Er ist jung, er ist arm, er ist Künstler: Lucian Spatarius Aussichten auf finanziellen Erfolg sehen nicht gerade rosig aus. Warum sich der rumänische Fotokünstler trotzdem für seinen schwierigen Beruf entschieden hat und wie er damit über die Runden kommt, verrät er uns in unserer neuesten Serie „Vier Minuten mit“.
Lucian Spatariu, du fotografierst, nennst dich aber selbst nicht Fotograf. Warum nicht?
Ich war mal Fotograf, doch jetzt – eigentlich seit weniger als einem Jahr – sehe ich mich als Fotokünstler. Ich bin vom einfachen Beobachten und Aufnehmen zum Verdichten übergegangen; meine Ausstellungen sind nicht mehr einfache Bilderfolgen, sondern in den meisten Fällen nicht-lineare Bild-Text-Installationen.1 Seitdem nehme ich keine Fotoaufträge mehr an, sondern arbeite nur an meinen eigenen Projekten.
Aber ist es nicht naheliegend, mit seiner Arbeit auch Geld verdienen zu wollen?
Mich hat „das Bild” in den letzten zehn Jahren immer mehr gepackt, vom fotografischen Bild und Film über Malerei und Grafik bis hin zu etlichen Mischtechniken. Erst dieses Jahr wurde mir bewusst, wie viel von diesem „Bild-Virus“ ich den Filmen von Andrej Tarkowskij verdanke. Mit 19 habe ich „Stalker“ gesehen, eine philosophisch-theologische Meditation. Danach habe ich mir sein ganzes Filmwerk angeschaut, was mein Leben verändert hat. So kam ich überhaupt zum Bild-Denken und Bild-Schaffen.2
Es ist nichts falsch daran, mit seinen Bildern auch Geld verdienen zu wollen, aber mich hat dieser Kampf in den letzten Jahren sehr müde gemacht und auch teilweise gelangweilt, als ich nach einer Reportage aus 1000 Raw-Dateien 20 Vorschläge für eine Redaktion auswählen sollte. Und dann sollte ich auch noch glücklich sein, als sie eines davon publizierten und mir drei Monate später die 50 Euro überwiesen. Ich würde weiterhin engagierten Bildjournalismus als Auftragsarbeit machen, am liebsten über ein paar Wochen ein Projekt, wenn mich das nicht in tiefste Unruhe und Armut stürzen würde. Dann lieber mein eigener Auftraggeber sein, wodurch die Qualität am Ende viel höher ist. Und wenn ich ab und zu einen Print an einen Fotografieliebhaber verkaufen kann, bin ich glücklich.
Ganz schön viel Idealismus. Was hat dich das bis heute gekostet?
In erster Linie unzählige Stunden vor dem Rechner: einerseits beim Scannen der Negative, Positive und Polaroids – ich arbeite hauptsächlich analog –, andererseits bei der Retusche. Ich habe mal ausgerechnet: Pro ausgewähltes Bild brauche ich zirka vier Stunden, also rund sechs Mal mehr als beim Arbeiten mit rein digitalen Bildern. Die Kosten des Filmmaterials sind eher überschaubar, etwa ein Euro pro Bild inklusive Entwicklung. Aber wenn man bedenkt, dass ich meistens nur ein Motiv aus fünf, sechs auswähle und ich für jede Einstellung auch noch ein Testfoto auf Sofortbildmaterial mache, komme ich inklusive vier Stunden Retuschearbeit auf knapp 100 Euro pro Bild. Und da sind die Reisekosten noch nicht einmal mit eingerechnet.
Der unsichtbare Teil ist die Recherche eines Projekts, die manchmal Wochen oder Monate dauert. Und dann die Reise selbst, die immer eine Freude ist, koste es was es wolle! Doch all das zahlt sich am Ende aus. Leidenschaft macht so vieles möglich und lässt einen sogar manchen Schmerz vergessen. Der existentielle Preis, der mit dieser Tätigkeit – um es mal sachlich-trocken auszudrücken – einhergeht, ist nicht zu unterschätzen: Der finanzielle Druck und die Unsicherheit scheinen einen in unregelmäßigen Abständen zu erwürgen. Doch mit der Zeit lernt man die Basislektion: den Konsum zu minimieren und den Spaß zu maximieren.
Wenn ich das höre, frage ich mich unweigerlich: Womit verdienst du denn im Moment dein Geld?
Leider habe ich nichts geerbt und auch nicht beim Lotto gewonnen. Es war am Anfang hart, den Kampf um die direkte Verwertung meiner Fotos aufzugeben. Aber es hat eine unheimliche Erleichterung mit sich gebracht. Ich mache nun Retusche und Printberatung für eine international bekannte Künstlerin, Luzia Simons. Und nebenbei, meistens wenn Frau Simons verreist ist, bin ich City-Guide. Ich führe hauptsächlich australische, britische und amerikanische Gäste durch die Schlüsselorte Berlins. Es fesselt mich, in die komplizierte Geschichte Preußens und Deutschlands einzutauchen und meine eigene Version davon darzubieten. Aber keine Sorge, diese weicht nicht von der offiziellen Historiografie ab, es ist eher ein Netz von Ereignissen und deren Interpretation, durch die ich die Reisenden zum Nachdenken bringe. Die meisten bedanken sich hinterher bei mir, dass ich ihnen in knapp vier Stunden ein Panorama von fast vier Jahrhunderten deutscher Geschichte aufgezeigt habe. Und das erfüllt mich dann auch.
Gibt es eine eigene Fotografie, die dir am meisten bedeutet oder die am schwierigsten umzusetzen war?
Eine Fotografie, die mir viel bedeutet, ist die der gefluteten Kirche aus dem Karpatendorf Geamana in Rumänien. Ich habe inzwischen fünf Varianten davon, doch die erste Aufnahmefolge von Januar 2014, als die Landschaft verschneit und die Kirchenspitze aus dem dichten Nebel herausragt, finde ich am ursprünglichsten. Ich bin relativ früh aufgestanden, obwohl ich in der Nacht davor, bei Fisch und Schnaps, mit ein paar Bauern den Heiligen Johann gefeiert hatte. Vor 9 Uhr stand meine Kamera schussbereit auf dem Stativ. Doch der Nebel war derartig dicht, dass man vor halb 12 nur die Silhouette der alten Kirche erkennen konnte. Gegen 11 Uhr hatte ein heftiger Windhauch das Stativ samt massiver Kamera umgekippt und das Auslösekabel, das im Teleobjektiv eingeschraubt war, abgebrochen. Den Verschluss konnte ich deshalb nicht mehr betätigen, was einem totalen K.O. gleich war. Ich schaffte es aber, den kleinen Kabelrest zu entfernen und eine Serie von vier, fünf Aufnahmen zu machen, inklusive zwei, drei Tests mit dem Polaroid-Rückteil. Nach stundenlangem Warten musste alles innerhalb von drei Minuten passieren, sonst wäre der Nebel völlig verschwunden. Als das letzte Polaroid sich zu Ende entwickelte, war mir klar, dass ich erfolgreich gewesen war. Das verstehe ich übrigens unter Erfolg: dass man seinen Plan realisiert – trotz Hindernisse. Natürlich gehört auch etwas Glück dazu. Doch der stundenlange Marsch bis Geamana, mit mehr als 30 kg im Rucksack, war definitiv kein Glück. Es ist auch eines der markantesten Bilder meiner neuesten dokumentarischen Serie geworden; einem Projekt mit dem ich die Rolle des beobachtenden Fotografen wieder übernehme.
Dein neuestes Projekt heißt Pride and Comfort. Es sind Bilder verfallener Minenanlagen und früherer Arbeiterviertel in Rumänien. Welche Bedeutung hat für dich dieser Blick in die Vergangenheit?
Für Pride & Comfort habe ich zum ersten Mal in meinem Fotografenleben ein richtiges ‚artist-statement‘ geschrieben. Kurz gefasst, geht es um den Zusammenhang von Industriearbeit und Wohnen in Osteuropa allgemein. Rumänien war die erste Station, da ich von dort stamme. Und Minen waren meine ersten Schwerpunkte, weil mich diese Tätigkeit persönlich fasziniert. Es geht hauptsächlich um Industrieanlagen, die im Laufe des Übergangs Osteuropas zu einer sogenannten freien Marktwirtschaft geschlossen werden mussten. Das war zumindest die offizielle Erklärung. Dahinter steckt ein Knäuel voller Intrigen, Korruption, Inkompetenz und schlechtem Willen. Diese Lage scheint symptomatisch zu sein für den ganzen ehemaligen Ost-Block. Mit den einzelnen Fällen setze ich mich mittels eines Bildpaares und eines kritischen Textes auseinander. Auf einem Bild ist dann die Anlage zu sehen, auf dem anderen eine der Arbeiterwohnungen oder deren Ruinen. Mein Ziel ist es, in spätestens fünf Jahren ein Fotobuch herauszugeben. Zurzeit bin ich im Gespräch mit einigen Verlegern. Alles was ich brauche, ist ein wenig Glück und etwa zehntausend Euro.
Was wünschst du dir als nächsten Schritt?
Der nächste Schritt ist für meine Osteuropa-Serie entscheidend. Mithilfe einer Interessenerklärung seitens eines deutschen Fotobuchverlags möchte ich mich für das „Grenzgänger“-Förderprogramm der Robert-Bosch-Stiftung bewerben. Falls meine Glückssträhne anhalten wird und ich dieses Stipendium erhalte, kann ich die Serie ausweiten und nach Russland, Ukraine, Bulgarien und Georgien reisen. Vielleicht auch in die Türkei. In diesem Fall hätte das Projekt gute Chancen, zuende gebracht zu werden. Auch ohne eine Förderung werde ich meine Idee weiter verfolgen.
Im ersten Teil unserer „Vier Minuten mit“-Serie stellte Taxifahrer Ray aus Kuala Lumpur abschließend folgende Frage an den nächsten in der Reihe: „Welchen Star würdest du gerne mal treffen?“
Stars mag ich im Allgemeinen nicht, da sie meistens hohle mediale Produkte einer amerikanisierten Gesellschaft sind. Aber wenn es um eine Persönlichkeit geht, die etwas Besonderes erreicht hat, ein wertvoller Mensch einfach, würde ich gerne die amerikanische Fotografin Nan Goldin wieder treffen. 2010 hatte ich in der Berlinischen Galerie ein kurzes Gespräch mit ihr, während ihrer Einzelausstellung ‚Berlin Work‘. Da hatte sie mir verraten, was wenige wissen: Nämlich, dass ihre jüdischen Großeltern aus Rumänien nach Amerika geflohen waren. Ich hatte drei Tage zuvor eines ihrer Bilder gekauft, das sie mir mit zitternder Hand signierte und dabei sogar die Straße draufschrieb, in der die Zimmerszene stattgefunden hatte. Bei unserem zweiten Treffen würde ich sie für mindestens eine halbe Stunde für mich haben wollen, am besten in einem Berliner Park. Und wenn das Gespräch es erlaubt, würde ich mit Nan einen leichten Joint rauchen, zur Inspiration.
Lucian Spatariu bei lensculture: The Valley of the Shadow of Death
Frage an den nächsten Interviewten: Welche drei Bücher würdest du auf den Mond mitnehmen?
- Das heißt, dass ich meine Serien von vorneherein für die Wand oder als Buch konzipiere, nie als Einzelbilder. Und sie stehen dann in einem konzeptuellen, nicht gleich ersichtlichen Zusammenhang zueinander. Ungefähr so wie der Unterschied zwischen einem klassischen Erzählfilm und einem Experimentalfilm. ↵
- Darunter verstehe ich das bildnerische Tun in seiner Ganzheit, von der Technik zur Hermeneutik bis zur Präsentation und zur sozialen Resonanz meiner Bilder. ↵
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