Anfangs habe ich schwer überlegt, ob ich das wirklich machen soll: freiwillig 40 Tage lang auf die Besucherstatistik verzichten. Am 15. Februar fasste ich den Entschluss und entschied mich zu dieser unkonventionellen Art des Fastens. Bis Ostersonntag übte ich mich fortan eisern im digitalen Verzicht. Mit mittelmäßigem Erfolg.
Mein Ziel war es zunächst, auf etwas zu verzichten, was mir schwer fällt. Das ist mir wahrhaftig gelungen: Fast die gesamte Zeit über fiel es mir enorm schwer, auf die Einsicht der Besucherzahlen von JUICED zu verzichten. Schwerer, als ich ursprünglich dachte. Zu gewohnt war ich es, zuvor mehrmals täglich kurz bei der Webanalysesoftware Piwik reinzuschauen. So konnte ich live und unmittelbar nach- und mitverfolgen, wie die neuesten Artikel ankommen. Zumindest in quantitativer Hinsicht.
Am 13. März zog ich mein Zwischenfazit, das zu diesem Zeitpunkt sehr ernüchternd ausfiel:
Ja, das mit dem Statistik-Fasten fällt mir zugegebenermaßen alles andere als leicht. Ich würde zwar nicht so weit gehen und wie sigmundo lieber auf Nahrung verzichten – aber ich bin wirklich überrascht, wie gerne ich nach wie vor nach jeder Artikelveröffentlichung das Statistiktool Piwik aufrufen würde und mir die Besucherzahlen anschauen möchte. Und irgendwie kann ich mir gerade nicht vorstellen, dass es bis Ostern wirklich noch besser wird.
Sprich: Es bleibt hart und anstrengend, Entspannung und Entlastung ist vorerst leider nicht in Sicht. Aber aus diesem Grund vermutlich genau das Richtige: Man soll ja auf etwas verzichten, was einem schwerfällt. Und hier scheine ich mir das absolut passende ausgesucht zu haben. Leider? ;)
Anscheinend war es aber nur der Höhepunkt meiner „Entzugserscheinungen“, denn danach wurde ich tatsächlich entspannter im Umgang mit dem Verzicht auf die Besucherstatistik. Natürlich freute ich mich auf das Ende der Fastenzeit – aber die Statistiken wurde in den nächsten Tagen eher zu einem „nice to have“ und nicht mehr einem „must have“. Das beruhigte mich. Denn bis dahin dachte ich tatsächlich, dass ich gar nichts von dieser freiwilligen Fastenaktion lernen würde.
Von da an hatte ich also ein neues Ziel: Ich wollte etwas aus dieser Aktion lernen. Immer wieder überlegte ich, was ich daraus nun gelernt hatte. Bis mir gegen Ende der Fastenzeit tatsächlich zwei Lichter im Hirn aufgingen, die ich als „lesson learned“ beschreiben könnte.
Qualität statt Quantität sowie Allwissenheit und Macht
- Die erste Erkenntnis ist so banal wie wichtig: Qualität vor Quantität. Die Statistiken sagen relativ wenig über die Qualität der Artikel aus. Ja, eine hohe Verweildauer und niedrige Absprungrate könnte man als Indikator für einen gelungenen Artikel betrachten. Aber insgesamt geht es bei den Webanalysetools doch mehr um (möglichst hohe) Zahlen, sprich Quantität. Wir freuen uns über steigende Besucherzahlen und SEO-technisch gelungene Überschriften. Ich will hier keine Statistik- und SEO-Debatte vom Zaun brechen. Wer freiwillig ein paar Tage oder Wochen auf die Besucherzahlen verzichtet, weiß, was ich meine. Es ist fast schon ein Rückbesinnen auf das „Texten only“, ohne Hintergedanken und Nachverfolgen.
- Die zweite Erkenntnis kam mir in einem unerwarteten Moment am Mittagstisch: der unglaubliche Drang von uns Menschen, alles wissen zu wollen. Wir haben im Internet die Möglichkeit dazu, genau zu verfolgen, welche Artikel die (anonymisierten!) Besucher wie lange lesen, woher sie kommen etc. Warum also darauf verzichten? Sprich: Sobald wir es können, wollen wir nicht verzichten.
Dieser Gedanke lässt sich auch auf eine viel größere Ebene hieven: Wenn man die Macht hat, gewisse Dinge zu erfahren (ohne dass es sonst jemand weiß) – wer wird dieser unglaublichen Versuchung dauerhaft wiederstehen können? Schon Mark Zuckerberg soll in einem sehr frühen Stadium Facebook Accounts von anderen Privatpersonen durchforstet und zum Teil sogar wichtige E-Mails anderer Nutzer gelöscht haben. Ein klarer Fall von Machtmissbrauch.
Das Streben nach Allwissenheit ist nicht nur ein Phänomen von IT-Unternehmen wie Facebook oder der Datenkrake Google. Es lässt sich überall beobachten: TV-Quoten, Quartalszahlen und das Statistisches Bundesamt auf der einen Seite, GPS, Spritverbrauch und Apps fürs Joggen auf der anderen Seite. Überall spielen Zahlen eine immer größer werdende Rolle. Das erinnert mich stark an den lesenswerten Artikel „Excel kann man nicht essen“ von The European-Chefredakteur Alexander Görlach.
Fazit: Nächstes Jahr werde ich definitiv nicht nochmal so lange freiwillig auf die Besucherstatistik verzichten. Derzeit habe ich aber tatsächlich einen entspannteren Umgang mit den Zahlen (und auch gemerkt, dass ich in der Zeit gar nicht viel verpasst habe!). Und ich setze es gezielter bzw. überlegter ein: So habe ich nun herausgefunden, auf welche Bereiche der Webseite die Leser gar nicht draufklicken – und die Inhalte entfernt oder durch andere ersetzt – um auf diese Weise mittels der Webanalysesoftware letztlich doch die Qualität der Seite zu steigern. Euch, den Lesern, zuliebe.
Aus diesem Grund blogge ich (wie bereits erwähnt) letztendlich auch so wahnsinnig gerne:
Weil ich 1. immens viel Spaß daran habe und 2. wahnsinnig gerne mit euch, den Lesern, ins Gespräch komme (Kommentare sind hier ausdrücklich erwünscht!). Und da spielt die Reichweite (Quantität) zunächst eine untergeordnete Rolle bzw. sollte die automatische Konsequenz von gutem Inhalt (Qualität) sein, nicht wahr?
Gina meint
WOW, Respekt! Ich kann mir vorstellen, wie wahnsinnig dich das gemacht haben muss, nicht auf die Statistik zu gucken^^ Ich glaube, mir würde das ebenfalls fehlen… ;)
noch ein Markus meint
das einzige worauf ich verzichtet habe war das Verzichten.
ist auch eine Form von fasten, oder?
:)
JUICEDaniel meint
@ Gina: Ja, war wirklich alles andere als einfach. Aber wie gesagt: Gerade deshalb auch wertvoll und im Nachhinein umso mehr, da ich nun entspannter damit umgehe.
@ noch ein Markus: Hmpf. Naja. Also… hmm… NEIN! Nice try though ;)