Oder: Wieso Welt Online in letzter Zeit viele interessante Artikel hat.
Ein Interview mit Walter Pincus, bereits gestern zitiert, verdient meiner Meinung nach noch einmal eine besondere Aufmerksamkeit – unter journalistischen Aspekten. Der Pulitzer-Preisträgersagte ein paar interessante und wissenswerte Dinge. So antwortete er auf die Frage, ob man neutral sein könne:
Natürlich nicht. Jeder hat eine Meinung. Die wahre Frage ist, wie man damit umgeht. Es gibt keine Objektivität im Journalismus. Wie man aufwuchs, die Hautfarbe, all das beeinflusst die Weltsicht.
Damit hat er etwas ganz wichtiges gesagt. Etwas, das vielen Meinungen widerspricht. Vielleicht auch die des Reporters Helge Timmerberg.
Zurück zum Interview: Pincus zufolge arbeiten heute die Leute nur noch für den Gewinn. (Geld regiert die Welt, wie kann es anders sein?) Von dem Geist öffentlichen Engagements sei nicht mehr viel zu spüren. Ob sogar die Politik in Demokratien nichts anderes als PR sei?
Sie ist dazu geworden. (…)
Ein klares Eingeständnis. Verlust von Qualität? Oder sind die Leser daran Schuld? Welt Online harkte nach: „Wollen die Leser heute mehr unterhalten werden, wollen sie keinen kritischen, komplizierten, investigativen Journalismus mehr?“ Die Antwort des Journalisten:
Nicht nur die Verlage haben sich geändert, auch die Chefetagen wollen heute eher Preise gewinnen, sie wollen strahlen. Aber natürlich müssen Zeitungen kommerziell erfolgreich sein, und daher sind sie Massenprodukte. Sie sind nicht wie Blogs.
Dennoch gibt Pincus nicht den Lesern die Schuld, sondern gesteht selbst Fehler ein:
Wir haben die Leser vergessen. Die Journalisten waren zu selbstbezogen.
Später ergänzt er, sie hätten im Printjournalismus zu viele Leute in den Achtzigern und Neunzigern eingestellt und über ihre Verhältnisse gelebt. Sehr ehrlich! (Welt Online findet das „selbstbewusst“.) Wie es sich für ein anständiges Interview gehört, endet es mit einem tollen Schlusszitat:
Zeitungsleser wollen überrascht werden. Leser sehen etwas, das sie nie erwarteten. Das mögen sie. Darum geht es.
Die Zukunft des Journalismus? Nachrichten-Themen à la eBay!
Passend zum Interview veröffentlichte Welt Online nur ein Tag zuvor einen Artikel zum Thema „Zeitungssterben“, in dem es ein neues Konzept aus den USA näher beschreibt:
Spot.us ist ein Portal, auf dem Internetsurfer eigene Rechercheprojekte in Auftrag geben und nach Journalisten suchen können, die sich gegen Geld der Geschichte annehmen. Mindestens 25 Dollar sollen Leser in einen potenziellen Scoop investieren. Wenn mehrere hundert Dollar zusammen kommen, können Journalisten mit dem Rechercheprojekt beginnen.
Die Idee klingt simpel und funktionierte zumindest bei einem Thema:
Bis eine Geschichte ausreichend Unterstützer hat, dauert es normalerweise mehrere Wochen. Ausgerechnet eine Geschichte war jedoch in Rekordzeit „fully funded“ (dt.: komplett finanziert): die Zukunft der regionalen Tageszeitungen in San Francisco im digitalen Zeitalter.
Das Fazit von Welt Online?
Journalisten müssten die Idee von „spot.us“ als Armutszeugnis für ihre eigene Zunft empfinden, sollten hochwertige Geschichten doch das Kaufargument für eine Tageszeitung sein. Und überall, wo Geschichten für Geld recherchiert werden, gerät die journalistische Unabhängigkeit in Gefahr.
Mein Fazit:
Niemand weiß so recht, wie es weitergeht. Und genau das ist die große Chance des recht jungen Online-Journalismus. Aber es wird immer schwerer, qualitativ hochwertige oder gar investigative Storys zu veröffentlichen. Nicht zuletzt dank Zeitdruck und Schnelllebigkeit. Oder wer von uns kann sich noch an meinen Blog-Eintrag über Spiegels „fairen“ Journalismus erinnern?
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