Können Start-ups den Journalismus in der digitalen Welt neu erfinden? Meine Antwort darauf lautet Jein. Start-ups können den Journalismus verändern, umkrempeln und weiterentwickeln. Aber das journalistische Rad neu zu erfinden, dürfte schwierig werden. Und unnötig, denn die wirklich wichtigen Fragen sind ohnehin ganz andere.
Als Journalist frage ich mich zunächst einmal: Muss der Journalismus in der digitalen Welt neu erfunden werden? Im Prinzip nicht. Denn an den grundlegenden Funktionen des Journalismus ändert auch das Internet nichts. Auch im Netz möchte ich als Nutzer anschaulich informiert, sinnvoll unterhalten und kreativ herausgefordert werden. Daraus leiten sich zwei zentrale Fragen ab:
- Wie kann man die Beiträge finanzieren?
- Wie kann man die Leser mit diesen Beiträgen erreichen?
Über die erste Frage zerbrechen sich zahlreiche Medienschaffende seit einigen Jahren den Kopf. Denn vor allem im Internet verdienen die traditionellen Medienhäuser mit ihren Nachrichtenseiten noch nicht ausreichend Geld. Gleichzeitig sinken die Einnahmen und Auflagen von etablierten Zeitungen und Zeitschriften. Was nun? Einige raten jungen Journalisten dazu, sich selbst als Marke zu etablieren. Andere raten dazu, alles Mögliche auszuprobieren bis etwas funktioniert. Wieder andere feiern Apps als den vermeintlichen Heilsbringer. Manche sehen ihr finanzielles Glück in Sponsored Posts. Manche experimentieren mit Paywalls oder Paywahls. Und dann wäre da noch Crowdfunding, die neue und spannende Finanzierungsform. Doch unterm Strich bleibt die Erkenntnis: Eine allgemein funktionierende Lösung gibt es noch nicht. Und wird es vielleicht auch nie geben.
Wovon ich jedoch überzeugt bin: Die Rezipienten wollen mittlerweile den Absender kennen – und ihm vertrauen können. Im Netz reicht es nicht mehr aus, irgendetwas an anonyme Kunden zu verkaufen. Wenn es den Medien also gelingt, eine solide Vertrauensbasis aufzubauen, kann es auch mit der Bezahlung für digitale Inhalte klappen.
It’s the relationship, stupid
Ich möchte das am Beispiel von Crowdfunding näher erläutern: Crowdfunding erlebte 2013 in Deutschland den großen Durchbruch, und mittlerweile ist das englische Wort auch den allermeisten Journalisten ein Begriff. Doch leider haben bis heute die wenigsten verstanden, worum es dabei eigentlich geht. Nämlich nicht nur um die Finanzierung von eigenen Projekten, sondern vor allem um das Aufbauen von Beziehungen zwischen den Machern und den Unterstützern. Für etablierte Medienhäuser ist das eine völlig neue Situation.
Das führt mich zur zweiten – und aus Sicht eines Journalisten viael spannenderen – Frage: Wie kann man die Leser mit seinen Beiträgen erreichen? Auch hier stehen die etablierten Medienhäuser vor einer großen Herausforderung. Reflexartig orientieren sie sich derzeit viel zu sehr an Reichweite und Klicks als Maßstab für Anzeigenpreise und Erfolg. Doch diese auf SEO oder Likes ausgerichtete Strategie ist alles andere als nachhaltig. Denn hier wird der Leser Mittel zum Zweck: Je mehr Leser ich erreiche, desto mehr Geld verdiene ich durch Werbung. Es geht also nur noch darum, das Reichweiten- und Aufmerksamkeitsspiel möglichst gut zu spielen – und schon zählt man zu den großen Playern im Netz.
Doch wehe, Google, Facebook und Co. ändern plötzlich ihre Spielregeln. Massive Traffic-Einbußen aufgrund kleinster Änderungen am Algorithmus machen den deutschen Medienhäusern bewusst, dass sie nur wenig Kontrolle über das Internet haben. Wer daher wichtiger denn je werden wird, sind die Stammleser. Diese sind eine der wenigen verlässlichen Konstanten im Internet. Ihre Verweildauer ist im Durchschnitt weitaus höher als die der Facebook- und Google-Besucher. Die Verweildauer als Kriterium für eine erfolgreiche Nachrichtenseite wäre also deutlich geeigneter – und damit auch als Berechnungsgrundlage der Anzeigenpreise. Aber Vorsicht: Schnell tappt man erneut in die Falle, sich nur auf den messbaren Erfolg und das quantitative Wachstum zu fixieren.
Wer jedoch qualitatives Wachstum anstrebt, dürfte seine Leser über lange Sicht überzeugen und dadurch zwar langsam, aber kontinuierlich wachsen. Das gilt beispielsweise für JUICED im Kleinen genauso wie für Zeit Online im Großen. Qualität im Journalismus ist bekanntlich nicht messbar – und das ist auch gut so. Journalismus ist Handwerkszeug und Kunst zugleich. Wir arbeiten mit Vertrauensgütern; unsere Produkte und Inhalte sind zum großen Teil künstlerischer Natur und lassen sich nur bedingt in Zahlen ausdrücken. Manchmal ist es wichtiger, einen gelungenen Artikel zu veröffentlichen als einen erfolgreichen. Aber was nützt das schon, wenn man tollen Journalismus produziert, den keiner konsumiert, mögen manche einwerfen. Das stimmt. Doch ebenso wahr ist aus meiner Sicht: Wenn die Beziehungen stimmen, kommt das Geld von allein.
Das ist die große Chance für Start-ups – vorausgesetzt, sie setzen nicht nur auf Reichweite, Exit-Strategie und Skalierbarkeit, sondern vor allem auf Qualität, Beziehungen und Nachhaltigkeit. Dann würden Start-ups den Journalismus in der digitalen Welt zwar nicht neu erfinden, ihn aber zumindest mit Leidenschaft und Mut zur Innovation zukunftsfähig, relevant und finanzierbar machen. Eine Veränderung, die längst überfällig ist.
Dieser Artikel entstand im Zuge des MEEDIA-Innovations-Reporter-Wettbewerbs.
Mirco meint
Kennst Du zufällig den Film „Snowpiercer“? Der lief vor einigen Wochen in den Deutschen Kinos. Zuvor wurde der Film von allen Kritikern gelobt (habe keine einzige schlechte Kritik gelesen) und trotzdem kam der Film bei den Zuschauern gut an. Die teuerste Produktion aus Südkorea war ein Kassenmagnet und hat die ca. 40 Millionen Produktionskosten schon längst eingespielt. Durch den Film wurde die Grafiknovelle von den Franzosen Lob, Legrand und Rochette erst richtig bekannt. Hätten der Regisseur Bong nicht zufällig in einem Comicladen das Buch entdeckt, wäre die Geschichte wohl niemals verfilmt und zu der Bekanntheit gekommen. Dass die Vorlage aber eine tolle Geschichte lieferte und der Regisseur mit der Auswahl einen richtigen Riecher hatte, haben ja die Erfolge gezeigt.
Was will ich mit der Geschichte sagen? Auch eine so gute Arbeit seien Kunstwerke, Musikkompositionen, Bücher oder journalistische Arbeiten, bringen nichts wenn sie nicht bekannt werden. Es mag nobel sein für den Künstler, Komponisten, Autoren oder Journalisten, der excellente Arbeit geleistet hat, dies nur für sich tut, aber es wäre doch gut wenn viele Menschen auch etwas davon haben könnten.
Der andere Aspekt bezüglich Finanzierbarkeit von Contentseiten ist nicht einfach zu beantworten. Viele Zeitungen, die parallel Online-Version betreiben verlieren ihre Leser im Print-Bereich aber haben immer noch keine Lösung gefunden, wie man mit auf der Online-Schiene gewinnorientiert arbeiten kann. Allein mit Werbung ist es schwierig. Du hast ja bereits die Probleme genannt. Abo-Modell ist ebenfalls nicht einfach, weil es so viele Konkurenten gibt, die kostenlos anbieten. Aber ähnliche Probleme hatten auch die Streamingdienste. Es gibt heute noch zahlreiche illegale Straminganbieter. Aber trotzdem bekommen Anbieter wie Netflix neue Abonenten – trotz der neulichen Preiserhöhung!
Das Angebot und die Qualität müssen stimmen, dann wären auch Leser bereit eine Online-Zeitung zu abonieren. Warum arbeiten die Zeitungen nicht zusammen und bringen werbefreie Abo-Modelle heraus? Ich finde die Angebote von manchen Zeitschriften immer noch zu kompliziert und außerdem viel zu überteuert, die pro Artikel Geld haben wollen. Ich denke auch, dass solche Modelle bald zu erwarten sein wird. Warum hat denn Herr Bezos wohl Washington Post aufgekauft?
Ein Problem bleibt tatsächlich noch. Wie Du schon richtig ansprichst, haben die Webseiten, die nur wenige Leute ansprechen, weil sie zu wissenschaftlich, zu speziell oder eben keine massentaugliche Artikel enthalten, sehr schwer. Vielleicht ist der Vergleich zu dem Bundesligaverein Bochum nicht schlecht. Der Verein hat zwar nicht so viele Anhängerschaft wie Broussia Dortmund oder Bayern München aber die Fans sind so eng mit dem Verein verbunden, dass der Verein noch gibt. Dabei hatte ja die Stadt Bochum es ja gar nicht leicht in letzter Zeit…
Ich weiß nicht, wie häufig VfL Bochum abgestiegen ist. Aber der Verein hat immer wieder nach oben geschaft – genau wie ein Aufzug vom Förderturm.