Lange Zeit habe ich viele Artikel zur „Monetarisierung“ (welch grausames Wort!) von Nachrichtenseiten gelesen, kurze Zeit später fingen dann die Blogger damit an, das gleiche Thema runterzubeten. Beten ist auch ein gutes Stichwort, denn darum ging es beim vermeintlichen Heilsbringer aus der digitalen Medienkrise:
„Jeder Verleger sollte sich einmal am Tag hinsetzen, beten und Steve Jobs dafür danken, dass er mit diesem Gerät die Verlagsindustrie rettet.“
Das sagte Vorstandschef der Axel Springer AG Mathias Döpfner nach der Vorstellung des iPads. Der erhoffte Heilsbringer der Blogger hingegen war, so es denn einen gegeben hat, Flattr.
Endlich können Blogger auch was für ihre meist aus Leidenschaft gestartete Aktivität im Netz bekommen. Endlich gibt es eine Möglichkeit, aus den virtuellen Brotkrümeln am Straßenrand Geld zu machen – die bekannte Long Tail-Theorie.
Auch mir erschien die Möglichkeit verlockend, die Einbußen der Werbeeinnahmen durch ausbleibende Bannerklicks mittels Flattr zu kompensieren. Doch je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr Zweifel kamen mir am Konzept Flattrs.
Den Machern von Flattr selbst ist sicher nichts vorzuwerfen, die Idee ist gut. Das Problem dabei: Sie basiert auf der Annahme, dass wir auch zahlungswillig sind – obwohl wir nicht müssen. Freiwillig Geld ausgeben, was ich auch umsonst lesen kann? Ganz ehrlich? Da muss man doch bescheuert sein, oder? Das ist ja wie wenn ich zum Bäcker gehe, am Eingang eine Nussecke in die Hand gedrückt bekomme und am Ende auf einen Opferbeutel hingewiesen werde, in den ich ein paar Cents reinschmeißen kann. „Mmpf“ murmel ich dann nur und spaziere aus der Bäckerei raus.
Dieses fast schon religiös anmutende Spendenprinzip auf Micropayment-Basis mag in Ländern funktionieren, die jahrelang exzessiv über ihre Verhältnisse gelebt haben und sich durch ihren verschwenderischen Umgang mit Geld auszeichnen (ich nenn‘ jetzt keine Namen) – aber doch nicht in unserem „Geiz ist geil“-geprägten Deutschland.
Und wenn es nicht der Geiz der Deutschen ist, dann ist es eben die Gottlosigkeit der Deutschen. Denn in die Kirchen gehen bekanntlich immer weniger von uns, das Micropayment-Prinzip wird uns daher zusehends fremder.
Das einzige Unternehmen, das mit Micropayment so richtig dick abgesahnt hat, war keine Bloggerinitiative, sondern das (zweit)wertvollste Unternehmen der Welt: Apple. Aber wer sonst hat bis auf iTunes mit dem Long Tail-Konzept die Ökonomie nachhaltig verändert? Die Schlussfolgerung, dass es nun „eben doch geht“, ist schlicht falsch. Für einige wenige mag es funktionieren, aber für alle ist kein Platz.
So erkläre ich mir auch das stetige Gefälle der Flattr-Einnahmen: Anfangs war alles noch neu und aufregend. Die „Explorer“, auch „Geeks“ oder „Nerds“ genannt, machten sich auf, einen neuen Markt zu erkunden. Leider ist der in Deutschland sehr klein, wie die Explorer schnell erkennen mussten.
Die kritische Masse der Explorer war schnell erreicht, doch die dauerhaften Siedler, die Gewohnheitsmenschen, die Traditionellen, die Standhaften blieben aus. Entweder erfuhren sie nichts davon (weil Flattr auf den für sie relevanten Webseiten und Weblogs, so sie denn welche lesen, nicht behandelt wird) oder sie wollten nichts darüber wissen (weil sie eh schon bei genug Onlinediensten angemeldet sind, zig Patenkinder zur Gewissensberuhigung unterstützen oder von A bis Z dem Geiz Spartrieb verfallen sind).
Erklärt einfach mal euren Eltern, was Flattr ist. Bekommt ihr das in einem Satz hin? Denn mehr als einen Satz habt ihr nicht, um deren Interesse zu wecken. Und selbst wenn: Könnte man sich dann auch genauso leicht anmelden, wie ihr es erklären könnt? Und nutzen? Dann die Frage: Ist es überhaupt sinnvoll, einen Dienst nutzen zu wollen, wenn man die entsprechenden Seiten gar nicht liest? Das wäre ja sinnlos. Fragen über Fragen. Aber im Alltag bleiben einem normalen deutschen Durchschnittsbürger gar keine Zeit, sich diese (freiwilligen) Fragen alle zu stellen – und alles wegen ein paar lausiger Cents.
Ich habe eben gerade mit meiner Freundin am Handy telefoniert und sie spontan gefragt, was sie zu Flattr meint (sie ist eine sehr belesene und aufgeschlossene Person). Ihre knappe Antwort:
„Ich weiß zwar nicht besonders viel darüber, aber das, was ich darüber weiß, leitet mich zur Schlussfolgerung, dass das Konzept nicht besonders langlebig ist.“
Nun könnte man sie fragen, wie sie denn zu solch einem Urteil kommt. Das spielt aber keine Rolle mehr. Ihre Antwort ist vielmehr repräsentativ zu betrachten – stellvertretend für die zahlreichen (Vor)Urteile, die sich in den Köpfen der deutschen Internetnutzer befinden. Doch, so ist das nun mal im Leben: Der Ersteindruck zählt. Oft gibt es keine zweite Chance. Und vor allem nicht bei einem freiwillig nutzbaren Micropaymentangebot namens Flattr. Nicht, weil man ein böser Mensch ist (mal abgesehen vom Geiz-Aspekt). Sondern weil es für diese nicht erschlossene Zielgruppe im Leben schlicht wichtigere Dinge gibt, als sich mit so etwas zu befassen.
Und ganz ehrlich? Meine hochsensiblen Kontodaten (da geht’s ums Geld – merkt ihr was?!) noch einer weiteren Plattform anvertrauen, tun wir – klugerweise – äußerst ungern. Reicht ja schon, dass meine intimsten Daten bei Amazon, eBay und vielleicht noch PayPal darauf warten, gehackt, gestohlen und verkauft zu werden. Aber auch noch Flattr damit füttern? Come on! Update: Andreas Grieß wies mich eben freundlicherweise darauf hin, dass man bei Flattr keine Kontodaten hinterlege. Stattdessen laufe das via PayPal oder Moneybrookers ab. Danke!
Der Grund, warum Flattr laut Jürgen Vielmeier drüben auf Basic Thinking für tot erklärt wurde, sind die sinkenden Einnahmen (siehe Artikel bei meinem Kollegen Andreas Grieß). Und die Ursache dafür hat aus meiner Sicht viel mit psychologischen Gründen zu tun. Mit dem typisch deutschen Charakter eben. Volle Kulturkonfrontation. Bäm!
So leid es mir auch tut (und das tut es mir ein Stück weit wirklich!): Alles andere als ein Flop in Deutschland hätte mich bei Flattr doch sehr überrascht. Vielleicht spielt da auch der Name mit rein. Flattr klingt zwar deutlich besser als Kachingle (WTF?), aber als Kreuzung zwischen Flickr und Twitter ist der Name einfach zu nerdybehaftet.
Quo vadis, Flattr?
Mein persönliches Fazit, entnommen von einem Kommentar von mir vor zwei Monaten:
Ich glaube nicht, dass flattr wirklich eine nennens- oder langfristig lohnenswerte Alternative zur „Monetarisierung“ (wie ich dieses Wort hasse) von Weblogs ist. Leider? Weiß ich nicht genau. Aber: Ich glaube, dass der Zug schon abgefahren ist, zu Wenige sind aufgesprungen und das war’s jetzt. Wir Deutschen spenden einfach nicht gerne Geld für Blogs und deren Texte, „Geiz ist geil“ und „Gratis-Mentalität im Web“ aufgrund von Google & Co. haften uns da vermutlich (noch?) zu sehr an.
Flattr selbst hat nicht unbedingt etwas Elementares falsch gemacht. Aber die breite (und damit entscheidende) Masse im Netz hat einfach keine Lust (nenn’ es Trägheit), sich bei noch einem weiteren Dienst anzumelden – schon gar nicht, wenn das Teil Geld kostet und nichts bringt, außer Geld für Inhalte auszugeben, die man auch umsonst haben könnte.
Außerdem wollen die wenigsten einem ihnen unbekannten Anbieter ihre Kontodaten anvertrauen.Ob das gut oder schlecht ist – so schätze ich die Situation jedenfalls ein. Die kritische Masse wurde nicht erreicht. Vielleicht kommt in ein paar Jahren etwas Neues und schafft die Hürde. Z.B. mit Facebook Credits, einer Währung auf einer Plattform, bei der ohnehin schon jeder angemeldet ist und die Einstiegshürde somit deutlich niedriger ist.
Und da es nun wirklich wichtigere Dinge gibt, als sich mit Flattr zu befassen, höre ich jetzt nach immerhin 7.338 Zeichen auf und beende hiermit meinen ersten und letzten Artikel über Flattr. Bühne frei – für kritische und konstruktive Kommentare!
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[…] Weise auf besten Weg in die kommenden Flattr-Charts. Noch einen Schritt weiter geht Daniel Höly auf juiced.de in einer Replik. Er fragt: „Hat Flattr denn jemals gelebt?“ Für ihn ist es vor allem die Mentalität der […]
[…] Debatte, ob Flattr lebt, tot ist oder überhaupt gelebt hat, könnte den Dienst neuen Schwung gegeben haben. Noch mehr dürfte sich aber das in der Diskussion […]