenn ich was bewegen kann, ist das schön.“ Das alles sei aber keine Heldentat, bekundet er, sondern eine Selbstverständlichkeit.
Selten habe ich in 90 Minuten so viel Neues erfahren, so viele Vorurteile abgebaut, so viel Respekt vor der Leistung eines einzelnen Menschen bekommen. Für mich ist Aleksander Knauerhase genau das: ein Held.
Pio meint
Im Deutschland sucht man für alles eine Krankheit, ich selbst hab am Bandarbeiten gearbeitet und sehe es als Berufserfahrung an, wenn ich jetzt in einen Arbeitsplatz meine Erfahrung in Arbeit einbringe sagen die zu mir das ich ein Autist bin, tjo armes Deutschland das immer ein Krankheitsbild im Kopf hat anstatt den Menschen zu sehen das er „richtig gut ist was er tut“.
Man muss „Autismus“ schärfer nehmen find ich als die jetzigen annahmen dafür, sprich hat einer Autismus, dann hat er keine syntome oder anreize oder sonstiges man sieht es Ihn an und er wacht damit auf und schläft damit ein, alles andere ist im grunde den Menschen in schaden zuzufügen und Ihn eine Krankheit aufzubinden die er gar nicht hat, schade eigentlich, ist halt Deutschland vergleichbar mit ein Burnout syndrom die Autismus-Krankheit.
Pauline meint
Hallo Pio,
ich höre Antworten wie deine häufig. So eine Bemerkung zeugt von Unverständnis, das mit großer Überzeugung vorgetragen wird. Üblicherweise wird eher unauffälligen Menschen im Autismusspektrum eine Diagnose nicht übergestülpt, sondern sie selbst müssen viel Zeit und Bürokratie in Kauf nehmen, um diese zu erhalten. Diese Menschen schlafen mit ihrem Autismus ein und wachen damit auf wie du beschrieben hast, sie haben nur gelernt sich so zu verstellen, dass sie nicht als Autisten auffallen. Die Folge ist, dass das natürlich sehr belastend ist und dann andere Auswirkungen haben kann ( Depressionen, Essstörungen etc.). Also, vielleicht solltest du dich mot dem Thema noch mal näher beschäftigen?