Brisanter kann eine Nachricht kaum sein: Nordkoreas Machthaber Kim Jong Il ist tot. Der Diktator verstarb bereits am vergangenen Samstagmorgen an einem Herzinfarkt, meldete die staatliche Nachrichtenagentur KCNA.
Kurz die Fakten: Um 12 Uhr mittags Ortszeit meldete das nordkoreanische Staatsfernsehen den Tod des „geliebten Führers“ Kim Jong Il. Bereits zwei Tage zuvor sei der Diktator um 08.30 Uhr Ortszeit während einer Zugfahrt an Herzversagen gestorben. Sein Nachfolger wird der 1982, 1983 oder 1984 geborene Sohn Kim Jong Un werden. Genauso unklar wie sein wahres Alter ist auch die Zukunft Nordkoreas. Kim Jong Un gilt als ebenso skrupellos wie sein verstorbener Vater.
Das Hilfswerk für verfolgte Christen Open Doors vermutet vorerst keine Besserung der katastrophalen Zustände verfolgter Minderheiten: Es sei unwahrscheinlich, dass sich unter der jetzigen Führungsriege für die Menschen in dem abgeschotteten Land schnell etwas verändere, meldete das Hilfswerk. Kim Jong Un soll Berichten nordkoreanischer Christen zufolge „schon zu Lebzeiten seines Vaters Anstrengungen unternommen haben, verbotene religiöse Aktivitäten im Untergrund aufzudecken. Es sei zu verstärkten Hausdurchsuchungen gekommen; Spione seien gezielt dazu ausgebildet worden, religiöse Netzwerke zu unterwandern“.
Interessant sind die Reaktionen im Netz: Da wäre zunächst einmal das hysterische Trauervideo der nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA, das es dem Zuschauer beim Betrachten eiskalt den Rücken herunterlaufen lässt. Dann wäre da das englischsprachige Vice Magazine, das Teil 6 der Videoreihe „Nordkoreanische Arbeitslager“ veröffentlicht und dazu tweetet: „Kim Jong-il ist von uns gegangen. Was passiert mit seinen Sklaven in Sibirien?“
Journalismus-Professor Lorenz Lorenz-Meyer empfiehlt, The Relevant Organs auf Twitter zu folgen. Die wiederum vergleichen in einem Blogeintrag das hysterische Trauervideo mit der Trauer über den Tod Kim Il Sungs 1994. Journalist Thomas Knüwer retweetet eine Linkempfehlung mit Fotos von Kim Jong Un.
Und während die großen Nachrichtenwebseiten die Bedeutung des Todes von Diktator Kim Jong Il bereits erkannt haben, twittern die meisten Nutzer munter über andere Dinge. In meiner Timeline jedenfalls sind nur die wenigsten Tweets über Kim Jong Il oder Nordkorea. Traurig, aber wer kann es ihnen verübeln? Schließlich wissen nach wie vor die wenigsten Menschen Bescheid über die verheerenden Zustände in dem verschlossenen Land. Aus diesem Grund zitiere ich noch einmal Journalist Richard Herzinger:
Und wo sind die empörten Protestaktionen engagierter Menschenrechtler vor der nordkoreanischen Botschaft, die unbehelligt im Herzen von Berlin-Mitte residiert? Das spätkommunistische Regime in Pjöngjang zeigt nicht weniger heftige Zerfallserscheinungen als die einschlägigen Diktaturen im Nahen Osten, doch sein Niedergang ist in keiner Weise “sexy”.
Von den ausgepowerten und entkräfteten Insassen dieser staatlich organisierten Hölle auf Erden sind keine heroischen Aufstände und pittoresken Twitter- und Facebook-Revolten zu erwarten.
Wer gerne mehr über die Zustände in Nordkorea erfahren und einen Blick hinter die Kulissen wagen möchte, sei mein Artikel über Verfolgung in Nordkorea empfohlen. Abschließend zwei Zitate aus dem Artikel Nordkorea, die vergessene Hölle Asiens vom 10. Oktober 2011:
Während Nordkoreas Führer in Saus und Braus lebt, lässt er sein Volk verhungern. Die Welt sieht tatenlos zu. Aufstände im Land sind nicht zu erwarten.
Wenn er sich eines Tages heben wird und den Blick auf das ganze Ausmaß des Entsetzens frei gibt, das sich dahinter verbirgt, wird sich die zivilisierte Welt einmal mehr schamvoll die Augen reiben und mit gespielter Fassungslosigkeit ausrufen: “Wie konnten wir das nur zulassen?”
[Update | 16.59 Uhr] New York Times-Journalist und zweifacher Pulitzer-Preisträger Nicholas Kristof twitterte vor einer halben Stunde treffend:
In all the talk about North Korea, let’s not forget human rights. It is by far the most oppressive nation in the world.
[Update 2 | 17.56 Uhr] Kim Jong Un ist der jüngste Sohn des mit 69 Jahren verstorbenen Diktators Kim Jong Il. Kim Jong Il favorisierte ihn als seinen Nachfolger, weil Kim Jong Un ihm am ähnlichsten sei, untertitelt Newsweek eine Bilderstrecke. Darin sind auch die beiden älteren Söhne Kim Jong Ils zu sehen, die zu verspielt und verweichlicht seien. Demnach ist davon auszugehen, dass Kim Jong Un keine guten Nachrichten für die Zukunft Nordkoreas bedeuten. Amnesty International jedoch titelt: „North Korea: Kim Jong-il’s death could be opportunity for human rights“
“Kim Jong-il, like his father before him, left millions of North Koreans mired in poverty, without access to adequate food and healthcare, and with hundreds of thousands of people detained in brutal prison camps,” said Sam Zarifi, Amnesty International’s Asia-Pacific director.
“With this transition, we hope that the new government will step away from the horrific, failed policies of the past.”
Viel mehr als ein Hoffen ist es dann allerdings auch nicht.
[Update 3 | 18.45 Uhr] Erste Stimmen von nordkoreanischen Flüchtlingen hat die Menschenrechtsorganisation Liberty in North Korea (LiNK) veröffentlicht. Hier einige Beispiele, die vor allem eines bestätigen: Die hysterische Trauer ist nur inszeniert.
“Some North Korean people believe that if Kim Jong-un takes over North Korean politics, he will be even worse than his father.”
“The North Korean people will currently be putting on feigned shows of sadness. This is very different to the death of Kim Il-sung. Kim Il-sung founded the country and the people think that he did a lot for them. Times have been hard during Kim Jong-il’s reign. People have woken up and are much more aware of the reality of the country and the leadership now. People will outwardly be showing sadness but inwardly they will feel very differently. The people fear that anything but the required show of sadness could get them killed… The most likely outcome of the succession is that Kim Jong-un will continue in the same mold as his father.”
– Shin Jong-wook, M, 20.“This is not a happy or a sad event for me. But it is a big moment. This will be a shocking moment for the North Korean people. But there will not be as much grief as when Kim Il-sung died. Of course, people will have to pretend to be sad, and people may get caught up in the atmosphere, but it is not true sadness.”
– Kim Moon-soo, M, 21.“I don’t care that Kim Jong-il is dead. In North Korea now, the norm dictates that everyone has to cry. But people don’t have any positive feelings towards Kim Jong-il. The majority of people will be faking their tears.”
– Nam Gum-sook, F, 19.“If you don’t cry in North Korea after the leader dies, then you could come under suspicion as being against the Government. Then you have to live with that label and suspicion for the rest of your life.”
– Kang Bohee, F, 21.
Weiterführende Links
- Open Doors: Pressemitteilung
- Verfolgung in Nordkorea
- Wikipedia: KCNA
- Wikipedia: Kim Jong Un
- Wikipedia: Kim Jong Il
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