Eigentlich wollte ich einen Artikel über die Medienrevolution schreiben. Wie groß sie ist. Dass wir mittendrin stecken. Wie spannend das alles ist. Dass es auch Schattenseiten gibt. Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr wird mir ein ganz anderer Aspekt wichtig, der kaum Gehör bekommt. Und darum soll es hier gehen.
Ihr fragt euch jetzt sicher, welcher Aspekt das wohl sein mag. Digital Divide? Slow Media? Paywall? Oder vielleicht die ungeheure Macht der Medien (Stichwort „Erste Gewalt“), der langsam einsetzende Medienwandel (Stichwort „Start-ups“) oder der übergreifende Meinungsjournalismus („Meinung statt Meldung“)? Nein, nein, nein. Der Aspekt, der mir zunehmend wichtig geworden ist, sind die Inhalte – und damit einhergehend die Relevanz – der Medien. Welche Themen kommen in den Medien vor, wie werden sie aufbereitet und warum kommen die anderen Themen nicht vor?
Ein Freund erzählte mir neulich von seinem Problem mit den Medien. „Weißt du, Daniel“, sagte er, „wenn ich mich durch die Nachrichtenseiten klicke oder mir die Zeitschriften im Bahnhofskiosk anschaue, stelle ich vor allem eines fest: Die Medien schreiben über lauter Themen, die mit meiner Lebenswelt nichts zu tun haben.“ Da hat es bei mir Klick gemacht. Nicht nur, dass ein Großteil der Inhalte aller Nachrichtenseiten aufgrund von 1:1 übernommenen dpa-Meldungen nahezu identisch sind. Nein, noch viel schlimmer: Die Themen in deutschen Medien haben mit der Lebenswelt der meisten Deutschen wenig bis nichts zu tun. Das ist tatsächlich ein großes Problem.
Wenn ich mir die großen Medienthemen der vergangenen Wochen anschaue, muss ich gestehen: Auch mit meinem Leben haben die meisten davon herzlich wenig zu tun. Sie sind zwar interessant und unterhaltsam – aber wirklich relevant, wie zum Beispiel die Ukraine-Krise, sind aus meiner Sicht zu wenige Themen. Doch selbst wenn ich ein Thema wie die Ukraine-Krise auf meinen Alltag beziehe, gibt es nur geringe Schnittmengen (was sich leider schnell ändern könnte).
Damit ihr mich nicht missversteht: Ich glaube nicht, dass alle Beiträge in den Medien etwas mit unserem Alltag zu tun haben sollten und dann alle Probleme behoben wären. Artikel über Elektroschrott in Ghana oder Reportagen über die Yakuza in Japan sind durchaus wichtig – auch wenn sie auf den ersten Blick nichts mit mir zu tun haben. Bei Beiträgen dieser Art wäre es aber wichtig, dass sie hintergründiger werden und Zusammenhänge erklären – wodurch meist schon wieder ein Bezug zu mir oder zumindest zu meinem Land klar wird.
Kurzum: Ich will damit nicht sagen, dass Krisen, Kriege und Korruption nicht wichtig sind. Aber vielleicht sollten wir uns einmal folgende Frage stellen: Wann haben wir das letzte Mal etwas in den Medien gelesen und daraufhin unseren Tagesablauf geändert?
Wenn diese Frage ein Relevanzmesser wäre, würden die meisten großen Medien fast komplett durchfallen. Sicher, für eine funktionierende Demokratie sind Medien unerlässlich. „Journalismus ist Meinungsaustausch und Informationsquelle, unverzichtbarer Wächter in einer Demokratie und gerne auch pure Unterhaltung“, sagte unser Redakteur Josch etwa vor einigen Jahren. Doch selbst wenn ich meinen Blick weg von den traditionellen, etablierten Mediendinos hin zu den neuen, aufstrebenden Start-ups wie BuzzFeed oder Vice wende, muss ich mich unweigerlich fragen: Was haben all diese Inhalte eigentlich mit meinem Leben zu tun? Es kommt mir vor, als ob „pure Unterhaltung“ die Oberhand gewonnen hat. (Was mich daran erinnert, endlich mal Neil Postmans „Wir amüsieren uns zu Tode“ zu lesen.)
Selbst bei ernsten Themen muss ich doch oft angeekelt feststellen, wie sehr die Medien Unglücke, Krisen und Naturkatastrophen ausschlachten. Eilmeldungen, Brennpunkte und Liveticker sind mittlerweile fester Bestandteil einer jeden Redaktion und werden so inflationär eingesetzt, dass die Relevanz der Inhalte oder die Brisanz des Themas kaum noch erkennbar ist. Es geht meist nur noch um Schnelligkeit, was wir Nerds früher selbstironisch „Erst0r“ genannt haben. Kindergarten.
Was wir also dringend bräuchten, wäre keine technologische Medienrevolution, sondern eine inhaltliche Medienrevolution. Damit das passieren kann, wäre eine Renaissance der Ethik und Moral notwendig. Ich meine damit nicht ein Rückfall in die Steinzeit – sondern eine Rückbesinnung auf das Wesentliche. Mehr dazu habe ich bereits in Oktober vergangenen Jahres im Artikel Zeitungskrise? Wertekrise im Journalismus! geschrieben, ergänzend empfehle ich auch den Artikel Qualität? Führen wir leider nicht mehr. von JUICED-Redakteurin Debora und mir.
Ich bin davon überzeugt: Wenn wir eine Medieninhalterevolution anzetteln würden, erübrigten sich viele Probleme von allein. Zum Beispiel die Finanzierungskrise der Medien. Für wertvolle Inhalte, die tatsächlich etwas mit der Lebenswelt der Menschen zu tun haben, werden diese auch bereit sein zu zahlen. Aber für sinnfreie Unterhaltung oder irrelevante und inflationäre Nachrichten will heute nun wirklich keiner mehr Geld zahlen.
„Wie erreichen wir die Leute da draußen?“, fragen sich zahlreiche Verleger verzweifelt. Ihre Auflagen und Quoten sinken und die Anzeigenkunden laufen immer mehr davon. Würden Werbeanzeigen in gedruckter Form nicht so gut funktionieren, wären mittlerweile alle schon längst ins Internet abgewandert. Aber auf Dauer können sich die großen Verlage auch darauf nicht ausruhen.
Ein Grundproblem ist die Orientierung am Anzeigenmarkt – statt am Leser. Ich will jetzt nicht anfangen, hier über wirtschaftliche Probleme zu reden. Sondern lediglich die idealistische These in den Raum stellen, dass ein echtes, ehrliches und authentisches Interesse am Leser tatsächlich der erste wichtige Schritt sein könnte. „Aber das ist so unrealistisch“, mögen manche Verleger und Journalisten genervt entgegnen. Das Problem ist nur, dass
- aus realistischen Sichtweisen lediglich Altes bewahrt wird und nur wenig Neues entsteht und
- die Realität so aussieht, dass es eine immer größer werdende Finanzierungskrise im traditionellen Journalismus gibt.
Realismus bewahrt aus meiner Sicht hauptsächlich den Ist-Zustand, während Idealismus für notwendige Veränderung sorgt. Nicht alle Ideale sind gut, nicht alle Ideale sind auch tatsächlich finanzier- und umsetzbar. Aber wir brauchen Ideale, um voranzukommen und uns weiterzuentwickeln. Was uns heute mehr denn je fehlt, sind Menschen mit Visionen. Menschen, die wissen, warum sie etwas tun – und nicht nur, was sie tun. In meinem Artikel Überwachungsstaat und Führungspersönlichkeiten hatte ich in Bezug auf Politiker bereits darüber geschrieben.
Wir brauchen aber auch Realismus, keine Frage. Gesunden Realismus mit Blick für die Wirklichkeit. Dann können wir Journalisten auch über Themen schreiben, die unsere Leser tatsächlich im Alltag beschäftigen und weiterbringen. Über Themen schreiben, die unseren Lesern helfen und ihnen Mut machen. Über Themen schreiben, die unsere Leser aufklären und in einem gesunden Maß herausfordern. Und über Themen schreiben, die begeistern, inspirieren und motivieren. Mehr Gutes tun, mehr über Gutes berichten – das wäre schon mal ein Anfang. Ein gut gemeinter, aber unrealistischer Anfang? Ihr wisst, was ich darauf antworten würde.
Journalismus muss nicht zwingend positiver werden. Es gibt nun mal viel Elend in der Welt. Es zu verschweigen und die Augen davor zu verschließen, macht die Welt auch nicht besser und löst die Probleme ganz sicher nicht. Journalismus muss auch nicht zwingend idealistischer werden. Wir wollen nicht in einer Traumwelt leben, uns die Dinge schön reden oder völlig verzerrt darstellen und wahrnehmen. Aber Journalismus muss echter, ehrlicher und authentischer werden. Mehr aus dem Leben kommen und über das Leben berichten. Über normale Menschen und ihre alltäglichen Probleme berichten, statt über Promis und ihre extravaganten Probleme zu tratschen. Dass das funktionieren kann, wollen wir mit JUICED – und unserem Printmagazin SHIFT – in den kommenden Jahren mehr und mehr zeigen. Ob uns das gelingen wird? Wer weiß das schon. Aber was ich weiß: Wer nicht kämpft, hat schon verloren.
David meint
Inhalte werden nicht nur von den Veröffentlichenden geschaffen. Das Volk bekommt auch, was das Volk fordert und es will mehr – mehr Unterhaltung, mehr haben. Ob am Anzeigenmarkt oder am Leser orientiert, würde das etwas am Inhalt ändern? Das mag zynisch klingen. Doch vielleicht haben die vorherrschenden Wert- und Moralvorstellungen hier und jetzt diesen Spott verdient.
Es gibt sie dennoch, die guten Inhalte, die zum Nachdenken bringen und es gibt sie auch, die Menschen, die, ihren Gedanken folgend, auch ihre Handlungen im Alltag anpassen.
Ich würde also hinzufügen: Mehr „Journalismus muss echter, ehrlicher und authentischer werden.“
Danke für diesen Artikel!
JUICEDaniel meint
Vielen Dank für deinen Kommentar, David. So gesehen könnte man tatsächlich daran zweifeln, ob die Orientierung am Leser wirklich besser als die am Anzeigenmarkt wäre. Dennoch: Die Orientierung am Anzeigenmarkt ist ganz bestimmt nicht besser.
Das Grundproblem, das ich und viele andere derzeit mit dem gegenwärtigen Journalismus haben, wird an dieser Frage – die Kernfrage meines Artikels – deutlich: „Wann haben wir das letzte Mal etwas in den Medien gelesen und daraufhin unseren Tagesablauf geändert?“
Du hast aber Recht: Wenn wir den Lesern ausschließlich das geben, was sie wollen, dürften Boulevard und Unterhaltung ebenso beliebt sein, wie sie es heute schon sind. Focus, Stern und Co. wissen, warum sie so viele leicht bekleidete (wenn überhaupt) Damen auf ihren Nachrichten(!)seiten publizieren. Sex sells. Auch die Bildzeitung zeigt täglich, dass die große Masse ein größeres Interesse an Tratsch und Klatsch als an der SZ und der FAZ zusammen hat.
Daher mag ich den Auftrag der Öffentlich-rechtlichen so sehr: Information, Bildung und Unterhaltung – eine kluge, wichtige und praxistaugliche Mischung. Vielleicht auch eine gelungene Mischung aus Idealismus (Anspruch) und Realismus (Wirklichkeit)?
Zurück zu deinem Kommentar: Was ich mit meiner Aussage „Ein Grundproblem ist die Orientierung am Anzeigenmarkt – statt am Leser“ meine: Die meisten Zeitungen und Zeitschriften wurden früher (und werden zum Teil immer noch) zu zwei Dritteln aus Anzeigen finanziert. Und um mehr Anzeigenplätze zu schaffen, hat man früher auch deutlich umfangreichere Zeitungen und Zeitschriften verkauft. Das ist eine klare Orientierung am Anzeigenmarkt – statt am Leser. Kurz- und Mittelfristig verdient man somit mehr Geld. Es bedeutet aber auch, mehr Artikel abzudrucken, die die Leser vielleicht gar nicht interessieren. „Na und? So lange wir Anzeigen verkaufen, kann uns das doch egal sein„, mögen sich da manche Verleger gedacht haben. Verleger sind nun mal keine Journalisten, sondern Unternehmer. Wer mag es ihnen da verübeln? Aus meiner Sicht ist eine solche Strategie aber nicht nachhaltig und rächt sich daher. Und genau in dieser Phase stecken wir jetzt, denke ich. Aus diesem Gedanken ist mein vielleicht utopischer Wunsch entstanden: Es wäre schön, wenn wir uns wieder mehr am Kunden Leser statt am Kunden Werbung orientieren würden – und somit mehr Themen behandeln, die vielleicht nicht immer ein perfektes Anzeigenumfeld bieten, aber interessant und relevant für die Leser sind – und sie nachhaltig verändern.
JUICEDaniel meint
Hier übrigens noch ein sehr passender Artikel von Alexander Kissler dazu: Hochmut nach dem Fall