„Print ist tot“ und „Dem Internet gehört die Zukunft“ sind zwei bekannte Phrasen aus der Medienbranche. Nichtsdestotrotz habe ich im Sommer dieses Jahres ein neues Printmagazin auf den Markt gebracht: SHIFT – ein Magazin für Digital Natives, also jene Zielgruppe, die angeblich von Gedrucktem nichts mehr wissen will. Bis zum Druck war es ein langer und steiniger Weg.
Schritt 1: Die Idee
Die Idee für SHIFT ist eher aus der Not heraus geboren. Als großer Fan von Gedrucktem und Vielreisender der Deutschen Bahn, bin ich immer wieder in Bahnhofskiosken anzutreffen. So wirklich begeistert hat mich in den letzten Jahren allerdings keine Zeitschrift mehr. Die Schlussfolgerung „Print ist tot“ jedoch wäre töricht. Mein Motto: „Dann mach ich’s eben selbst.“ Eine Zeitschrift, die ich gerne lesen würde – längst überfällig!
Schritt 2: Die ersten Notizen
Manchmal kommen einem in den unpassendsten Momenten und an den ungewöhnlichsten Orten die besten Ideen. So regelmäßig auch bei mir: Im Oktober 2011 war ich während meines Auslandspraktikums in Indonesien und wartete auf meinen indonesischen Freund. Da kamen mir plötzlich die ersten konkreten Ideen für mein Printmagazin. Als guter Journalist hat man natürlich stets etwas zum Schreiben dabei – und so notierte ich mir die ersten Ideen auf einem Zettel, bevor sie mir wieder entfliehen konnten.
Schritt 3: Die Gespräche
Mit den Monaten nahm die zarte Idee immer mehr Struktur an. Doch wie überzeugend war mein Zeitschriftenkonzept in der frühen „Alpha-Phase“? Um das herauszufinden, sprach ich mit einigen Freunden darüber. Durch diese Gespräche merkte ich schnell: Das Interesse schien vorhanden – sowohl an einem neuen gedruckten Magazin als auch an meinen Ideen, wie solch ein zeitgemäßes Magazin für junge Erwachsene aussehen könnte.
Schritt 4: Die Diplomarbeit
Wie passend, dass ich zu diesem Zeitpunkt meine Diplomarbeit anmelden musste. So verfasste ich im Dezember 2011 das Exposé mit dem Titel „Konzeption eines Printmagazins für Digital Natives“. Mein betreuender Professor war gleich angetan von der Grundidee und so hatte ich von Februar bis Mai 2012 Zeit, mir nonstop den Kopf über das Konzept zu zerbrechen. Da es eine praktische Arbeit war, erstellte ich zudem eine erste 97 Seiten umfassende PDF mit zahlreichen Beispiel-Artikeln und Layout-Entwürfen. Einige der Artikel schafften es am Ende sogar ins gedruckte Heft. Eine Mindmap half mir während dieser Zeit, bei all den verschiedenen Aufgaben und Schritten stets den Überblick zu behalten.
Schritt 5: Online-Befragung
Als sehr wertvoll erwies sich meine Online-Befragung mit 50 Fragen: 200 Teilnehmer, die größtenteils meiner Zielgruppe entsprachen, lieferten mir ein aussagekräftiges Bild. 82 Prozent der Teilnehmer waren davon überzeugt, dass es Printmagazine noch mindestens 15 Jahre lang geben wird und 88 Prozent bevorzugten gedruckte Magazine gegenüber elektronischen. Mein Zwischenfazit: „Print ist tot“ sieht anders aus!
Schritt 6: Autoren- und Themensuche
Welche Themen sollen in der Erstausgabe enthalten sein? Wer soll die Artikel schreiben? Natürlich nahm auch dieser Prozess viel Zeit in Anspruch. Aber da über die Jahre hinweg bereits zahlreiche Autoren für Juiced.de geschrieben haben, kannte ich schon einige Namen. Zudem hatte ich mir in der Vergangenheit immer wieder lesenswerte Artikel archiviert und konnte so schnell auf eine breite Auswahl an spannenden Themen und guten Autoren zurückgreifen. Das Besondere daran: Auch Studenten und Blogger durften sich in der Erstausgabe beweisen. In meinem Studium hatte ich mehrmals die Erfahrung gemacht, dass manche Journalismus-Studenten nicht schlechter schrieben und recherchierten als gestandene Journalisten. Warum also nicht auch ihnen eine Chance geben?
Schritt 7: Designer finden
Mir war bewusst, dass es einen Unterschied zwischen mir und einem gelernten Designer gibt. Ich beherrsche zwar die Grundlagen von InDesign, mehr aber auch nicht. Und wenn man ein zeitgemäßes Magazin für junge Erwachsene herausgeben will, sollte das gefälligst auch so aussehen. Also musste mir ein Designer bei der Umsetzung helfen. Nach einem gescheiterten Versuch kurz nach Abgabe meiner Diplomarbeit (der Mediengestalter gab nach rund 20 Seiten auf) war mir klar, dass ich ohne Bezahlung nicht weit kommen werde. Über einige Ecken lernte ich dann einen Designer kennen, der bei einer Agentur – ffi GmbH in Wangen – arbeitet. Er schien über die nötige Qualität zu verfügen und war gleich Feuer und Flamme. Genau der Richtige, dachte ich mir. Nach einigen Gesprächen mit dem Chef der Agentur einigten wir uns auf einen „Startup-Preis“, der angemessen erschien. Dennoch warf das die Frage auf: Wie soll ich das finanzieren?
Schritt 8: Crowdfunding-Vorbereitungen
Ich hatte erste Zusagen von Autoren bekommen, erste Inhalte gesammelt und eine Agentur gefunden, die bereit war, die erste Ausgabe von SHIFT zu einem deutlich günstigeren Preis zu gestalten. Was fehlte, war das Geld für Druck, Design und Vertrieb. In meiner Diplomarbeit schrieb ich über mögliche Finanzierungsmodelle, darunter auch Crowdfunding. Aber ob das wirklich funktioniert? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden: einfach ausprobieren. Mehr als Scheitern konnte ich schließlich nicht, oder? Die nächsten Wochen traf ich also einige Vorbereitungen. Ich las mich in das Thema ein, verglich diverse Crowdfunding-Plattformen miteinander und schrieb erste Entwürfe für die Crowdfunding-Aktion. Schnell wurde mir klar, dass vor allem das prominent platzierte Pitch-Video einen hohen Stellenwert einnimmt.
Schritt 9: Das Pitch-Video
Unglaublich, wie viel Zeit für ein dreiminütiges Video draufgeht! Zunächst feilte ich tagelang an dem Text, den ich in dem Video sprechen wollte. Parallel dazu fragte ich einen Freund, der sich gerade mit After Effects ausprobierte, ob er mir beim Drehen und Schneiden helfen könne. Er sagte zu, der Termin stand, und es ging los. Wir improvisierten auf engstem Raum, bauten in meiner kleinen Küche eine grüne Leinwand und einen Baumarkt-Scheinwerfer auf – und drückten den „Rec“-Button der Videokamera. Was wir leider vergaßen: uns die Aufnahmen hinterher anzuschauen. Dann hätten wir schnell gemerkt, dass meine Mimik und Gestik ausbaufähig waren. Auch wenn ich – typisch Journalist – lieber hinter der Kamera stehe, war mir klar: das hätte ich besser gekonnt. Worauf wir übrigens auch nicht geachtetet hatten: mein Outfit. All das sind Dinge, die man sich im Vorfeld besser gründlich überlegen sollte. Aber ob es daran scheitern sollte?
Schritt 10: Die Crowdfunding-Phase
Nach einem Gespräch mit dem crowdfundingerprobten Philipp Steuer in Köln entschied ich mich, als Fundingziel 5.000 Euro zu wählen. Damit konnte ich zwar nicht alle kalkulierten Kosten abdecken, aber die Summe schien nicht zu hoch und somit erreichbar. Man darf nicht vergessen, dass es beim Crowdfunding nach dem „Alles oder nichts“-Prinzip geht. Bevor es losgehen konnte, brauchte ich neben dem fertigen Pitch-Video noch ausformulierte Beschreibungen des Projekts und die Dankeschöns. Ein Freund gab mir in dieser Phase ständig Feedback, kaute geduldig die kleinsten Details mit mir durch. Und dann ging es endlich los: Am 17. Mai startete die Finanzierungsphase auf der Plattform Startnext. 61 Tage hatte ich Zeit, die 5.000 Euro zusammen zu bekommen. Ob es mir gelingen würde? Zu diesem Zeitpunkt konnte ich das überhaupt nicht einschätzen – glaubte aber fest daran, dass es klappen würde.
Schritt 11: Community aufbauen
Jetzt fing die alles entscheidende Arbeit an: informieren, motivieren, aktivieren. Natürlich informierte ich zunächst alle Freunde und Bekannte über mein Crowdfunding-Projekt. Auch auf meinem Blog schrieb ich erste Artikel über SHIFT. Dadurch kamen schnell die ersten 1.000 Euro zusammen. Als nächstes eröffnete ich SHIFT-Profile in den sozialen Netzwerken Tumblr, Twitter, Google+ und App.net. Das sollte sich aus mehreren Gründen auszahlen. Einer der Gründe: Durch die sozialen Netzwerke wurden auch Journalisten auf SHIFT aufmerksam, die anschließend über SHIFT berichteten.
Schritt 12: Die Pressearbeit
Parallel zu meinen Social Media-Aktivitäten war die Pressearbeit ein ganz wichtiger Baustein. Ich schrieb erste Pressemitteilungen, baute mir einen E-Mailverteiler auf, richtete eine Presse-Seite mit zusätzlichem Download-Material ein und telefonierte den versandten Pressemitteilungen hinterher. Die ersten Tage passierte sehr wenig, bis der Medienbranchendienst Turi2 durch erste Blogartikel auf SHIFT aufmerksam wurde und kurz darüber schrieb. Dadurch wurden weitere Journalisten auf SHIFT aufmerksam und so kam eins zum anderen. Insgesamt sind mittlerweile über 70 Beiträge zu SHIFT erschienen. Nach der Crowdfunding-Aktion berichteten sogar die BILD-Zeitung, das WDR-Fernsehen und DRadio Wissen darüber.
Schritt 13: Die Produktion
Als SHIFT die erforderlichen 5.000 Euro schon eine Woche vor Ende der Kampagne zusammen hatte, konnte ich hocherfreut weitere Schritte unternehmen. Die Agentur, die zuvor bereits kostenlos eine 25-seitige Vorschau gelayoutet hatte, gestaltete in kürzester Zeit die restlichen Artikel. Schließlich sollten die Unterstützer ihr gedrucktes Exemplar so schnell wie möglich in den Händen halten.
So bereitete ich alles für den Selbstvertrieb vor, recherchierte nach den geeigneten Verpackungen, kostengünstigstem Versand, schnellster Frankierung. Ich orderte Universaletiketten, die im Zusammenspiel mit der Internetmarke funktionieren, bestellte mehrere Pakete voller Versandtaschen und holte mir Angebote für bedruckte Kugelschreiber ein, die einige Unterstützer als Dankeschön bekommen sollten.
Als Dreingabe ließ ich Dankeskarten an alle Unterstützer drucken und bestellte Visitenkarten, die ich jeder Ausgabe beilegen wollte. Nebenbei machte ich mir Gedanken über die Webseiten, las ein Buch über Unternehmensgründung, besuchte ein Gründerseminar, sprach mit Entrepreneurs, hielt die Community am Laufen und beantwortete die zahlreichen Medienanfragen.
Kurzum: Ich war völlig ausgelastet und stark herausgefordert, stets den Überblick zu wahren und alle anfallenden Aufgaben rechtzeitig zu koordinieren. Die größte Herausforderung war sicher das Lektorieren des Ende Juli fertig gelayouteten SHIFT-Magazins. Dabei halfen mir meine Frau und eine Freundin, die fleißig ihre Kommentare in der PDF hinterließen und weit über 400 Fehler fanden. Schließlich war die erste druckfähige PDF-Version von SHIFT so weit. Dachte ich zumindest. Denn kurz darauf meldete die Druckerei Probleme mit der PDF und wies auf datentechnische Fehler hin. Die entsprechende Person bei der Agentur war aber natürlich schon im Urlaub, sodass es sich dadurch schlussendlich um fast zwei Wochen verzögerte. Schuld daran war im Endeffekt niemand so richtig – aber der Leidtragende war natürlich ich. „Egal, dann können die SHIFT-Exemplare eben erst Anfang September ausgeliefert werden“, dachte ich mir. „Bei insgesamt über 18 Monaten kommt es auf die eine Woche mehr oder weniger auch nicht mehr an.“
Schritt 14: Der Versand
Am 6. September war es dann so weit: Der Postbote klingelte an der Tür und sagte leicht entgeistert: „Ich hab‘ da 30 Pakete für Sie.“ Das war natürlich ein ganz besonderer Moment für mich. Die Freude und Dankbarkeit über das Magazin musste ich aber schnell wieder hinten anstellen. Denn die Exemplare mussten nun verpackt werden. Bis das mit der CSV-Tabelle und den Internetmarken funktionierte, vergingen vier Stunden. Meine Frau und ich packten also bis tief in die Nacht in unserer kleinen Wohnung die SHIFT-Exemplare ein, die den nächsten Morgen verschickt werden sollten.
Ein Freund von mir half uns mit seinem Auto aus und so brachten wir die ersten 400 Exemplare zur Postfiliale in Bonn. Die nächste große Hürde war somit auch geschafft. Die nächsten Tage verschickte ich die restlichen SHIFT-Exemplare an die Unterstützer und freute mich über die ersten begeisterten Rückmeldungen der Empfänger auf Twitter und Co. SHIFT happened!
Schritt 15: Die Suche nach Partnern und Investoren
Wie geht es jetzt weiter? Mein Traum ist es, SHIFT regelmäßig herauszubringen. Damit sich das auch rechnet, brauche ich eine höhere Auflage, wodurch auch höhere Kosten entstehen. Kurzum: Ohne Investoren kann ich das nicht schaffen. Deshalb führe ich derzeit einige Verhandlungen. Crowdfunding war genau das Richtige, um diese erste Ausgabe mit einer Auflage von 1.000 Exemplaren drucken zu lassen – und die notwendige Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber mal abgesehen davon, dass ich am Ende noch einiges aus eigener Tasche draufgelegt habe, könnte ich von so einer kleinen Auflage nicht leben. Außerdem sollen die Autoren für ihre tollen Artikel in Zukunft auch bezahlt werden – das versteht sich von selbst. Natürlich kann ich dieses Projekt nicht allein bewältigen. Daher bin ich auf einen Partner angewiesen, der mit mir gemeinsam gründet und idealerweise etwas von Unternehmensgründung versteht. Auch hier führe ich derzeit gute Gespräche mit einem aussichtsreichen Kandidaten. Mein Ziel ist es, eines Tages von SHIFT leben zu können. Nicht mehr und nicht weniger.
Dieser Artikel erschien in gekürzter Fassung in der Fachzeitschrift medium magazin #10-11/2013.
Zweiteilige Crowdfunding- und SHIFT-Serie
- Teil 1: In 15 Schritten zum neuen Magazin SHIFT
- Teil 2: 9 Tipps zum Crowdfunding-Erfolg
Mario Wehner meint
Super! Ich werde jetzt bei meiner Buchveröffentlichung so ähnlich vorgehen!