Blinde und sehbehinderte Menschen stehen am Arbeitsplatz vor vielen Herausforderungen. Elli Lind* hat sich in ihrer Doktorarbeit mit Problemen und Perspektiven der beruflichen Integration auseinandergesetzt. Warum die technische Weiterentwicklung sowohl ein Fluch als auch ein Segen darstellt, erklärt sie im Interview mit JUICED.
Du hast eine Doktorarbeit über die berufliche Situation von Blinden und hochgradig sehbehinderten Menschen geschrieben. Welche Probleme haben Blinde am Arbeitsplatz?
Lind: Das größte Problem steckt in den Köpfen der Verantwortlichen. Sie haben immer noch ein völlig falsches Bild von uns. Sie sehen den Behinderten. Den Behinderten jedoch gibt es nicht. Es gibt den Menschen mit seinen unterschiedlichen Stärken und Schwächen und Einsatzmöglichkeiten. Arbeitgeber glauben, wir könnten nicht so viel leisten, wären häufiger krank oder man könnte uns nicht kündigen. Alles stimmt nicht. Daher bekommen wir kaum eine Chance, auch wenn in den Stellenausschreibungen ausdrücklich gesagt wird, dass Behinderte bei gleicher Eignung bevorzugt würden.
Welche Rolle spielt die technische Entwicklung?
Lind: Durch die technischen Hilfsmittel hat sich die berufliche Situation für blinde Menschen geändert. Während ein blinder Mensch in der Vergangenheit nur als Telefonist oder Masseur eingesetzt wurde, hat sich das Spektrum der Einsatzmöglichkeiten erweitert. Heute ist es möglich auch in Bereichen wie Fremdsprachen, Jura, Pädagogik, Informationstechnik, Kommunikationstechnik oder Journalistik zu arbeiten. In dem Maße, wie die Entwicklung elektronischer Systeme für blinde Menschen ein Segen darstellt, ist sie aber auch ein Fluch.
Inwiefern?
Lind: Ein Fluch stellt ihre rasante Entwicklung dar. Betriebe greifen selten auf verbreitete Systeme, wie Windows und die Textprogramme von Office, zurück, sondern nutzen in der Regel „selbstgestrickte“ Programme, die eigens auf ihren Zweck abgestimmt und für deren Bedürfnisse entwickelt worden sind. Sie sind grafisch programmiert, damit sie ohne große Einarbeitung von jedem Mitarbeiter sofort bedient werden können. Die Hilfstechnologien für Sehbehinderte wie Sprachausgabe oder Braillezeile können diese grafische Programmierung aber nicht erkennen. In den letzten Jahren wurden zwar Hilfsprogramme wie zum Beispiel die Javabridge für Blinde entwickelt, aber diese Programme verursachen häufig einen Systemabsturz. Vor allem dann, wen sie nicht über die Tastatur, sondern mit der Maus bedient werden. Das führt dazu, dass blinde Mitarbeiter abgehängt werden und nicht die gleichen Möglichkeiten haben wie ihre sehenden Kollegen.
Womit haben Blinde und Sehbehinderte am Arbeitsplatz noch zu kämpfen?
Lind: Ein weiteres Problem ist die Teilnahme an Fortbildungen. Häufig wird mit Skripten oder Powerpoint gearbeitet, die dem blinden Teilnehmer einer Fortbildung nicht zeitgleich zur Verfügung stehen. Eine Lösung wäre, dem Blinden vorab die Datei zur Verfügung zu stellen, damit er über Brailleschrift zeitgleich mit den anderen Teilnehmern mitlesen kann. Das wird jedoch nur selten gemacht. Ein weiterer Punkt ist die Flexibilität. Soll ein blinder Mitarbeiter an einem anderen Ort oder in einer anderen Filiale eingesetzt werden, braucht das viel Vorbereitung. Der Blinde muss sich erst den Weg zeigen lassen, er muss sich dort umsehen können und seine technischen Hilfsmittel müssen dort aufgestellt werden, damit sie ihm zur Verfügung stehen. Das kostet den Betrieb Zeit.
Welche technischen Hilfsmittel gibt es für Blinde und Sehbehinderte am Arbeitsplatz?
Lind: Die wichtigsten Hilfsmittel für blinde Menschen ist die Sprachausgabe. Das ist eine Software, die den geschriebenen Inhalt des Bildschirms in Sprache übersetzt. Das andere, unverzichtbare Hilfsmittel ist die Braillezeile. Das ist ein Gerät, welches jeweils eine Zeile des Bildschirminhalts in Blindenschrift abbildet. Auf diese Weise kann der Blinde sich Zeile für Zeile durch den Text durcharbeiten oder das, woran er gerade schreibt, verfolgen. Problematisch dabei sind allerdings Jpeg-Dateien. Die sind nämlich grafisch und können von der Hilfstechnologie nicht ausgelesen werden. Auch geschützte PDF-Dateien und E-Books mit DRM stellen ein Hindernis dar. Der Schutz und der DRM-Code verhindern, dass die Hilfstechnologie auf die entsprechende Datei zugreifen kann. Die Folge ist, dass sie nicht ausgelesen werden kann. Die Hilfstechnologie meldet dann, dass es sich um eine leere Datei handelt. Wichtig ist auch ein Scanner. So kann sich der blinde Arbeitnehmer Texte einscannen und sich später automatisch vorlesen lassen.
Frau Lind, vielen Dank für das Gespräch.
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* Name von der Redaktion geändert
UW meint
Ich hoffe die Doktorarbeit enthält weniger Schwächen, Ungenauigkeiten und Fehler. Zum Beispiel haben Blinde die meisten der genannten Hochschulberufe durchaus schon studiert sie im Studium noch nicht über Computer verfügten und die Braillezeile noch nicht erfunden war. Dann die Vermengung von Betriebssystem und Anwendersoftware. Die meisten Betriebe nutzen neben der eigenen Anwendersoftware duchaus Windows als Betriebssystem. Das System dürfte häufig die Komplexität, der Wechsel zwischen Programmen und die mangelhafte Tastenbedienbarkeit sein. So sehr grafisch ist die Software in den meisten Branchen gar nicht. Warum wird hier die Javabridge herausgehoben. Hier scheint ein sehr konkretes Beispiel und kein generelles Problem im Blick zu sein. Die größte Herausforderung dürfte meist sein, dass Arbeitsabläufe verändert werden müssen, damit Blinde und Sehbehinderte ähnlich viel leisten können wie nicht behinderte Mitarbeiter.