Flipboard und RSS-Reader: Paid Content ade?
Ob die Verleger sich aber tatsächlich einmal am Tag hinsetzen, beten und Steve Jobs als Retter danken sollten, darf bezweifelt werden. Denn zunächst einmal unterwerfen sie sich Apples strikter Firmenpolitik, die gerne Inhalte zensiert oder erst gar nicht zulässt. Die Medienfreiheit ist daher stark gefährdet. Zum anderen machen sich insbesondere die Verlage von einem einzigen Anbieter abhängig, der gerade auf dem Weg zur Monopolstellung ist – eine heikle Situation in einer pluralistischen Medienlandschaft.
Was Mathias Döpfner und Co. auch nicht bedacht hatten, sind die stark verbesserten RSS-Reader und ähnliche Dienste, die personalisierte Nachrichtenseiten ermöglichen. Hohe Wellen schlug jüngst etwa die kostenlose iPad-Applikation „Flipboard“, die automatisch Überschriften, Textauszüge und Bilder für den Leser aufbereitet – basierend auf Empfehlungen von Freunden auf Facebook oder Twitter. Optisch übersichtlich und hübsch anzusehen, bietet Flipboard dem Anwender somit einen persönlichen Nachrichtenstrom an, ohne auch nur einen Cent für die Inhalte zu bezahlen. Der Clou dabei: Doppelte Nachrichten sollen automatisch herausgefiltert werden, was in der bisherigen Version aber noch nicht ganz zu funktionieren scheint. Es zeigt aber, in welche Richtung sich die „computerisierten Redaktionssysteme“ entwickeln und welches Potenzial in ihnen steckt. Carta-Autor Matthias Schwenk schlussfolgert treffend: „(…) Verleger wie Mathias Döpfner könnten ihre Euphorie in Bezug auf Steve Jobs und das iPad noch korrigieren müssen. Denn Flipboard weist zumindest in eine Richtung, in der die Aggregation von Nachrichten attraktiv und dynamisch erscheint, während herkömmliche Medien-Apps dagegen langweilig und statisch wirken.“ [1]
Auch Apples neue iAd-Werbeplattform für Onlinewerbung ist kein zwingender Grund für den Erfolg des iPads. Michael Frank, Geschäftsführer der Münchner Agentur Plan.Net, relativierte den Hype um den Tablet PC: „In den USA reden wir derzeit von 1,2 bis 1,35 Mio verkauften iPad-Geräten. Auf der anderen Seite haben wir 150 bis 200 Millionen auf dem Markt befindliche stationäre PCs. Auf dem deutschen Markt wird es mit Jahresbeginn 2011 laut Studien vielleicht 500.000 bis 600.000 iPads geben. 600.000 iPads bedeuten 600.000 einzelne Nutzer. Die laden sich dann wiederum ganz individuell Apps herunter auf denen man vielleicht Werbung schalten kann. Wenn nun fünf Prozent davon eine Spiegel- oder Bild-App nutzen, dann habe ich nur 25.000 bis 30.000 Menschen, die ich mit Werbung dort theoretisch erreiche. Für Massenmarken ist das noch keine spannende Reichweite.“[2]
Mit dem iPad erstmals komfortabel Artikel konsumieren
Das iPad sei das erste handliche „Lean back“-Medium, mit dem Surfen im Internet entspannend sei und Nachrichten lesen Spaß mache, behaupten Fans und Begeisterte des Tablet PC. Es stimmt, bislang war längere Nachrichten online lesen schnell ermüdend und die schweren Notebooks auf dem Schoß sehr unbequem. Doch auch das iPad ist erheblich schwerer und unflexibler als eine gedruckte Zeitung oder Zeitschrift, für einige nach wie vor zu schwer.
Nicht nur das Gewicht schränkt das iPad als mobiles Nachrichtenmedium für den Anwender trotz all der Vorzüge stark ein: So ist das iPad unter freiem Himmel kaum lesbar (hier wäre die noch nicht massenmarktreife „Color E-Ink“-Technologie vonnöten[3]), zudem am Strand kaum nutzbar (die Urlaubszeitung wird demnach auch in fünf Jahren noch notwendig sein), da Sonne, Sand und Meer hier zum Alptraum werden. Hinzu kommt die Angst vor Diebstahl, die eine innere Entspannung in Anspannung verwandeln kann. Eine Tageszeitung oder ein gutes Buch (mit unbegrenzter Akkulaufzeit) neben dem Badetuch hingegen ist für Langfinger nicht besonders attraktiv – und kann ruhig einmal auf den Boden fallen.
Wieso das iPad für den Lokaljournalismus nicht taugt
Auch für den Anbieter eignet sich das Format nur bedingt: Sicher sind theoretisch tolle Verschmelzungen von Text, Fotos und Videos in einem Artikel möglich. Doch in der Praxis merkt man schnell: Wer soll all die Videos produzieren und wer will all die 100 Fotos zu einem bestimmten Event überhaupt sehen? Gerade im Lokaljournalismus besteht oftmals nicht die Möglichkeit, vielfach auch nicht die Notwendigkeit, die Nachricht mit Videos oder Fotos zu versehen. Warum also erneut Geld in ein weiteres Content Management System investieren, wenn die Verleger nicht wissen, ob sie diese Investitionen tatsächlich jemals wieder reinholen werden? Denn alleine damit ist es nicht getan. Die Redakteure müssen (um)geschult werden, neue für Videos und Co. engagiert werden. Doch all das kostet zusätzlich Geld – das die Verlage schon heute nicht haben. Da ist es nur allzu verständlich, dass sie den Erfolg des iPads heraufbeschwören wollen, sobald sie darin investieren.
In Deutschland kommt erschwerend der demografische Wandel hinzu, der die Verleger vor eine weitere Problematik stellt: Wie bekommt man ältere Menschen dazu, ein iPad statt eine gedruckte Zeitung zu kaufen? Und wer bringt ihnen bei, wie man das bedient? Denn eine Application (App) herunterzuladen und zu bezahlen ist für viele Nutzer dann doch nicht so einfach.
Paid Content in der Zwickmühle: Wer wagt den ersten Schritt?
„Wie viel Geld sind Sie bereit, pro Monat auszugeben, um journalistische Inhalte auf dem iPad zu lesen“, fragte das Onlineportal Horizont.net seine Nutzer. Mit 62,4 Prozent stimmte die Mehrheit nach wie vor deutlich für „Nichts“. Immerhin 21,1 Prozent würden bis zu fünf Euro geben, 7,6 Prozent zwischen fünf und zehn Euro[4]. Doch auf diese Aussagen kann man sich nicht verlassen: Ein Häkchen ist leicht gesetzt, kostet es ja nichts. Aber sobald die Nutzer dann tatsächlich zur Kasse gebeten werden, scheuen sie sich doch – insbesondere, solange es die Nachrichten auf der normalen Webseite noch umsonst gibt. Da keiner der großen Nachrichtenportale auf die vielen Besucher verzichten möchte, traut sich kein deutscher Verlag, als erster die Nachrichten nur noch gegen Zahlung anzubieten. Natürlich würde das zunächst einmal einen großen Besucherrückgang zur Folge haben, da teilweise bis über die Hälfte der Besucher von Googles Suchmaschine oder Google News kommen. Das wiederum hätte einen Verlust der Werbeeinnahmen zur Folge, da sich die Anzeigenpreise nach den Page Impressions (Seitenaufrufen) richtet. Eine Zwickmühle.
Und wie praxistauglich ist das iPad für Journalisten? Welt Online-Redakteur Thomas Heuzeroth scheiterte bei einem Selbstversuch auf der Arbeit kläglich: „Zuma aabeweis haben dir Jottekgurlrsrt diesem Satz Ähre Dienxg,leRisteng versagt (Zum Beweis haben die Korrekturleser diesem Satz ihre Dienstleistung versagt).“[5] Auch die fehlenden USB-, SD-Card- oder VGA-Schnittstellen machen das iPad für Journalisten wie Privatanwender nur bedingt praxistauglich.
[1]http://carta.info/31075/flipboard-schnelles-ende-der-ipad-euphorie-bei-den-verlagen/
[2]
[3]http://www.fastcompany.com/blog/kit-eaton/technomix/e-ink-buy-out-clears-path-color-kindle-2010
[4]http://www.horizont.net/aktuell/digital/pages/protected/iPad-Marktforscher-rechnen-2010-mit-500.000-verkauften-Apple-Tablets-in-Deutschland_92460.html
[5]http://www.welt.de/wirtschaft/webwelt/article7781964/Mein-Leben-mit-dem-neuen-iPad.html
SERIE: Wieso das iPad den Journalismus nicht rettet – aber trotzdem weiterhilft.
- Teil 1: Google Trends, Apples drittes Geschäftsquartal, Selbstkreierte Medieneuphorie
- Teil 2: Flipboard und RSS-Reader: Paid Content ade? iPad nicht für Lokaljournalismus
- Teil 3: Wozu iPad?, Kritik an Steve Jobs, Dritte Welt Länder und greifbare Printprodukte
spielerin meint
guter Artikel ! ;-)