Beim Begriff „Digitale Kunst“ denkt man vielleicht an Kunstwerke, die mit dem Computer erstellt wurden. Quasi digitale Skulpturen: Grafiken, Videos, Klänge. Der Laie kennt so etwas aus der Filmindustrie oder aus Musikvideos. Eine weitere Gattung fristet ein ziemliches Nischendasein. Eigentlich unverständlich, denn was die Mitglieder der Computer-Demoszene auf die Beine stellen, ist erstaunlich.
Ihre Kunstwerke sind so genannte „Demos“, also Demonstrationen. Dabei handelt es sich um audiovisuelle Präsentationen, Grafikanimationen mit synchroner Begleitmusik. Beides wird in der Regel in Echtzeit berechnet. Es werden also keine Film- oder Tonaufnahmen abgespielt, sondern ein Programm befiehlt dem Computer, Bild und Ton zu generieren. Was man sieht und hört, wird genau in dem Moment hergestellt, in dem es abläuft. Wie gut das klingt und aussieht, wie originell die technische Umsetzung ist, hängt vom Können der Macher ab.
Gleichzeitig gibt es aber auch eine künstlerische Komponente, denn Demos können aufgrund ihrer audiovisuellen Gestalt genau so Ausdrucksmittel sein, wie Malerei, Film oder Musik. Ihre Schöpfer, also Computergrafiker, Programmierer und Computermusiker, können somit auch klassisch kreativ wirken. Die Produktionen bilden daher die Brücke zwischen klassischer Kunst und der technischen Profession des Programmierens. Eine derartige Verbindung gibt es nur in der Demoszene.
Diese entstand Mitte der 1980er Jahre. Und zwar zunächst in der Illegalität. Damals gab es so genannte Heimcomputer wie den Commodore 64. Neben seiner Verwendung für Buchhaltung, Textverarbeitung und ähnliches stand der C64 in sehr vielen Kinder- und Jugendzimmern. Es wurde vor allem damit gespielt. Auf dem Schulhof tauschte man fleißig die neuesten Spiele und kopierte sie untereinander. Manche Teenager konnten ein wenig programmieren, denn das bot damals wirklich neue Möglichkeiten des Gestaltens. Und einige, vornehmlich Jungs, versuchten sich erfolgreich am Knacken des Kopierschutzes neuester Games.
In der Folge entstand eine Szene, die sich diesem so genannten „Cracken“ widmete. Crackergruppen suchten sich gegenseitig in Schnelligkeit und Perfektion bei der Veröffentlichung neuer gecrackter Spiele zu übertreffen. Doch schon bald reichte das allein nicht mehr für eine hohe Reputation. So wurde es Usus, eigene Intros zu den kommerziellen Games zu erstellen. Die sollten zunächst die eigenen Fähigkeiten glorifizieren, was man mittels Musik und auffällig gestalteten Schriftzügen zu erreichen suchte.
Der Ruhm einer Crackergruppe gründete sich im Folgenden immer mehr auch darauf, wie beeindruckend diese Intros für die Szenemitglieder waren. Ausgefuchste Programmiertechnik und Kreativität bei der audiovisuellen Präsentation wurden sehr wichtig. Intros wurden immer mehr zum eigenständigen Produkt, das Spiel wurde weniger wichtig. Konsequenterweise gab es bald erste „Demo-Disketten“ ohne Spiel. So formierte sich nach und nach eine Szene um diese Produktionen.
Natürlich war das Ganze nicht legal. Behörden waren den Crackergruppen auf den Fersen. Wurden sie fündig, wurden häufig alle Mitglieder verhaftet. Auch, wenn zum Beispiel Musiker und Grafiker nicht direkt am Raubkopieren beteiligt waren. Wer ohnehin lieber schöne Intros und Demos machte, wollte raus aus der Illegalität. So kam es nach und nach zur Abspaltung der Demo- von der Crackerszene. Mit dem Siegeszug des Internets geriet das Crackerintro zunehmend in Vergessenheit. Cracking-Webseiten bieten nun kleine Patch-Programme zu einzelnen Spielen an, die die notwendigen Änderungen am Kopierschutz vornehmen.
Doch auch die neuesten Veröffentlichungen aus der inzwischen rund 25 Jahre bestehenden Demoszene findet man längst im Netz. Demos gibt es für nahezu alle irgendwie computerähnlichen Systeme, die etwas auf einem Display darstellen können. Der inzwischen 30 Jahre alte Commodore 64 zum Beispiel ist als Demoplattform immer noch sehr beliebt. Grund dafür sind die Grenzen, die dem Demo-Macher von der Hardware gesetzt werden. Wer unter solchen Verhältnissen ansprechende Demos zustande bringt, ist in der Szene hoch angesehen. Weshalb es bei den Wettbewerben, die die Szene mehrmals im Jahr im Rahmen von Demo-Partys veranstaltet, zum Teil beschränkende Vorgaben gibt.
So wurden für moderne PCs in den letzten Jahren Hollywood-reife, minutenlange Demos realisiert, die mit 64 Kilobyte Programmcode gerade einmal so groß sind wie ein leeres Word-Dokument. Im PC-Bereich gewinnt aber der Kunstaspekt mehr und mehr an Bedeutung unter den Szenern. Mach jüngere Demo-Gruppe legt vor allem Wert auf künstlerischen Ausdruck und behandelt das Ausreizen der Technik nachrangig. In jedem Fall darf man gespannt sein, was diese Kunstform noch hervorbringt.
Daniel Botz doziert an der Ludwig-Maximilians-Universität München Mediengestaltung und Medienästhetik. Als Fan der Szene, der selbst einmal Musikstücke für Amiga-Demos bastelte, promovierte er 2008 über Computerdemos. Damit verfasste er die erste deutschsprachige wissenschaftliche Arbeit auf diesem Gebiet. Im September 2011 erschien sein Buch „Kunst, Code und Maschine“, das wesentlich auf dieser Dissertation basiert. Es gibt einen detaillierten Überblick über Demos und die Szene. Botz war bereit, das Phänomen in einem Interview zu erklären.
Text und Interview: Arne Tyarks
Bild oben und unten rechts: Grafiker Håkon ‚Archmage‘ Repstad (aus der C64-Demo „Artillery“ von Shape)
Bilder mittig: C64-Demo „Edge Of Disgrace“ von Booze Design
Weiter zum Interview auf Seite 2 >>>
Leser-Interaktionen