Wie Spiegel Online vermeldet, ist am Abend der Nationaltorwart und Keeper von Hannover 96, Robert Enke, gestorben. Das Portal berief sich auf einen Polizeisprecher, der äußerte, dass alles auf einen Selbstmord hindeutet.
Ich bin geschockt. Wie soll ich darauf reagieren? Was schreiben? Warum überhaupt schreiben? Wäre Schweigen nicht viel besser? Angebrachter? Aber ich kann nicht.
Enke starb an einem Bahnübergang in Neustadt am Rübenberge im Ortsteil Eilvese. Er wurde nur 32 Jahre alt.
Die Welt hält an. Verschwimmt. Wird ganz klein. Das Gefühl einer Ohnmacht. Taub. Hilflos. Dumpf. Trauer.
Nur wenige Stunden später: Wikipedias Eintrag zu Enke wurde bereits in die Vergangenheit umgeschrieben. Die erste Zeile:
Robert Enke (* 24. August 1977 in Jena; † 10. November 2009 in Neustadt am Rübenberge[1]) war ein deutscher Fußballspieler.
Um 20:22 Uhr wird Enkes Wikipedia-Eintrag zum ersten Mal geändert. Eine Minute später ergänzt ein weiterer Autor die Quelle. Um 20:43 Uhr entfernt jemand die Änderungen mit dem Vermerkt „Spekulationen haben hier nichts zu suchen“. Nur eine Minute später wird auch diese Änderung wieder rückgängig gemacht. Jetzt, um 22:28 Uhr, sind es schon 42 Änderungen innerhalb zwei Stunden (Update: 22:58 Uhr, 44 Änderungen). Und ich bin immer noch fassungslos.
„Er war labil“, so Kind (Anm. d. Red.: Martin Kind, Präsident des Bundesligisten Hannover 96) weiter. Das sei in der Öffentlichkeit wohl nicht aufgefallen. „Er hat das überlagert“, so der 96-Klubchef. Vor drei Jahren hatte Enke einen schweren Schicksalsschlag zu verkraften, als das Ehepaar seine zweijährige Tochter Lara verlor. Sie litt an einem angeborenen Herzfehler. Enke hinterlässt seine Ehefrau Teresa und eine acht Monate alte Tochter, die das Paar im Mai adoptiert hatte.
Schock. Trauer. Leere.
Für mich war Robert Enke in fußballerischer Hinsicht ein großes Vorbild. Erst hatte er riesiges Talent, aber in der Nationalmannschaft keine Chance gegen Titan-Kahn. Dann kam sein tiefes Karriereloch im Ausland, ehe er sich bei Hannover 96 auch einen festen Platz als Ersatzkeeper in der deutschen Nationalmannschaft ergatterte. Und nun, nach Jens Lehmanns Rücktritt, stand er kurz davor, die neue Nummer 1 für die WM 2010 in Südafrika zu werden. Eine Verletzung warf ihn jüngst etwas zurück, aber er war wieder auf gutem Wege.
Robert Enke war einer der ersten Torwart-Talente, einer der ersten vielversprechenden Torwart-Nachwuchsfußballer, die ich in meiner Kindheit kennenlernte. Ich wuchs sozusagen mit ihm auf, spielte währenddessen selbst in der F- und E-Jugend als Torwart Fußball. Und so beobachtete ich ihn über die Jahre so gut es ging, mit der Erwartung, dass er nach Kahn die neue Nummer 1 werden würde. Während seiner Zeit im Ausland (1999-2004) hörte ich nur wenig von ihm und Timo Hildebrand wurde plötzlich als heißester Kandidat auf die Nachfolge im Tor der Nationalmannschaft gehandelt. Von Jens Lehmann.
Doch dann tauchte er langsam wieder aus dem Nichts auf und zeigte mit seinen Wahnsinns-Paraden und seiner unglaublichen Abgeklärtheit, wieso er es verdient hätte, die Nummer 1 im deutschen Tor zu sein. Jögi Löw setzte Enke erstmals im März 2007 in einem Länderspiel ein (wobei Erich Ribbeck ihn schon 1999 in die A-Nationalmannschaft berief). Verletzungen warfen ihn immer wieder zurück, sodass er sich nie richtig im Kreis der Nationalmannschaft etablieren konnte. Aber sein Comeback aus dem Nichts, seine Ausdauer und sein Durchhaltewillen, beeindruckten mich. Sein Fleiß, sein Engagement, seine Konzentriertheit: vorbildlich.
Und nun, mit einem Schlag, ist er Geschichte. Verschwunden aus unserem Leben. Nur noch Erinnerung. Erinnerung, die im Laufe der Zeit verblassen wird. Und vom nächsten Medienthema hinweggespült wird. Das alles hat einen fahlen Beigeschmack für mich. Beim der Sportseite kicker.de ist Robert Enke schon jetzt aus dem Kader von Hannover 96 entfernt worden. Ein Klick und gelöscht. Zack.
Und dabei hat er noch gespielt, vergangenen Sonntag. 2:2 gegen den Hamburger SV, kicker-Note 4. Sein Steckbrief existiert noch in der Datenbank. Noch.
Für das Länderspiel gegen Chile am kommenden Samstag in Kölnwurde Enke nicht nominiert. Das sei keine Entscheidung gegen, sondern für Robert Enke, sagte Bundestrainer Joachim Löw.
Robert Enke war wegen einer rätselhaften Erkrankung, die Fachärzte als bakterielle Darminfektion einstuften, seit einiger Zeit sportlich geschwächt.
Ich weiß es nicht. Die Gründe? Keine Ahnung. Keine Ahnung. Ich will sie gar nicht wissen. Und doch frage ich mich die ganze Zeit nur eins: Warum?
Zurück bleibt ein trauriger, ein verwirrter, ein geschockter Daniel. In meinen Erinnerungen wird er weiter leben. Und mich anspornen. Das Beste aus meinem Leben zu machen. Das Maximale rauszuholen. So wie Robert: Mit Fleiß sein Talent vermehren und alles geben. 100 Prozent. Bis zum Schluss.
[Update]
Gerade habe ich einen bemerkenswerten Artikel bei faz.net über Robert Enke gefunden. Vom 19. April 2009. Ein Highlight ist sicher diese Passage hier, die ich euch nicht vorenthalten möchte:
Wer kann sich an den letzten Enke-Patzer erinnern? Er hat seine erste große Verletzung, den Kahnbeinbruch im Herbst 2008, gut verkraftet. Er ist nicht ohne Ehrgeiz, das ginge gar nicht auf dieser Position, aber er löscht ihn, bevor es zu heiß wird. Er hat mal gesagt, dass er mehr Talent habe als Kahn und deshalb nicht so verbissen sein muss.
Kahn selbst sagte einmal, dass er nicht besonders viel Talent gehabt habe. Und daher immer härter als alle anderen trainieren musste. Er war besessen, eine Maschine. Enke war mehr Mensch. In den jungen Jahren wirkte er durch solche Aussagen („mehr Talent als Kahn“) auf manche vielleicht arrogant, aber er hatte recht. Und wurde die Jahre über abgeschliffen, auch charakterlich. Auch, dass Enke seit 2007 Mannschaftskapitän bei Hannover 96 war, unterstreicht das.
Auch die Schlussworte des faz.net-Artikels bleiben hängen:
Enke ist anders als die meisten Profis.
gutesfeechen meint
Mir fehlen die Worte, ich wünsche seiner Familie alle Kraft, ein Mensch ist von uns gegangen und nur er weiss warum er diesen Weg gewählt hat.
Unsagbare Trauer hinterlässt er nun und Fragen über Fragen….
Vicky meint
Du meinst ins PERFEKT umgeschrieben, nicht ins Passiv. Supertraurig. Bin auch fassungslos. R.i.P.
JUICEDaniel meint
@gutesfeechen: Fragen über Fragen… und ich hätte gerne Ruhe (Aussprache und Trauer ist wichtig, aber dann langt es auch!). Mir graut es jetzt schon davor zu sehen, wie die Medien – allen voran BILD – Enkes Tod nun ausschlachten werden wie einst Winnenden. Eine willkommene Abwechslung zur Schweinegrippe, langweiligen Politik und Co. :(
@ Vicky: Ja, meinte ich natürlich (nicht nur Perfekt, auch Präteritum – das nur am Rande). Danke für den Hinweis. Bin noch etwas durch den Wind gerade…
Vicky meint
Er hat diesen einsamsten aller Wege zu sterben gewählt- ich hoffe auch, das wird nun respektiert.
Andreas meint
So einsam ist es nicht, vor einen Zug zu springen…
Das nur nebenbei.
Natürlich nimmt das der Sache nicht die Tragik. Hab es auch kaum fassen können.
Der Tod der Studentin an der h_da noch hinzu. Was für ein Tag gestern…
Flüge meint
Ich wurde von meinem Dad angerufen und er bestätigte mir die schreckliche Nachricht. Ich konnte es kaum glauben- ich fühlte mich betroffen wie nach dem Tod eines eigenen Familienmitgliedes.
Es ist sehr traurig und ich frag mich, genauso wie viele andere, wie es dazu gekommen ist. Enke schien es gut zu gehen; er hatte eine hübsche Frau und eine kleine Tochter!
Die Wege des Herren sind unergründlich!
noch ein Markus meint
ich kannte den Herrn bis gestern morgen nicht.
wobei ich finde, Leute die sich Ihr Leben nehmen und gleichzeitig ein anderes versauen, in dem Fall das des Zugführers, sind große Arschlöcher.
Kelé meint
Ja, das habe ich auch gedacht, Markus.
Einerseits ist es schade, wenn ein Leben so zu Ende geht, wenn jmd. freiwillig sterben will. Und nunja, für ihn ist das Leid erstmal. Aber was er seiner Frau, seiner adoptierten Tochter und den Zugführern antut, darüber denkt man dann gar nicht nach. Das ist das was ich mich auch gefragt habe, als ich die Bilder des Zugs gesehen habe… Wie geht es diesen Menschen? Wie gehen sie damit um?
nachdenkliche Grüße aus Köln.
Kelaja
JUICEDaniel meint
Das stimmt leider. Wobei ich Enke mal unterstellen möchte, dass er mit Sicherheit darüber nachgedacht hat, was er damit seiner Frau antut. Dem anonymen Zugfahrer wohl eher weniger.
Hab im Radio gehört, dass jeder Zugfahrer in seinem Leben etwa 2-3 Menschen überfährt. Krass.
seebaerkiel meint
Enke hat sich einen brutalen Weg gesucht, um zu gehen. Wieviel Hass muss er auch auf sich gehabt haben? Ich konnte meine Gedanken erst heute einigermaßen zusammen formulieren und das als „Werber“…
Kelé meint
Inwieweit war sich Enke bewusst, was er dem Lokführer antut wird, bevor er sich vor den Zug schmeißt?
Er war in diesem Moment sicherlich so eingeengt in seiner Wahrnehmung, dass es ihm nicht bewusst war, was dem Lokführer antut. Er hat nur noch seine Depression gesehen, nur noch sein Leid und wollte es beenden. Er hat in diesem Moment nicht über den Lokführer nachgedacht oder seine Frau und sein Kind. Dieser Trichter, den ich bereits erwähnt habe, wird am Ende ganz eng. Und er hat gar keine Möglichkeit über etwas anderes nachzudenken, als über die offensichtliche Erlösung.
Welche Folgen kann dieser Vorfall für den Lokführer haben?
Die Lokführer werden psychotherapeutisch betreut. Für einen Lokführer kann es alles bedeuten. Der eine kann am nächsten Tag wieder arbeiten, weil er es sehr gut ausblenden kann. Bei anderen kann es zu einer erheblichen Belastungssituation führen, die auf Dauer auch zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen kann. Die Symptome davon wären Rückblenden oder Schlafstörungen. Der Lokführer im Fall Enke hat ja wohl auch eine Vollbremsung eingeleitet. D.h. er hat genau wahrgenommen, dass ein Mensch auf dem Gleis stand. Es ist wahrscheinlich, dass er diese Bilder wieder auftauchen sieht.
Hat Enke in gewisser Weise verantwortungslos gehandelt, weil er auch das Leben des Lokführers vielleicht zerstört hat?
Man kann auch fragen, wieso tut Enke so etwas dem Lokführer, seiner Frau, seinem Kind und dem Verein an? Aber man kann ihm keinen Vorwurf machen. Er war so eingeengt in seiner Wahrnehmung und in seiner Wertewelt, dass kein Rückschluss auf Interessen von anderen möglich war. Der Wunsch zu sterben war so stark im Vordergrund, dass er darauf keine Rücksicht mehr nehmen konnte.
Quelle: t.online.de
Ein ganz interessantes Interview, wer es ganz lesen möchte:
http://bundesliga.t-online.de/robert-enke-psychologe-erklaert-die-tuecken-einer-depression/id_20564716/index
Holger Rösler meint
Hi all,
das Geheule über den Enke kann ich einfach nicht verstehen.
Für mich ist er der grösste Idiot des 21 Jh. Er hat alles gehabt, er ist in Deutschland aufgewachsen, hatte ne schöne Frau, nen schönen Job, er konnte den ganzen Tag Fussball spielen, das Jubeln der Massen, Geld wie Heu.
In Rumänien stehen an den Bahnschienen viele schwarze Kreuze. Das hat den Vorteil das wenn jemand im Zug fährt und Depressionen hat kommt er gleich auf die richtige Idee (sorry, das war ein Witz).
Ich kann jeden Selbstmörder in Rumänien verstehen, aber die wären heilfroh gewesen, wenn sie nur halb soviel Glück im Leben gehabt hätten wie dieser Tropf.
Der grösste Idiot des 20 Jh. war übrigens Adolf Hitler, aber der hatte wenigstens einen brauchbaren Grund (der Russe kommt). Aber welchen Grund hatte der Enke?
Ich komm mir vor wie bei den Leiden des jungen Wehrter. Das ist übrigens ein grauenhaftes Buch. Das nehme ich Goethe heute noch übel.
Holger Rösler