Crafties? Who the f… sind Crafties? Noch nie gehört. Sowas ähnliches wie Trekkies vielleicht? Fans des Computerspiels „World of Warcraft“? Wem es ähnlich geht, der darf sich glücklich schätzen, sobald er die erste Seite der neuen ROSEGARDEN-Ausgabe gelesen hat: wieder was gelernt. Denn Crafties, das sind Verfechter der guten alten Handarbeit. Von ehrlichen, selbstgemachten Produkten. Gut bürgerlich ist das neue hip. Do it yourself! Genau darum geht es in der neuen Ausgabe des unabhängigen Lifestyle- und Gesellschaftsmagazins ROSEGARDEN.
Zum Start wartet die Zeitschrift, Titelthema: „Handwerk & Craft“, mit einer ernüchternden Infografik auf. Die Zahl der Bäckerei- und Fleischereibetriebe in Deutschland, so erfahren wir, hat sich seit 1998 fast halbiert hat. Uff. Dennoch würde ja niemand bestreiten, dass der Trend nach Selbstgemachtem gerade wieder Einzug in die deutschen Einkaufszentren, Klamottenläden und Restaurantküchen hält.
Ulrich Köhler glaubt, den Grund dafür erkannt zu haben. „Ursache ist die steigende Unsicherheit“, berichtet er im Interview. Der Mann leitet das Münchener Trendbüro (Sowas gibt’s? Schon wieder was gelernt!), also muss er es ja wissen. Unbehagen bei der rasenden Technologisierung und Misstrauen in die Politik, zählt Köhler auf, dank dieser Dinge sehne sich der Mensch wieder nach dem Vergangenen und Unperfekten.
Auf den folgenden Seiten lernen wir deswegen Menschen kennen, die genau das herstellen, was der Craftie alles so gerne kauft: ein 18-jähriger Metzger-Azubi, der von den Tücken des Kuh-Zerlegens erzählt („Wenn dir da das Messer auskommt, dann kannst du ganz schnell ein paar tausend Euro in den Sand setzen“), eine Berliner Designerin, die mundgeblasene Wassergläser herstellt („Wenn man das Material in der Hand hat, wenn man es bearbeitet, etwas Neues damit erprobt – dann entstehen Dinge“), eine schottische Bäckerin, die mit ehrlichen Buns und Shortbread einen Gegentrend zu all den quietschbunten Macarons und Cake Pops setzen will („Zurück zum Teig“), oder ein verdienter Modellbauer, der nach über 40 Jahren Berufserfahrung doch ein wenig um seine Branche zittert („Modellbau ist eher Berufung als Beruf“).
Die Krönung: Zwei Bierbrauer plaudern bei pinkem Erdbeerbier über ihren Arbeitsalltag in der hippen, jungen Berliner Gerstensaftszene. Abends um 20 Uhr stehen Telefonkonferenzen nach San Diego im Terminkalender, aus den Zapfhähnen fließen schon mal in einem Laden 61 verschiedene Biersorten.
Wer durch die vierte Ausgabe von ROSEGARDEN blättert, gerät unweigerlich ins Grübeln. Wann habe ich mir eigentlich zuletzt ein paar nicht ganz so billige Scheiben Wurst vom Metzger gegönnt? Schon ein Weilchen her. Wann den kleinen Bäcker um die Ecke unterstützt? Ebenfalls. Weiß ich überhaupt, wo und ob es in meiner Stadt Schreiner, Imker, Brauereien gibt? Hmm. Man muss kein Craftie sein, um sich diese Fragen zu stellen.
Drei Artikel für Hirn, Herz, Horizont
Hirn: „Das Handwerk und sein goldener Boden“, S. 16
Jannes Vahl philosphiert über die angeschwollene Großstadt-Gastronomie. Er grübelt, was das halbe Hähnchen, das für 2,50 Euro auf seinem Teller landet, wohl für ein Leben gehabt haben muss. Und überlegt, ob ein Krug mit „Wasser, bisschen Sirup, bisschen Grünzeug“, der doppelt so viel kostet wie das arme Federvieh, wirklich sein muss. Eine berechtigte Frage.
Herz: „Reine Handarbeit“, S. 46
Die Fotografin Julia Schwendner lichtet Hände ab. Alle ähnlich, und doch total unterschiedlich. Sommersprossen, Glitzernägel, ein Ehering, ein Eulentattoo. Schwendner gelingt es, Lust auf die Geschichten zu machen, die sich hinter den Händen verbergen. Warum hat die Floristin so raue Haut? Wir werden es wohl nie erfahren.
Horizont: „Die Kunstfabrik der Familie Kim“, S. 76
Spannende Reportage über Kunst und Kitsch aus Nordkorea. Kultur ist im Land des Diktators ein Staatsakt, Künstler arbeiten wie Hochleistungssportler. Die Mansudae Art Studios, denen der Autor einen Besuch abstattet, sind die weltweit größte Kunstfabrik und exportieren gigantische Statuen nach Algerien, Senegal – und auch nach Frankfurt.
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