Im Stadion des eigenen Vereins Weltmeister zu werden, das schaffen nicht viele. Thomas Berthold hatte beim Finale der WM 1990 ein Heimspiel: Damals kickte der gebürtige Hanauer für den AS Rom. Dass es am Ende mit dem Titel klappte, überraschte Berthold nicht.
Essen, Feiern, Schlafen, ab nach Frankfurt. Die letzten Stunden in Italien waren für die deutsche Nationalmannschaft streng durchgetaktet. Etwas hektisch ging es 1990 nach dem gewonnenen Finale von einem Programmpunkt zum nächsten. Das festliche Essen im Hotel, Feuerwerk inklusive. Der Empfang am Frankfurter Römer mit tausenden von Fans. Thomas Berthold ging das alles etwas zu schnell.
Der damals 25-Jährige war überwältigt vom Erfolg, dem bislang größten seiner Karriere. Noch nie war er zuvor mit den Profis Meister oder Pokalsieger geworden, geschweige denn Welt- oder Europameister. Auch beim Finale der Weltmeisterschaft 1986 hatte Berthold in der Startformation gestanden, doch es gab eine bittere 3:2-Niederlage gegen Argentinien. 1990 klappte es aber: Deutschland besiegte Argentinien und wurde Weltmeister. „Das war eine schöne Revanche“, sagt Berthold heute.
Der 49-Jährige klingt am Telefon ruhig und besonnen. Er wohnt in Baden-Württemberg, eine Dreiviertelstunde südlich von Frankfurt. Berthold arbeitet als TV-Experte für mehrere Sender und ist in der Immobilienbranche tätig.
Erst mal sacken lassen
Plötzlich Weltmeister – ein Erfolg, den Berthold erst mal sacken lassen musste. „Es dauert seine Zeit, bis du das realisierst“, sagt er. Zur Ruhe kam er nach der WM erst im Urlaub. Wo hin es ging, weiß Berthold gar nicht mehr, aber dort wurde ihm erst klar, dass er nun zu den besten Fußballern der Welt gehörte. Nach zwei, drei Wochen musste der Defensivspezialist schon wieder zurück an den Ort des Erfolgs, denn er spielte damals beim AS Rom. „Im eigenen Stadion Weltmeister zu werden, das kommt nicht oft vor“, freut sich Berthold.
Dabei hatte er keine Sekunde am Erfolg gezweifelt. Der Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft sei sehr groß gewesen, berichtet Berthold. „Das waren einfach große Persönlichkeiten.“ Den Grundstein habe man schon im Trainingslager in der Südtiroler 7.000-Seelen-Gemeinde Kaltern gelegt, verrät Berthold. Kapitän Lothar Matthäus wurde seinerzeit mit den Worten zitiert: „Sie lesen uns jeden Wunsch von den Augen ab.“ 2010 dachten sich Bundestrainer Joachim Löw und Manager Oliver Bierhoff, es könnte ein gutes Omen sein, die Vorbereitung wieder in Südtirol zu bestreiten – es half bekanntlich nichts.
Doch laut Berthold waren es weniger die guten Bedingungen und die Gastfreundschaft, sondern vielmehr der Siegeswille, den Teamchef Franz Beckenbauer seinen Spielern von Beginn an eintrichterte. „Der Titel war die Zielvorgabe“, so Berthold. „Wir haben uns nie mit etwas anderem beschäftigt.“ Diesen mentalen Aspekt dürfe man nicht unterschätzen. „Wenn man Zweifel hat, wird’s schwierig.“
Deutsche Fans strömten ins Stadion
Doch das war nicht der Fall und auch die Fans peitschten ihre Mannschaft voller Überzeugung nach vorne. Vor allem zu den ersten fünf deutschen Spielen, die alle in Mailand stattfanden, strömten die deutschen Fans ins Stadion. „Was da auf der Autobahn los war“, sagt Berthold ungläubig, „sagenhaft.“
Im Finale gesellten sich die italienischen Fans dazu und feuerten auch die Deutschen ebenfalls an. „Sie waren ein bisschen geknickt, weil sie sich das Traumfinale Italien gegen Deutschland gewünscht haben“, erzählt Berthold. Argentinien hatte den italienischen Traum vom Titel jedoch im Halbfinale beendet, weshalb die Einheimischen Deutschland den Sieg gönnten. Die Stimmung im Finale sei aber „fantastisch“ gewesen, schwärmt Berthold, „definitiv ein Vorteil für uns.“ Die deutschen Spieler waren den Italienern eh bekannte Gesichter, spielten mit Matthäus, Brehme, Klinsmann (alle Inter Mailand), Häßler (Juventus Turin), Riedle (Lazio Rom), sowie Völler und Berthold (beide AS Rom) gleich sieben Spieler in der italienischen Liga.
Berthold traf bei der WM viele Bekannte, vor allem in Rom. Er spielte eine starke WM, war eine der Säulen des deutschen Teams. „Ich war schon immer ein Turnierspieler“, erinnert sich Berthold. Unter hohem Druck habe er immer seine besten Leistungen abgerufen. Auf seinem Platz im rechten Mittelfeld bestritt er alle sieben Spiele von Anfang an. Mit insgesamt 18 WM-Spielen gehört er heute noch zu den zehn Spielern mit den meisten Spielen bei Weltmeisterschaften.
Der Ischias zwickte gehörig
Dabei konnte Berthold in der Phase, die 1990 über den Titelgewinn entschied, gar nicht mehr mitwirken. In der 73. Minute humpelte der Mann mit der Nummer 14 beim Stand von 0:0 etwas steif vom Platz. Stefan Reuter, der heutige Manager des FC Augsburg, ersetzte ihn auf der rechten Außenbahn. Der Ischiasnerv habe gehörig gezwickt, erklärt Berthold, und zwar auf beiden Seiten. „Mir war klar, dass ich nicht komplett durchspielen kann.“ Berthold probierte es einfach, so lange er konnte.
Die WM in Brasilien wird Berthold aus nächster Nähe verfolgen. Der Fernsehsender Eurosport sendet den Weltmeister als Experten an die Copacabana. Auf die deutsche Mannschaft setzt er allerdings nicht allzu viel: „Ich traue ihnen zu, dass sie ins Viertelfinale kommen“, sagt Berthold kurz und trocken. „Bei all den Problemen…“ Zum Trainingslager fährt die deutsche Mannschaft übrigens wieder nach Südtirol – wie 1990, im Jahr des großen Sieges. Vielleicht hilft’s ja diesmal.
Leser-Interaktionen