Psy hat einen Freund. Nein, er ist nicht über Nacht schwul geworden und ich meine auch nicht Snoop Dogg. In seinem neuen Musikvideo „Hangover“ versucht er den Menschen auf der anderen Seite des Ozeans die südkoreanische Trinkkultur näherzubringen. Doch wie heißt sein bester Freund und was ist an der Trinkkultur in Südkorea so besonders?
Snoop Dogg war eine musikalische Inspiration für Psy. Endlich hat der erfolgreiche Rapper aus Südkorea es geschafft mit ihm zusammen ein neues Musikvideo zu drehen. Die Anzahl der Aufrufe des neuen YouTube-Videos „Hangover“ schnellte innerhalb weniger Wochen auf 100 Millionen. Marketingtechnisch sehr raffiniert veröffentlichte er das Video kurz nachdem „Gangnam Style“ zwei Milliarden Klicks erreicht hatte und er dies zuvor medienwirksam ankündigte.1
Der beste Freund von Psy
Der Freund von Psy, der in dem neuen Musikvideo thematisiert wird, heißt Soju. Soju ist nichts anderes als ein koreanischer Reisschnaps. Psy versucht auf seine humoristische Weise die Trinkkultur Koreas den Menschen in Übersee näher zu bringen. Offensichtlich haben viele der YouTube-Zuschauer Psys Absicht nicht richtig verstanden. Auf jeden Fall war die Reaktion sehr zwiespältig und viele YouTube-Zuschauer waren von der Musik, vom Musikstil, von Snoop Dogg, vom Gesang und vom Inhalt enttäuscht. Was aber ist an der Trinkkultur in Südkorea so besonders, dass Psy sich dieses Thema ausgesucht hat?
Segen und Fluch
Getrunken wird fast überall auf der Welt – wenn man von einigen strenggläubigen muslimischen Ländern absieht – seitdem die Menschen Getreide und Obst kennen. Fast alles, was gegoren werden kann, wird oder wurde für die Produktion von alkoholischen Getränken verwendet. Der Alkohol, oder chemisch genauer Ethanol (CH3CH2OH), ist ein Abbauprodukt der Hefezelle. Für die Menschheit ist er Segen und Fluch zugleich. Er mag Menschen von Traurigkeit und Sorgen ablenken, Scheu und Hemmnisse überwinden helfen und als das soziale Schmiermittel schlechthin dienen. Der Stoff ist zwar keine Lösung für reelle Probleme, aber ein scheinbares Lösungsmittel für viele. Zugleich ist der Stoff Ethanol die schlimmste Droge der Welt, die nicht nur Millionen von Menschen in ihrer Sucht gefangen hält, sondern viele von ihnen auch direkt oder indirekt getötet und krank gemacht hat2.
Das Bierland Deutschland
Die Trinkgewohnheiten und die favorisierten Getränke sind von Kultur zu Kultur unterschiedlich. In Deutschland ist Bier das Nationalgetränk. In keinem anderen Land gibt es so viele Brauereien und Biermarken wie in Deutschland. Tatsächlich galt lange Zeit das Getränk Bier mit einem Alkoholgehalt von zirka 4-6 Prozent3 hierzulande sogar als ein Grundnahrungsmittel4. Weil die Hygieneverhältnisse im Mittelalter katastrophal und viele Wasserquellen verseucht waren, waren Menschen in dichtbesiedelten Städten Europas auf alternative Getränke angewiesen. Die Brautechnik, die von den Mönchen in den Klöstern weiterentwickelt wurden, verbreitete sich schnell. Überall und von allen in Mitteleuropa wurde Bier getrunken.
Heute trinkt man Bier, um sich zu amüsieren oder gemütlich zusammenzusitzen. So ist das Bier in Deutschland zu einem Genussmittel geworden. Getrunken wird es aber zu vielen Anlässen: Während des Oktoberfestes, bei Schützenfesten, bei Parteiveranstaltungen (insbesondere in Bayern), bei Public Viewings (oder auf Englisch: watch parties), beim Grillen, auf Parties oder einfach nur so. Allerdings geht es vielen Zeitgenossen kaum noch um den Genuss, sondern vielmehr um den Rausch.
Nicht nur ein Weltmeister
Zwar wird in Deutschland viel Bier konsumiert, aber Weltmeister im Alkoholkonsum pro Kopf sind die Deutschen trotzdem nicht. Hier liegt Luxemburg laut OECD-Statistik an erster Stelle. Das heißt freilich nicht, dass die Luxemburger auch all die alkoholischen Getränke konsumieren, die dort verkauft werden. Aufgrund der niedrigen Steuersätze und der günstigen Lage mitten in Europa, kommen viele ausländische Besucher nach Luxemburg, um sich mit alkoholischen Getränken einzudecken. Die Statistik der WHO zeigt Länder wie Weißrussland, Moldawien, Litauen und Russland beim Alkoholkonsum an den vordersten Positionen. Generell ist es bei statistischen Erhebungen schwierig, den Alkoholkonsum genau zu ermitteln, da in einigen Ländern auch sehr viel schwarz gebrannter Alkohol konsumiert wird.
Wenn es um den Schnapskonsum geht, sind es die Südkoreaner, die alle anderen Länder hinter sich lassen. Die Südkoreaner trinken hier zweimal mehr als die Russen, berichtet Dailymail. Was ist denn mit den Südkoreanern los? Es ist doch allgemein bekannt, dass sich die Ostasiaten nicht gerade durch eine gut entwickelte Abbaufunktion ihrer Leber auszeichnen. Südkoreanische Jugendliche kennen außerdem keine Freizeitkultur, wie die in Europa oder in Nordamerika, in der Jugendliche sich gerne an Wochenenden mit Freunden etwas genehmigen. Der maßlose Konsum von Alkopops durch die Jugendlichen beispielsweise führte in Deutschland zu gesetzlichen Verschärfungen.
Billiger Alkohol
Der Grund, warum in Südkorea so viel Alkohol getrunken wird, liegt zum einen an der niedrigen Besteuerung für alkoholische Getränke. Insbesondere auf heimische Produkte entfallen kaum Steuern. So kostet 300ml Soju in den zahlreichen Convenience Stores5 nur 1000-2000 Won (umgerechnet rund 70 Cent bis 1,40 Euro). Der Reisschnaps ist auch deshalb so günstig, weil die Herstellung durch das Hinzufügen von reinem Alkohol geschieht. Der Alkoholgehalt beträgt zirka 20 Volumenprozente. Selbst in den Restaurants oder Bars zahlt man mit 3000-4000 Won nicht wesentlich mehr.
Zum Mittrinken verdonnert
Ein anderes Motiv für das ungezügelte Alkoholkonsumverhalten in Südkorea ist in der dortigen Arbeitskultur zu suchen. In keinem anderen Land (vielleicht von Japan und Singapur mal abgesehen) ist die hierarchische Struktur in der Arbeitswelt so präsent: Feierabend ist dann, wenn der Chef Feierabend macht, das Wort des Chefs ist immer Gesetz und wenn der Chef seine Mitarbeiter zum Hwoesik6 einlädt. Nimmt man als Mitarbeiter die Einladung nicht an, wird man schnell schräg angesehen und von der Gruppe ausgestoßen.
Soju und Bier
Am häufigsten wird in Korea Soju und/oder Bier bestellt, wobei das Bier in Korea streng genommen gar kein Bier ist, da es nicht nach deutschem Reinheitsgebot gebraut wird. Da in Korea hauptsächlich Reis – und weniger Gerste oder Weizen – angebaut wird, verwendet man Reis auch zur Herstellung von Bier. Das Bier schmeckt in Korea daher etwas milder und den ausländischen Biertrinkern fehlt die gewohnt herbe Note. Dass aber die wenigen Bierhersteller in Südkorea bestrebt sind, auch verwöhnte Biergaumen zu befriedigen, beschreibt der Korea-Kenner Steve Miller in seinem YouTube-Video. Die geringe Anzahl von angebotenen Biermarken hat etwas mit dem Duopol (Hite-Jinro und Oriental Brewery) einerseits und der protektionistischen Politik zum Schutze der heimischen Bauern andererseits zu tun, wie die britische Wochenzeitschrift The Economist berichtet.
In letzer Zeit werden vor allem die Importbiere in Südkorea immer beliebter. Früher waren es hauptsächlich Biermarken aus den USA und Japan. Mittlerweile haben aber in Südkorea die deutschen Biermarken den Spitzenplatz unter den Importbieren besetzt. Insbesondere die günstige Marke Oettinger ist auch in Südkorea sehr beliebt. Außerdem berichtet Arirang News, dass die kleinen Brauereien in Südkorea in Mode gekommen sind. Angesagt seien vor allem sogenannte Craft beers – also Biersorten nach variationsreichen Rezepturen. Das ist sicher ein Anlass für die experimentierfreudigen Südkoreaner, häufiger Biergläser zu heben.
Doch wie bereits erwähnt, ist das Bier in Südkorea nicht die erste Wahl, wenn es um alkoholische Getränke geht. Vielmehr wird zu Soju-Flaschen gegriffen, die üblicherweise in grünen Flaschen abgefüllt sind und in kleinen Gläsern serviert werden. Beim Einschenken von Soju sollte man auf strenge Etikette achten. Der Jüngere beziehungsweise der Rangniedrigere füllt das Glas des Älteren bzw. des Vorgesetzten – und zwar mit einer Hand die Flasche und mit der anderen den Ärmel haltend. Wird nach dem Einschenken zum Trinken angesetzt, schaut der Jüngere zur Seite und trinkt aus dem Glas, das er mit beiden Händen hält. Erst wenn das Glas vollkommen leer ist, wird nachgefüllt.
Nicht selten wird auch Soju mit Bier gemischt, was sich dann Somaek (Kunstwort aus Soju und Maekju [kor. Bier]) nennt. Manchmal nennen die Koreaner das Gemisch auch Poktanju (Bombengetränk), weil man Soju in ein mit Bier gefülltes Glas fallen lässt.
Chimaek – Frittiertes Huhn mit Bier
Bestellt man in Korea Soju, bekommt man anders als hier obligatorische Beilagen. Es ist in Korea unüblich nur zu trinken. Eine andere Kombination, die von den Baseball-Fans stammt, wurde in Korea sehr populär: Chimaek (Kunstwort aus Chicken und Maekju). Man isst häufig beim Zuschauen eines Baseballspiels frittiertes Hühnchen und trinkt Bier dazu. Einen unerwarteten Effekt hatte eine Szene aus dem erfolgreichen Drama „My Love from the Star“, in der die Hauptdarstellerin Hunger auf das eben besagte Chimaek hatte. In China löste die Serie einen Boom für die Kombination Bier und frittierte Hühnchen aus. Von Ängsten vor der damals grassierenden Vogelseuche war kaum noch etwas zu spüren.
Hwoesik, Somaek und Chimaek: Das klingt alles sehr harmlos. Was ist also das Problem an Hwoesik? Schließlich gibt es ja auch in Deutschland Weihnachtsfeiern oder Betriebsfeiern, wo die Mitarbeiter mit den Chefs zusammen trinken. Das Problem in Südkorea ist, dass es Hwoesik nicht nur ein oder zwei Mal im Jahr gibt, sondern sehr häufig. Nicht selten enden diese Trinkgelage dann auch damit, dass die Beteiligten total betrunken sind. Betrunkene, die sich übergeben (und dabei von einem Kollegen auf den Rücken geklopft bekommen), huckepack tragen von betrunkenen Kollegen auf dem Heimweg oder Übernachtungen in einer Sauna, um dort den Rausch auszuschlafen, werden häufig als Szenenbilder in K-Dramen benutzt.
Gegenmaßnahmen
Die Chefs versuchen damit den Zusammenhalt der Firma sowie den Stressabbau der Mitarbeiter zu erreichen. Auch werden bei solchen Umtrunks Geschäftsabschlüsse mündlich abgeschlossen, weswegen die ausländischen Unternehmer, die mit der koreanischen Kultur nicht klar kommen, häufig Probleme haben.7 Weil die häufigen Alkoholexzesse der Mitarbeiter immer mehr zu betrieblichen Problemen führen, hat Samsung (das größte Konglomerat in Südkorea) die sogenannte 119 Regel8 eingeführt. 119 steht für 1 Lokal, 1 Getränkesorte und maximal bis 9 Uhr Abends. Es ist sehr fraglich, ob diese Regel viel bewirkt. Bessere Ansätze sind in Skandinavien und in den USA zu beobachten, wo es hohe Steuern auf Alkohol und eine restriktive Gesetzgebung für den Alkoholkonsum gibt.
Wie immer kann allerdings ein Gesetz nicht alles Böse verhindern und alles Gute erzwingen. Letztlich muss jeder Einzelne einsehen, dass „allein die Menge das Gift macht“, wie einst Paracelsus sagte.
In diesem Sinne: Prost und Gonbae.
- Leider ist das Musikvideo „Hangover“ auf YouTube aufgrund der Streitigkeit zwischen Google und GEMA gesperrt. ↵
- Schwelle, Wolfgang P., Alkohol – Die mächtigste Droge der Welt, Nachtschatten Verlag 2013 ↵
- Ethanolgehalt in alkoholischen Getränken wird üblicherweise in Volumenprozent angegeben ↵
- Beerland (2013), Matt Sweetwood, DVD, Deutschland, 87 Min., Moviefilm ↵
- ConvenienceStores sind kleine begehbare Märkte, bei denen Alltagsgüter und Häppchen für Zwischendurch angeboten werden. Häufig gibt es dort Theken, an denen die eingekauften Häppchen zu sich genommen werden können. Mikrowellenherd und heißes Wasser sind im Service inklusive. Sie sind in vielen Fällen durchgehend geöffnet – sogar Sontags. ↵
- Hwoesik ist so etwas wie eine After-work-party oder ein Essen unter Kollegen mit Umtrunk. Nicht selten wird so etwas in Karaoke Bars (Noraebang) durchgeführt ↵
- Dieter Schneidewind, Wirtschaftswunderland Südkorea, Springer Gabler Verlag 2013 ↵
- „119“ ist die Notrufnummer ↵
Gunter Festel meint
Schöner Artikel, da differenziert und informativ geschrieben. Ich war bisher nur dreimal in Südkorea, aber kann das gut nachvollziehen.