Facebook, Twitter und StudiVZ – Soziale Netzwerke sind derzeit voll im Trend. Auch Politiker haben spätestens seit Obama 2.0 den Wert der digitalen Plattformen erkannt und twittern um die Wette, peinliche Schlammschlachten wie nach der Bundespräsidentenwahl inklusive.
Kinder brauchen mehr Medienkompetenz, schreien Politiker lauthals – und übersehen dabei ihre eigenen Defizite in den Weiten des Internets, Zensursula lässt grüßen.
Auch einige Medienschaffende stimmen zunehmend in den Chor der Datenschützer mit ein und machen mit ihren Fingern an der Tastatur munter auf die Gefahren sozialer Netzwerke aufmerksam. „Bashen“ oder „flamen“ würden webaffine Nutzer die meist von wenig Ahnung und Erfahrung gekennzeichneten Artikel über Datenpannen á la SchülerVZ nennen – und mit einem belustigten oder wütenden „WTF“ kommentieren.
Dabei ignorieren insbesondere Politiker aufgrund ihrer Unkenntnis die wahren Gefahren des web 2.0. Nicht die hilflos ausgelieferten und ahnungslos ausgespähten Kinder, die um ihre berufliche Zukunft bangen müssen, sind in Gefahr. In Wirklichkeit sind viel tiefgreifendere Systeme, Strukturen und Mechanismen in Gefahr, die all diejenigen Menschen betreffen, die Teil der globalisierten – sprich vernetzten – Welt sind.
Die Glaubwürdigkeit unserer Gesellschaft ist in Gefahr. Vor allem unsere Politiker haben derzeit ein allgemeines Glaubwürdigkeitsproblem, nicht zuletzt aufgrund zahlreicher nicht eingelöster Wahlversprechen im Vier-Jahres-Takt. Was zurückbleibt sind Frustration, Enttäuschung, Hoffnungslosigkeit. Oder im schlimmsten Fall gar Gleichgültigkeit.
Selbst ein Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD), der als Hoffnungsträger der Internetkompetenz gehandelt wird, kann dieses Glaubwürdigkeitsproblem nicht aus der Welt schaffen. Und, oh Wunder, auch US-Präsident Barack Obamas Popularität sinkt trotz web 2.0-Erfolgs kontinuierlich, die große Welle der Euphorie ebbt langsam aber sicher ab.
Der Zwang des Dazugehörens und die damit verbundenen Konsequenzen bergen eine Gefahr. Jemand, der bei Google nicht gefunden wird, existiert gar nicht, behaupten immer mehr Menschen – und zwingen andere somit, Teil der weltweiten Vernetzung zu werden. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis jemand, der nicht bei Facebook angemeldet ist, als nicht-existent angesehen wird.
Mitglieder stört das sehr wenig. Und so zeigen sie ein großes Unverständnis gegenüber Kritikern. Nur Angsthasen, Pseudo-Intellektuelle oder Verschwörungstheoretiker meiden Soziale Netzwerke, so der Tenor. Oder hast du etwas zu verbergen – das Totschlagargument schlechthin.
Und so befinden sich besonders Politiker derzeit in einer Zwickmühle. Sie können sich den digitalen Netzwerken nicht entziehen, brauchen jede Wählerstimme. Sie wollen modern sein und zeigen, dass sie sich anpassen können und nahbare Politiker sind. Sie wollen Politik personalisieren, den Obama-Faktor mit ins Spiel bringen.
Doch die Internetgemeinschaft erkennt den Unterschied zwischen persönlicher und leidenschaftlicher Teilnahme am web 2.0-Geschehen und aufgesetzter und fremdgesteuerter PR. Sie erkennt den Unterschied zwischen begeisterten Social Media-Fans und künstlich inszenierter Werbung.
Die Lösung für das Problem heißt schlicht und einfach Authentizität. Schaffen es die deutschen Politiker, genauso authentisch wie einst Barack Obama das Social Web zu benutzen, werden ihnen die Menschen begeistert glauben und vertrauen. Und somit den Grundstock für persönlich planvolle Politiker legen.
Kelaja meint
Ach ja… Wie oft durfte ich das jetzt auch schon hören, wenn ich sage, dass ich nicht googel… Es ist immer das Gleiche: „Du und dein Google… so schlimm ist das nicht, ist doch egal, wenn sie das speichern, ich hab nichts zu verbergen…“
Hans Kolpak meint
Als ich im April 1999 begann, ohne Pseudonym im Internet zu schreiben – es war ein öffentliches Forum – da war mir noch nicht bewußt, daß wir die Machtstrukturen unserer Gesellschaft ankratzen. Heute reagieren die Träger von Macht, denn in puncto „Öffentlichkeit“ ist etwas Neues entstanden, das sich weltweit der kompletten Kontrolle entzieht. Und das macht sogar den Mächtigen Angst, nicht nur in Deutschland.
JUICEDaniel meint
Gutes Stichwort für vieles, was derzeit so im Web passiert. Auch die Entwicklung Google (dürften sich viele nicht bewusst sein bzw. deren Konsequenzen)… aber das ist ein anderes Thema ;)
Andreas meint
Nicht zu vergessen: Das politische Internet überschätzt das Internet… Und zwar gewaltig. Bestes Beispiel: Im eigenen Dunstkreis gefangene Piraten, die von 5% träumten, aber grade einmal 1,9% bekamen, obwohl ihnen das Netz gehörte, jeder Pool, ich meien Vote und überhaupt die ganze Szene…
Aber zur Medienkompetenz passt es ja ganz gut, dass die werte Dame, die das BuPräs-Ergebnis vorab twitterte nun Ministerpräsidentschaftskandidatin (hammer wort gel) in RLP sein wird.
JUICEDaniel meint
Korrekt. Aber wohl nur deshalb, weil sie falsch damit umgehen. Weil sie das POLITISCHE Inet sind, wie du so schön schreibst, und nicht das Inet. Sie sind Teil von einem Inet, aber ein abgegrenzter Teil. Oder besser gesagt ein sich selbst abgrenzender Teil.
Und wäre das nicht so – würden sie es wie Obama im Wahlkampf nutzen, ist meine Behauptung, sähe das mit der Relevanz im Web plötzlich alles ganz anders aus. Mal sehen, wann es der erste deutsche Politiker wirklich begreift und das Inet wirklich benutzt (sprich: Aus Leidenschaft und Überzeugung selbst benutzt). Vermutlich dauert das noch 20 Jahre und dann kommen die digital natives ;) (Es wird sicher nicht so lange dauern – das wäre ja furchtbar!)