Oder: Wieso Lügen scheinbar nicht (mehr) böse ist.
Schon seit Wochen wollte ich darüber bloggen, hatte es aber mangels Google-Motivation (Google, Google, Google – das kann einem manchmal ganz schön zum Hals raushängen) bisher aufgeschoben. Doch Aufgeschoben ist nicht aufgehoben: War das Widerspruchsrecht gegen Google Street View nicht schon Grund genug, kommt jetzt noch ein weiterer hinzu.
Google lügt – schon wieder
Unter der Überschrift „Interne Panne” bei WLAN-Scans von Google schreibt Telemedicus im Newsletter vom 16. Mai 2010 (Hervorhebungen von mir, Anm.):
Entgegen früherer Angaben hat Google bei seinen WLAN-Scans im Rahmen von Google Street View doch Nutzerdaten erhoben. (…) Ende April hatten Datenschützer Google vorgeworfen, durch das Scannen von WLAN-Netzen gegen das Datenschutzrecht zu verstoßen. Damals wurden sie dafür zum Teil noch kritisiert (…). Wie sich nun herausstellt, wurden bei Googles WLAN-Scans jedoch nicht nur unkritische technische Daten erhoben, sondern in einigen Fällen auch Nutzerdaten.
Dass Google lügt, ist nichts Neues. Leider kann man viele andere Vermutungen gegen Google nicht nachweisen. So müssen wir davon ausgehen, dass Google noch viele weitere krumme Dinger dreht, von denen wir gar nichts wissen oder nur mutmaßen können. Denn wer einmal lügt…
Bedenklich finde ich diesen Fall insbesondere im Zusammenhang mit Googles beliebtem Firmenmotto „don’t be evil“. Ist Lügen demnach nicht (mehr) böse? Und was sollen wir von folgender Aussage Google zum WLAN-Scan halten?
So sollen nach Aussage von Google bei offenen Netzwerken „versehentlich” einzelne Datenfragmente gespeichert worden sein. Google beteuert jedoch, diese Daten in keiner Weise genutzt zu haben und die Informationen so bald wie möglich zu löschen. Als Konsequenz will Google außerdem auf das Scannen von WLAN-Netzen künftig ganz verzichten.
Versehentlich? Telemedicus hat dieses Wort zu Recht in Anführungszeichen gesetzt. Natürlich drängt sich auch die Frage auf: Wieso sammeln sie überhaupt Daten von uns? Um sie – nach eigener Aussage – nicht zu nutzen? Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Und wird Google nun tatsächlich auf das Scannen von WLAN-Netzen verzichten? Wer garantiert uns das, wie können wir das wirklich wissen? Weitere lesenswerte Informationen zum WLAN-GAU auf telemedicus.info.
Was tun gegen Google Street View?
Wer nun auch misstrauisch gegenüber Google geworden ist, aufgepasst: Derzeit fahren zahlreiche Google-Autos mit speziellen Kameras durch ganz Deutschland, um alle Straßen zu fotografieren und anschließend im Internet zu veröffentlichen. Und zwar in beeindruckend guter Qualität, überzeugt euch selbst anhand dieses Beispiels in Nantes, Frankreich. Wie bei den meisten Erfindungen und Entwicklungen versucht man am Anfang stets, das Positive hervorzuheben. Ideal für Touristen, ideal für Freunde – leider aber auch ideal für Fremde (die perfekte Vorlage für The Italian Job 2). Alles hat Vor- und Nachteile im Leben und so muss jeder selbst entscheiden, was für ihn persönlich überwiegt.
Wer sich gegen sein Haus in Google Street View entscheidet, hat seit April 2010 eine tolle Möglichkeit, dagegen vorzugehen. Per Musterwiderspruch kann man Google verbieten, dass sein Haus in Street View gezeigt wird:
Heute (30. April 2010, Anm.) traf sich Ilse Aigner mit Vertretern der Suchriesen in Berlin und ließ sich versichern, dass der Dienst hierzulande erst startet, wenn die von den deutschen Bürgerinnen und Bürgern vorgebrachten Widersprüche (PDF) vollständig umgesetzt sind. Das bedeutet unter anderem, dass von dem Dienst erfasste Wohnungen, Häuser und Gärten vollständig anonymisiert werden müssen. Zudem müssen auch die Rohdaten der beanstandeten Aufnahmen unkenntlich gemacht werden.
Seitdem sei bereits eine fünfstellige Zahl von Bürger-Widersprüchen gegen Street View bei Google eingegangen, sagte Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner den Zeitungen der „WAZ“-Gruppe. So werde sich der Street View-Dienst aufgrund der Masse an Anfragen bis 2011 verzögern, schrieb die österreichische Tageszeitung Der Standard auf ihrer Webseite.
Im Klartext: Wenn auch du dein Haus nicht der ganzen Welt zeigen möchtest und Privates weiterhin Privat bleiben soll, dann lade dir den Musterwiderspruch herunter und schicke ihn an Google (auch diesen Brief muss Google anschließend wieder vernichten). Der Musterwiderspruch stammt von der Webseite des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, ist daher vertrauenswürdig und empfehlenswert. Dort findet ihr den Musterwiderspruch auch in weiteren Formaten wie Word, RTF und ODT.
Zu guter Letzt noch ein Hinweis an all diejenigen, die schon 2008 ein Google Street View-Auto auf der Straße gesehen haben: „In Deutschland werden bereits seit 2008 für Street View Foto-Aufnahmen gemacht, so dass Fahrzeuge schon in allen Landkreisen und kreisfreien Städten unterwegs waren. Grundsätzlich ist es unser Ziel, von allen öffentlichen Straßen Aufnahmen zur Verfügung zu stellen. 2010 werden im Wesentlichen nur noch Lücken gefüllt und Fahrten dort wiederholt, wo es technische Probleme mit dem Bildmaterial gab“, schreibt Google auf seiner Webseite. Dort könnt ihr auch sehen, wo in Deutschland die Autos in den kommenden zwei Monaten unterwegs sein werden. Interessanterweise hat Google diese Tabelle mit dem Vermerk Derzeit sind die Fahrten bis auf Weiteres unterbrochen kommentiert.
Natürlich haben die Google Street View-Autos beim Fotografieren auch peinliche, kuriose(!) und dubiose Szenen eingefangen und trotzdem online gestellt. Was ist eure Meinung zu der Google Street View-Debatte?
[Update @ 16:11 Uhr]
„Drei Jahre lang hat Google aus Versehen über 600 Gigabyte private Daten von Internetnutzern aus über 30 Ländern ausgelesen und gespeichert“, schreibt das Medien-Portal meedia. Diese Zahlen machen die Ausmaße des GAUs sehr deutlich. Meedia weiter:
Die Software des Kartendienstes Google Street View sammelte nach eigenen Angaben „ungewollt“ die Daten-Fragmente von ungesicherten W-Lan-Netzen auf der ganzen Welt, darunter Teile von URLs und Emails. (…) Es ist sicher nicht die Intention gewesen, dass diese Funktion bei Google Street View zum Einsatz kommt, dennoch stellt sich doch die Frage, warum wird eine solche Software entwickelt, wenn Google gar nicht beabsichtigt, diese Funktion zu nutzen?
Berechtigte Frage, deren Antwort wir von Google vermutlich nie erfahren werden. Zumindest nicht die wahre Antwort. Aufgrund dieser „Fehl“-Funktion sind die Fahrten der Street View-Autos „Google zu Folge vorerst eingestellt worden bis der Fehler behoben ist“, so meedia. Zwei Tage später berichtet das Medien-Portal über rechtliche Schritte gegen diese Datenpanne Googles:
Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat ein Ermittlungsverfahren gegen das US-Unternehmen Google eingeleitet. (…) Es werde geprüft, ob Google gegen § 202b des Strafgesetzbuches verstoßen hat. Google wollte sich zunächst nicht äußern. Zuvor war die Anzeige eines Anwalts eingegangen. (…) Das Unternehmen erklärte, es wolle die Daten löschen, ist bisher aber nicht bereit, Datenschutzbehörden Einblick in die gespeicherten Daten zu geben.
Erst einmal finde ich es mutig, Google zu verklagen. Immerhin sind sie wie Apple auch dafür bekannt, die besten Anwälte der Welt zu haben und die meisten Fälle vor Gericht zu gewinnen. Man überlegt es sich normalerweise also sehr gut, bevor man Google anklagt. Dann finde ich es typisch Google, dass sich der Medienkonzern diesbezüglich noch nicht geäußert hat und den Datenschutzbehörden verweigert, Einblick in die gespeicherten Daten zu geben. Niemand weiß, was Google wirklich weiß, niemand darf es sehen, erfahren, verraten. Das ist bei allem Bemühen wie einem (Pseudo-)Dashboard alles andere als transparent. Auch Rechtsanwalt und Programmierer Jens Ferner hat von den Extrawürsten Googles anscheinend die Nase voll:
Der Anwalt vertritt Mandanten, die ungeschützte W-Lan-Netzwerke zum Surfen genutzt haben und dafür verurteilt wurden. „Wieso sollten für Google andere Regeln gelten“, fragt Ferner, „als für einfache Nutzer, die im Café sitzen und über ungeschützte Netze im Internet surfen?
Medienkanzler meint
Zum Thema don’t be evil soll Google-CEO Eric Schmidt mal gesagt haben: „Evil is what Sergej thinks is evil“ – so in der Art. Sergej Brin ist einer der Google-Gruender.
Das sagt doch alles, oder? So richtig ernst nimmt das da keiner mehr, aber es macht sich waahnsinnig gut. Google ist die wertvollste Marke der Welt. Das hat viel damit zu tun, dass die Menschen Google vertrauen. Und das hat wieder viel mit dem don’t be evil-Image zu tun…
JUICEDaniel meint
Ja, das mit dem Zitat stimmt tatsächlich (zumindest inhaltlich ist es richtig, steht auch in Gerald Reischls Buch „Die Google Falle“).
Zur Zukunft Googles hat netzwertig mal einen interessanten Blogeintrag geschrieben: Sind die guten Zeiten bald vorbei? (http://netzwertig.com/2010/04/25/google-sind-die-guten-zeiten-bald-vorbei/)
Medienkanzler meint
Sind die guten Zeiten vorbei? Oder hat die Falle laengst zugeschnappt?
JUICEDaniel meint
Dazu empfehle ich auch meine Serie „Der Kampf der Suchmaschinen: Google hat schon längst gewonnen.“ mit ausführlichen Gedanken zu dieser Frage. https://juiced.de/der-kampf-der-suchmaschinen-google-hat-schon-laengst-gewonnen-teil-1/3854/
Nico meint
@Medienkanzler: Ich würde sagen das die Falle schon längst zugeschnapt hat, aber die guten zeiten kommen immer wieder zurück(:
JUICEDaniel meint
So schnell kann’s gehen: „Pause für die Kamera-Autos: Google setzt Streetview weltweit aus“ Edit: Mehr Infos dazu auch bei meedia.
noch ein Markus meint
ich finde das Vorgehen prinzipiell falsch herum, also das man Widerspruch einlegen muss das Bilder vom eigenen Haus/ Grundstück/ Wohnung nicht gezeigt werden.
meinem Verständnis nach möchte ich zuerst gefragt werden, bevor Fotos gemacht werden, und nicht hinterherrennen das diese gelöscht werden. was wahrscheinlich eh nicht passiert.
zu den offenen WLan Netzen: „versehentlich“ 600 GB private Daten gesammelt…
HAHAHA!
Mathias meint
ich finde es auch nicht oke das Bilder von meinem eigenem Haus einfach so, ohne zufragen, gemacht werden, andererseits ist es mir auch irgendwie egal ich habe ja keine „Leichen“ im Keller:)
JUICEDaniel meint
@ noch ein Markus: Ich gebe dir recht – auch ich finde es ein Unding, immer hinterher dafür kämpfen zu müssen, dass meine Privatsphäre nicht dort landet, wo ich sie einfach nicht haben/sehen will. Leider passiert das, wenn man nicht gleich von Anfang an sich dagegen wehrt. Bei Facebook ist es mit den Datenschutzbestimmungen ja genau das gleiche Problem, bei Apple fragt schon gar niemand mehr nach.
Meiner meint
Meiner Meinung nach wurden die Fahrten von google garnicht wegen den Verstößen gegen Datenschutzgesetze eingestellt (wer glaubt denn an sowas?), sondern alleine wegen dem Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung, da die Autos von google garnicht bis zu einer Höhe von 2,50 Metern hätten beladen werden dürfen. Wenn google seine Geräte in andere Autos eingebaut hat, geht’s weiter..
Welcome meint
Widerspruch einlegen dürfen klingt zunächst großzügig. Vernebelt aber, dass ein nachträglicher Widerspruch nicht möglich ist. Was ist, wenn ich in drei Monaten umziehe und die neue Bleibe ist schon eingegoogelt? Was ist, wenn ich eine Firma gründen will… kaufe mir ein Grundstück mit Bruchbude, baue dort. Mein Konkurrent aber schickt meinen Kunden den Link auf die alte Bruchbude …
Aber alles Heulen wird vergeblich sein. Der Mehrheit ist es Wurscht, was mit ihren Daten geschieht. Sind stolz wenn ihr neues Häuschen in GSW zu begucken ist. Und finden es toll, selber gucken zu könnnen wo der neue Kollege herkommt, na du weißt schon, dieser unsympathische ….
JUICEDaniel meint
Zwar ist kein Widerspruch möglich, aber so etwas ähnliches. Seit heute gibt es neue Informationen diesbezüglich:
Quelle kress.de
Carla Wolf meint
Die Empörung um Google Street View war in Deutschland am größten. Datenschützer und Wichtigtuer waren aufgebracht. Und jetzt? Kein Mensch regt sich auf, Street View wird von Vielen genutzt, auch auf vielen Webseiten. Und die, die ihr Haus unkenntlich machen ließen, haben sich eher lächerlich gemacht. Man könnte auch sagen, dass das erst die Neugierde weckt.
Medienkanzler meint
@Carla Wolf: Recht haste. Man gewöhnt sich leider an alles….