Wozu braucht man das iPad überhaupt?
Der Schweizer Verleger Michael Ringier „glaubt nicht daran, dass Apples iPad der Heilsbringer für die Zeitungen ist. Allein der Journalismus könne diese retten.“ Laut Ringier sei das iPad bislang nur eine Spielerei[1]. Und damit ist er bei weitem nicht alleine.
Viele Medienschaffende, Blogger und Diskussionen in Foren werfen vor allem eine Frage auf: Wozu braucht man das iPad überhaupt? Welchen Mehrwert hat das Gerät? Was kann das iPad, was andere Geräte nicht können?
Medienjournalist Jeff Jarvis konnte diese Frage auch nicht beantworten und veröffentlichte auf YouTube ein Video, in dem er das iPad wieder einpackte und umtauschte. Jarvis kommentierte treffend: „I’m taking my iPad back to the store (…). It’s really just because I don’t see a need for it. It’s solving a problem, that I don’t think exists. (…) I just don’t see a use case for the iPad.”[2] (Ich bringe mein iPad zurück zum Geschäft. Es ist wirklich nur, weil ich keine Notwendigkeit dafür sehe. Es löst ein Problem, von dem ich glaube, dass es gar nicht existiert. Ich sehe einfach keinen Anwendungsfall für das iPad.)
Kritik an Steve Jobs und dem iPad
Jarvis spricht hier aus, was sicher viele denken, aber kaum einer sich traut, laut auszusprechen. Das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ lässt grüßen. Blogger Darwin von Netzfeuilleton lässt auch an Apples Chef Steve Jobs kein gutes Haar: „Es ist sensationell dämlich, wie ein Geschäftsführer hochgelobt wird für seinen Starrsinn und seine Sturheit und gleichzeitig all die Widrigkeiten verübt, die sonst mit negativem Echo begleitet werden.“[3]
Auch Marek Hoffmann, Autor des High-Tech-Weblogs Basic Thinking, warnt vor dem blinden Vertrauen einiger Verleger in Apple: „Steve Jobs ist ein Diktator – zumindest in seinem Apple-Reich. Die Beispiele hierfür sind uferlos (App Store-Politik, Kunden-Service und Pressearbeit). Wer sich also dort hineinbegibt, muss sich seinem Diktat beugen. Sollten sich die Zeitungsverleger tatsächlich auf einen Deal einlassen, dann werden sie ihren Content entweder über iTunes oder irgendeinen anderen, von Jobs kontrollierten Online-Store verkaufen (müssen). Dies hätte fatale Folgen: Der direkte Zugang zu den Lesern wäre weg und nur noch über den Vermittler Apple möglich.“[4]
Große Hürden in Dritte Welt Ländern
Gegenwind dürfte der Mediengigant in den kommenden Monaten sicher auch von den zumindest technisch größtenteils überlegenen Tablet PC-Anbietern bekommen, die auf Googles Betriebssystem Android oder Microsoft Windows 7 setzen. Die Verleger dürfte das freuen: Schließlich belebt Konkurrenz bekanntlich das Geschäft. Und das sieht auch Mathias Döpfner so.
Ein weiterer Aspekt, der die Massentauglichkeit des iPads weltweit stark einschränkt, ist die Anwendungsmöglichkeit in den Entwicklungsländern wie Lateinamerika, Afrika und großen Teilen Asiens. Dort ist die Analphabeten-Rate oftmals sehr hoch, weswegen man in diesen Länder hauptsächlich Fernsehen und Radio benutzt. Doch selbst diejenigen, die Textnachrichten konsumieren, können sich die Anschaffung eines iPads meist nicht leisten. Zusätzliche Kosten für das Internet – sofern vorhanden – erschweren die Nutzung des Tablet PCs in Dritte Welt Ländern erheblich. Zudem benötigen sie ausreichend Strom und haben den Nachteil der stark eingeschränkten Reparaturmöglichkeiten.
„Das iPad ist definitiv der heilige Gral der Pornoindustrie“
Auch wenn das iPad den Journalismus nicht retten wird, hat es bislang neben Apple selbst immerhin einen Gewinner: die Pornoindustrie. Entgegen Jobs Schwur, nie einen Porno-Film auf seinen Produkten laufen zu lassen, boomen Video-Download-Plattformen mit erotischen Inhalten. So auch die Porno-Plattform Digital Playground, die laut Formengründer Joone am Startwochenende des iPads prompt ein Fünftel mehr Besucher und 30 Prozent mehr Anmeldungen auf der kostenpflichtigen Seite zählte. „Das iPad ist definitiv der heilige Gral der Pornoindustrie“, sagte Joone[5].
Banaler Grund: Printprodukte sind lebendig und greifbar
Der stärkste Grund, warum das iPad nicht die Lösung der Medienkrise sein wird, ist wohl auch der banalste: die haptische Wahrnehmung und damit einhergehend die hervorgerufenen Emotionen und das daraus resultierende Vertrauen. Vertrauen sowohl in das Medium als auch in den darauf gedruckten Inhalt.
Bücher und Zeitung fühlen sich echt an, das ist der große Pluspunkt. Lebendig. Computer und Internet hingegen sind schnelllebig, oberflächlich, vergänglich. Sie wirken kühl und künstlich. Aber Menschen sehnen sich nach Echtheit, Langlebigkeit, Haltbarkeit. Falsche Informationen im Web? Keine fünf Minuten später sind sie unmerklich korrigiert oder verschwunden. Darunter leidet neben der Faktentreue und Qualität vor allem die Glaubwürdigkeit immens.
Und ganz praktisch gesehen: Wer im Urlaub am Strand liegt oder neben dem Haus im Garten, will keinen leeren Akku, keine permanente Erreichbarkeit, kein kaputtes Lesegerät, keine Angst vor Diebstahl. Stattdessen bevorzugt er eine simple Zeitung oder ein viel zu dickes Buch – weil es sich gut anfühlt und die Fotos in den Magazinen viel schöner aussehen. Es sind diese scheinbar banalen Gründe. Menschen sind nicht so kompliziert und modern gestrickt, wie die (Medien-)Industrie das gerne hätte. Sie entscheiden oft nach unlogischen Gründen.
Hinzu kommt, dass mehr und mehr Menschen Sehnsucht nach etwas Nachhaltigem haben. Online rauscht alles ein einem vorbei wie der unaufhörliche Fluss neuester Tweets und Facebook-Updates. Nachrichten und ausführliche Recherchen verlieren an Wert, die Aufnahmekapazität hat ihre Grenze erreicht.
Back to the roots: Online-Artikel freiwillig ausdrucken
Immer mehr Menschen, darunter auch Studenten und Professoren, empfinden online lesen als anstrengend und drucken sich längere Artikel freiwillig aus, obwohl das Geld kostet. Das iPad wird diesen Trend nur geringfügig ändern können, trotz all der Vorteile.
Dass möglicherweise zehn Millionen Menschen ein iPad im ersten Jahr kaufen, zeigt lediglich eines: Wie leicht Menschen beeinflussbar geworden sind, wie stark sie von dem Medienhype erfasst sind. Immer das Neueste, das Modernste, das Coolste. Apple ist gerade „in“, Apple ist eine Mode, ein Lifestyle. Es ist – so scheint es – ein Lebensgefühl geworden. Aber auch dieser Trend geht einmal vorbei. Natürlich: Langfristig wird sich mehr und mehr Richtung Internet verschieben. Doch es wird mit dem iPad ebenso wenig eine Rettung wie eine Verdrängung, sondern lediglich eine Verschiebung stattfinden. Wochenzeitschriften und -zeitungen mit ausführlichen Hintergrundanalysen und langen Rechercheartikeln werden gedruckt, die aktuellen News hingegen wird man online lesen. Das ergibt Sinn und ergänzt sich gut.
Faszination iPad: Panikmache, infantile Regression und Selbstüberschätzung
Doch wie kommt es dazu, dass so viele Menschen vom iPad fasziniert sind? Wie kann diese immense Euphorie und Medienhysterie um ein einzelnes Produkt entstehen? Zum Teil aufgrund von übertriebener Panikmache, zum Teil aufgrund von infantiler Regression, zum Teil aber auch schlicht aufgrund von Selbstüberschätzung.
Denn wer sich so sehr auf ein Thema fixiert und richtig tief in der – zugegebenermaßen nicht uninteressanten – Materie drin ist, verliert oftmals den Blick fürs Wesentliche. Er sieht quasi den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Daher können ein paar Tage Ruhe oftmals sehr gut tun, um nicht in die gleiche Falle wie einst bei dem Hype um Google Wave zu fallen, stets den Blick nach außen zu wahren und das Ganze zu sehen.
[1]http://kress.de/mail/tagesdienst/detail/beitrag/104288-auch-michael-ringier-haelt-den-ball-flach-das-ipad-ist-bislang-nur-eine-spielerei.html
[2]https://www.youtube.com/watch?v=NNymzQoj_34
[3]
[4]http://www.basicthinking.de/blog/2010/02/05/was-die-verleger-und-verlage-erwartet-wenn-sie-steve-jobs-blind-vertrauen/
[5]
SERIE: Wieso das iPad den Journalismus nicht rettet – aber trotzdem weiterhilft.
- Teil 1: Google Trends, Apples drittes Geschäftsquartal, Selbstkreierte Medieneuphorie
- Teil 2: Flipboard und RSS-Reader: Paid Content ade? iPad nicht für Lokaljournalismus
- Teil 3: Wozu iPad?, Kritik an Steve Jobs, Dritte Welt Länder und greifbare Printprodukte
JUICEDaniel meint
Passend dazu:
ebook leser meint
Ganz egal was andere Leute davon halten oder nicht. Gestern waren wir im Media Markt und ich habe das erste Mal so ein iPad in der Hand gehabt. Das war einfach super. So leicht, einfach toll. Ich hoffe doch sehr, dass ich das von meinen Eltern zu Weihnachten bekomme. Das wäre super.