Alle Welt redet und schreibt über Helden. Doch kaum einer weiß, wer Helden eigentlich sind und was sie ausmacht. JUICED hat bei Professor Ralf von den Hoff nachgefragt.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, über Helden zu forschen?
Das hat zwei Gründe: Zum einen haben sich eine Reihe von Leuten an der Universität Freiburg gegen 2008 historisch und kulturwissenschaftlich mit dem Thema „heroische Figuren“ und „Eliten“ beschäftigt, also beispielsweise mit der Frage „Welche Rollen spielen Helden in vergangenen Kulturen?“. Zum anderen wurde das Thema in dieser Zeit immer aktueller. Man hörte den Begriff „Held“ in Populärkulturen und Zeitungen immer häufiger. Daher wollten wir uns in diesem Zusammenhang zwischen der Geschichte des Begriffs „Held“ und der Figur und der modernen Aktualität beschäftigen.
Was ist in Ihrer bisherigen Forschung für Sie die spannendste Erkenntnis?
Das Wichtigste ist vielleicht der Ausgangspunkt „Helden werden gemacht“ – was sich immer mehr bestätigt. Wir werden immer wieder gefragt „Wer ist denn ein Held und wer nicht?“. Aber das ist gar nicht die entscheidende Frage. Die entscheidende Frage ist: „Wer sagt wann zu jemanden Held oder Heldin?“ Sobald so etwas geschieht, setzt ein Mechanismus der Faszination oder der strikten Ablehnung für diese Figur ein. Deshalb interessiert uns vor allem die Frage „Wann machen Leute weshalb andere Leute zu Helden?“, was wir „Heroisierung“ nennen. Außerdem bestätigt sich immer mehr die derzeit wahnsinnige Ausbreitung und Verwendung des Begriffs – auch in Ländern wie Deutschland, wo vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg Helden durchaus kritisch betrachtet wurden. Immer häufiger wird jede noch so unbedeutende Person gleich zum Helden stilisiert; darunter auch Figuren, die gar nicht selbst aktiv sind, sondern eher etwas erleiden. Auch hier bestätigt sich, dass dieser Boom anhält.
Nun sagen Sie, dass es nicht entscheidend ist, wer ein Held ist, sondern dass er heutzutage gemacht wird. Aber gab es denn mal eine ursprüngliche Definition von „Held“?
Natürlich gab es das nach unseren Begriffen. Im Deutschen sagen wir ja „Held“, was keine lateinischen oder griechischen Wurzeln hat. Aber der Begriff „Heros“, der im Englischen und Französischen weiter benutzt wird, hat griechische Ursprünge. Im klassischen Griechenland wurde dieser Begriff auf eine ganz bestimmte Gruppe von Menschen angewandt, beispielsweise bei Figuren wie „Herakles“ oder „Achilleus“. Damals waren relativ klare Vorstellungen damit verbunden: lange verstorben, im Krieg oder Kampf leistungsfähig und eine Figur, die man auch religiös verehrte. Das ist der ursprüngliche Heldenbegriff der griechischen Antike. Wenn wir das mit dem heutigen Begriff vergleichen, gibt es viele Unterschiede. Eine wirkliche religiöse Verehrung gibt es nicht mehr. Auch das rein Kriegerische ist nicht mehr dominant. Schon daran sehen Sie, dass je nach Epoche, Zeit und den Interessen, die man hat, sich diese Definition ändert.
Sollte es Ihrer Meinung nach wieder eine allgemeine Definition geben?
Da bin ich sehr zurückhaltend. Wir werden immer das haben, was wir brauchen und auch das schaffen, was wir brauchen. Ich glaube, es ist wichtig, dass Gruppen und Einzelne – auch ganze Staaten – Figuren und Dinge haben, mit denen sie sich identifizieren. Das kann eine Verfassung, ein Symbol, aber auch ein Mensch sein. Und solche menschlichen Vorbilder haben es an sich, dass man leichter an sie herankommt; sie sind greifbarer und somit besser verständlich.
Das heißt, dem bekannten Zitat von Berthold Brecht, „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat!“ würden Sie gar nicht per se zustimmen?
Ich fände es schön, wenn es ohne ginge, auch weil es in einer demokratischen Gesellschaft schwer ist, einzelne Figuren herauszuheben. Brechts Aussage bezog sich auf Galilei, der auch Dinge geleistet hat, die sich negativ ausgewirkt und in Brechts Vorstellung nach dem zweiten Weltkrieg schließlich auch zur Atombombe geführt haben. Das macht es schwieriger, wenn Leute etwas Herausragendes leisten, was anschließend in einer Weise verwendet wird, die man kritisiert. Darauf beruht Brechts Äußerung, denke ich. Ich wäre froh, wenn es auch ohne Helden ginge, aber ich glaube nicht, dass man das erreichen wird.
Wie groß ist denn der Einfluss der Medien auf die heutige Heroisierung?
Sehr groß. Die Medien selbst haben als solche ja keinen direkten Einfluss. Dieser Einfluss ist ja von denen gemacht, die Medien machen. Wenn Medien Massenmedien sind, wie das heute der Fall ist, dann führen sie sehr schnell zur Verbreitung von Heroisierungen und sehr schnell dazu, dass eine Figur von vielen besonders herausgehoben wird. Die Massenverbreitung hat also immens mit den Medien zu tun. Ohne Medien gibt es so wenig Helden wie ohne Heroisierungen. Aber wir sollten Medien nicht auf unsere Massenmedien wie Fernsehen beschränken – Medien hat es immer gegeben: auch Homers Ilias ist ein Medium.
Durch Medien kann es also sehr schnell zur Heroisierung kommen. Könnte man auch negativ konnotiert sagen, dass heutzutage Helden etwas voreilig entstehen und sie dementsprechend schnelllebig und vergänglich sind?
Ja, unbedingt. Und gerade das ist etwas Spannendes. Diese ganz große Schnelllebigkeit, diese schnelle Heroisierung – aber auch das schnelle Verschwinden –, ist im Moment etwas ganz Auffälliges. Diese Figuren sind also gar nicht mehr nötig, um den Leuten eine langfristige Orientierung zu geben. Heutzutage braucht man offensichtlich eher kurzfristige Antworten auf Fragen. Und indem man eine Antwort, die eine Person gibt, als „heldisch“ bezeichnet, hebt man sie als besonders gut hervor. Die derzeit massive Verwendung des Begriffs „Helden“ hat bestimmt auch mit der medialen Massenverbreitung zu tun. In den Medien kann man mit diesem Begriff Aufmerksamkeit erzeugen. Der Begriff ist heute also ein Mittel zur Aufmerksamkeitserzeugung. Insofern ist er ein bisschen ausgehöhlt, aber das war er auch schon in anderen Epochen.
Wenn also ein Mario Götze mit seinem WM-Siegtreffer als Held tituliert wird, dann ist das in dem Moment auch legitim – genauso, wie dass es wieder verblasst. Das Verständnis von Heldentum hat sich halt im Laufe der Jahre verändert?
Ja, das würde ich so sehen. Wenn Sie unsere Definition des Heroischen nehmen – eine Leistung in der Auseinandersetzung mit etwas anderem, überragend und dann als heldenhaft tituliert – bezieht sich das durchaus aufs Endspiel, in dem er als Einzelner unter 22 Personen mit dem Tor eine herausragende Leistung erbrachte. Dass das so schnelllebig ist – Sie weisen immer so ein bisschen darauf, dass das ja etwas Negatives sei –…
…das ist die Frage…
…finde ich nur dann problematisch, wenn an die Stelle dessen nicht weiterhin auch Figuren oder Dinge treten, die langlebig Orientierung bieten. In der Antike bot der Begriff „Heros“ vielleicht langlebige Orientierung in der religiösen Verehrung. Es wäre schlecht, wenn wir heute dafür keinen Ersatz hätten und nur noch diese schnelllebigen Figuren. Aber ich glaube schon, dass wir dafür Ersatz haben: andere Dinge wie bestimmte politische oder soziale Prinzipien, die sich nicht an Figuren, Personen und Menschen festmachen, sondern uns abstrakter als Ideale vor Augen stehen.
Aber wenn man „politische Prinzipien“ als Beispiel nimmt und dann feststellt, dass in Deutschland genauso wie in den USA der Trend mehr zur Personifizierung und weniger zu politischen Inhalten geht, wäre das im Gesamtkontext dann eine beunruhigende Entwicklung, oder?
Das ist jetzt eine Frage an mich persönlich, nicht?
Ja.
Es gab mal jemanden, der mich bei einem Interview fragte, wer denn mein Held sei. Als ich sagte, dass ich keine habe, erwiderte er, „Na das ist natürlich Ihr akademischer Habitus, wenn Sie jetzt sagen, ‚Akademiker haben keine Helden‘“. Aber das Persönliche „Mein Held“ und das Wissenschaftliche „Was ist das?“ verschwimmen hier miteinander. Ich finde es persönlich auch nicht besonders ermutigend, wenn sich alles auf Einzelpersonen bezieht – und dieser Personenkult geht mit der überbordenden Benutzung des Begriffs „Helden“ wirklich zusammen, da haben Sie völlig Recht. Das finde ich auch nicht gut. Aber die Analyse müsste weiter gehen: „Gibt es wirklich nichts anderes mehr, das die Leute bewegt?“ Bewegt sie zum Beispiel soziale Ungerechtigkeit nicht mehr, sondern nur noch die Person? Wenn das so ist, ist es problematisch. Wenn aber die eigentlichen Probleme stets auf das Personale gehoben und damit verarbeitet werden, ist das nicht so tragisch, sondern nur eine Art von Technik, in der man derzeit damit umgeht.
Hat denn jeder von uns das Potenzial, ein Held zu werden?
Klar. Ob man das will oder nicht, ist eine andere Frage.
Dazu habe ich ein Beispiel: Wir haben auf JUICED einen Artikel über eine junge zweifache Mutter veröffentlicht, die sich dazu entschieden hat, zuhause zu bleiben, um ihre Kinder großzuziehen. In diesem Interview schrieben wir, dass sie für uns eine Heldin sei. Kann man das nach heutigem Verständnis so sehen oder wäre der Begriff „Heldin“ in diesem Fall zu inflationär gebraucht?
Man kann alles machen. (lacht) Sie fragen danach, ob ich das in einer Mischung aus Wissenschaft und Moral bewerten könnte. Das ist schwierig. Wenn es Eltern und ihrem Engagement etwas bringt, „Heldin“ genannt zu werden, dann würde ich sagen, dass es auch okay ist, sie so zu nennen. Ob uns das aber irgendetwas bringt, weiß ich nicht. Denn bei völlig inflationärer Verwendung würden alle Helden heißen, es wäre nicht Außerordentliches mehr und wir bräuchten dafür dann andere Begriffe. Ein Beispiel dafür ist vielleicht die Schlägerei am Münchener S-Bahnhof Solln. Da wurde ein Mann brutal zusammengeschlagen und Dominik Brunner griff ein und starb dabei. Anschließend entstand eine Diskussion darum, ob man Dominik Brunner einen „Held“ nennen sollte. Dann hieß es, es sei vielleicht angemessener zu sagen „Das war Zivilcourage“. Sie können auch sagen, „Wir brauchen andere Begriffe, der Heldenbegriff ist zu abgenutzt. Wir nennen das jetzt ‚Zivilcourage‘.“ Oder wir nennen die Frau, die ihre Kinder großzieht, „couragiert“. Das kann man natürlich auch machen. Aber die Wirkung ist vielleicht anders. Ich finde also nicht, dass das nur ein Problem der Abnutzung ist, und auch nicht nur der Moral. Und wenn es doch eines der Moral ist, muss jeder für sich entscheiden, ob er das gut findet oder nicht.
Nun sagten Sie ja schon, dass Sie selbst gar keinen Held haben. Da Sie klassischer Archäologe sind: Wie wär’s denn mit Herkules, der ja gerade als Kraftprotz im Kino zu sehen ist?
Wie es damit wäre? (lacht) Na Sie können sich vorstellen, dass ich zu Herkules eine sehr distanzierte Meinung habe. Ich beschäftige mich natürlich mit ihm. Aber weil es eine wissenschaftliche Beschäftigung ist, ist das für mich sehr weit weg. Kein Internist liebt und identifiziert sich mit inneren Organen. Ich beschäftige mich mit Herakles, was aber nicht heißt, dass er mein Held ist. Er ist eine sehr spannende Figur, weil er so ungeheuer flexibel ist. Sie sagen jetzt „Kraftprotz“. In der Antike war er beispielsweise auch Säufer, was man in bestimmten Kontexten gut gefunden hat. Er hat aber auch im Wahn seine Kinder getötet, wie uns in antiken Texten berichtet wird. All das blendet man aus, wenn man nur Gutes an ihm finden möchte – und den Kraftprotz würde ich jetzt nicht unbedingt gut finden, den Säufer und den Kindertöter natürlich auch nicht. Wenn man zu viel über Helden als Personen weiß, werden sie problematisch. Mario Götzes Privatleben steht nicht auf der Agenda, wenn ich ihn für das Tor zum Held mache – und auch nicht, wie er in der Schule war. Aber wenn da etwas Kritisches herauskommt, und dadurch Probleme entstehen, dann entheroisiert das solch eine Figur, was ich ein spannendes Phänomen finde. Zum Helden wird man für eine bestimmte Leistung. Alle anderen Leistungen, die man erbringt, sind dann nur am Rande wichtig. Daher würde ich sagen, dass Herakles für mich kein Held ist, sondern ein Objekt, mit dem ich mich als Archäologe beschäftige.
Das passt gut zur Frage nach amerikanischen Comichelden: Warum sind die eigentlich so wahnsinnig beliebt?
Weil sie erstens immer für die Dinge einstehen, die moralisch in einer bestimmten Zeit auch positiv sind. Zweitens haben sie auch alle eine Schattenseite. Helden und Heldinnen sind auch „Kippfiguren“. Sie kippen vom Positiven zum Negativen. Sie haben immer auch etwas Zweifelhaftes, Undurchsichtiges neben dem ungeheuer Guten – als brauchte es das als Ausgleich. Helden sind zum Teil sogar in einer zweiten Identität Superheld. Ihre dunkle, unbekannte Seite scheint etwas ganz Faszinierendes am Helden zu sein, wenn er sie denn hat.
Das heißt, Helden sind gar nicht immer gut, wie man das vielleicht meinen würde?
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Helden haben immer diese beiden Seiten und können so auch abgelöst werden, indem Gegner sagen: „Hier ist ja eine negative Seite“, wodurch der Held seine Unterstützung verliert. Das gehört grundsätzlich dazu, weil Helden eben Menschen sind und Menschen diese Seiten haben. Das macht sie übrigens möglicherweise attraktiver als Verfassungen oder Symbole. Die haben nicht zwei oder drei Seiten. Bei Helden gibt es immer das Kippen zwischen gut und schlecht – und es gibt auch Figuren, die dann vom Helden zum Täter werden. Dann ist es plötzlich negativ, dass man etwas gemacht hat.
Herr von den Hoff, herzlichen Dank für das aufschlussreiche Gespräch.
Seit Juli 2012 gibt es an der Universität Freiburg im Breisgau den Sonderforschungsbereich „Helden, Heroisierungen, Heroismen – Transformationen und Konjunkturen von der Antike bis zur Moderne“. Darin wird, gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, das Heroische als soziales Phänomen in einer kulturübergreifenden Langzeitperspektive von der Antike bis heute untersucht.
In der ersten Förderphase werden über 50 Personen, darunter 15-20 Doktorantinnen und Doktoranten, bis Juni 2016 für die Forschung bezahlt. Sprecher des Projekts ist der Professor für Klassische Archäologie Ralf von den Hoff.
Für das Forschungsprojekt wurden zu Beginn neben den Forschungszielen die interessanten Figuren sowie folgende Arbeitsdefinition festgelegt: „Helden sind Figuren, die so benannt werden, etwas Außerordentliches bzw. Übermenschliches in der Auseinandersetzung des Anderen tun und über deren Tun auch berichtet und erzählt wird.“
Das Projekt ist auf eine Dauer von zwölf Jahren ausgelegt. Sollte die Deutsche Forschungsgemeinschaft das Projekt nach 2016 für zunächst weitere vier Jahre fördern, soll untersucht werden, ob es in anderen Kulturkreisen wie China und Asien die Vorstellungen des Heroischen überhaupt gibt und inwiefern sie sich zu den europäischen Vorstellungen verhalten.
Weiterführende Links:
- Helden, Heroisierungen, Heroismen: Offizielle Webseite mit öffentlichen Veranstaltungen wie Vorträgen und Tagungen
- E-Journal zu Kulturen des Heroischen
FranJo meint
Prof. von den Hoff sagt: Die entscheidende Frage ist: „Wer sagt wann zu jemanden Held oder Heldin?“
Meiner Meinung nach sollte es keine Helden geben, denn niemand ist ein Held in allen Lebensbereichen. Trotz einer Vorbildfunktion in einem bestimmten Lebensbereich kann auch ein Held fehlerhaft sein in anderen Lebensbereichen.
Während der Nazizeit gab es anstelle des Volkstrauertages den Heldengedenktag. Alle gefallenen Veteranen der Kriege wurden dabei als Helden geehrt.
Zeugen Jehovas weigerten sich in der Nazizeit, dem Militärdienst abzuleisten und in den Krieg zu ziehen und mussten dafür mit einer Gefängnisstrafe oder gar mit einer Deportierung in ein KZ rechnen. Sie galten als Feiglinge und Vaterlandsverräter.
Wer waren nun die Helden?
Die Soldaten, die in einem Eroberungskrieg viel Leid über andere Nationen gebracht haben oder die, die für die Verweigerung des Militärdienstes sich verfolgen ließen?
Für mich sind die Kriegsdienstverweigerer die Helden, denn sie folgten ihrem Gewissen und wollten kein Leid über andere Völker bringen.
Alte Katholiken kennen das Lied: „Mir nach spricht Christus unser Held“ Dieser Jesus Christus ist der einzige, dem ich den Heldenstatus anerkenne.