Er konnte sich nicht erklären, woher dieser Wein kam; nur die Diener, die das Wasser gebracht hatten, wussten es. Er rief den Bräutigam und sagte zu ihm: „Jeder andere bietet seinen Gästen zuerst den besseren Wein an, und wenn sie dann reichlich getrunken haben, den weniger guten. Du aber hast den besseren Wein bis zum Schluss zurückbehalten!“
Lieber Patrick,
an diese Worte aus der Bibel1 fühlte ich mich erinnert, als ich dein Buch „Ich habe eine Axt“ las. Den Großteil des Buchs fand ich recht dünn, aber deine letzten beiden Kurzgeschichten richtig stark. So richtig stark. So wie ein Holzfäller mit einer scharfen Axt das Holz spaltet. Nur mit Worten und so. Doch der Reihe nach.Ich habe dein Buch über einen Zeitraum von mehreren Wochen gelesen, mal morgens, mal abends, mal im Zug, mal auf der Couch – und jedes Mal unterschiedlich gut gelaunt. Das macht eine Bewertung eines Buches natürlich doppelt schwierig, da ich unter anderen Umständen manches sicher anders bewertet hätte. Aber nun gut, so ist das nun mal.
Lass uns mit meinem Fazit beginnen, damit der gelangweilte Leser anschließend von Dannen ziehen kann. Bei Facebook warten schließlich bereits neue sinnlose Inhalten auf ihn. Deine Sammlung an 33 Kurzgeschichten2 auf 222 Seiten wird erst gegen Ende immer besser.3 Genauer gesagt gefallen mir deine letzten beiden Kurzgeschichten „Armut als Chance“ und „Menschen! Menschen! Menschen“ sehr gut – und der Rest eher weniger gut.4. Denn seien wir mal ehrlich: Bis S. 210 war das Ganze größtenteils platte Unterhaltung in sprachlich anspruchsvollem ansprechendem Gewand. Mehr aber auch nicht. In einem Satz? Gekonnt unterhalten, aber viel verschenkt.
Zwischenzeitlich wollte ich schon aufhören, dein Buch zu lesen und schreiben:
Poetry Slam in schriftlicher Form? Das funktioniert nicht, zumindest nicht bei Patrick Salmen. Für mich fühlt sich das Lesen seiner Kurzgeschichten an wie eine emotionale E-Mail: die eine Hälfte der Emotionen geht verloren und die andere Hälfte wird falsch verstanden. Erst, wenn man die Texte spricht, werden sie lebendig. Mein Fazit lautet daher: Schenkt euch das Buch und schaut ihn euch live an. Dann habt ihr garantiert mehr Spaß dabei und könnt gemeinsam mit den anderen lachen anstatt allein dazusitzen und zu überlegen, ob das jetzt witzig sein soll oder wann es denn endlich besser wird.
Bis auf Rostrotkupferbraunfastbronze (genial – love it!)5 waren die Kurzgeschichten so mittelprächtig. Mal prächtiger, mal mittelmäßiger. Aber von einem „deutschen Meister im Poetry Slam“ hätte ich da schon etwas mehr erwartet. Denn im Großen und Ganzen bedienen sich deine Geschichten lediglich zwei Stilmitteln:
- Übertreibung
- Selbstverarschung
Das Ganze garniert mit jeder Menge gedanklicher Abschweifungen. Alles irgendwie witzig und ganz nett, aber nach 210 Seiten auch bereits bekannt und somit ausgenudelt.
Was mich bei alledem stört, ist die vermutlich starke Vermischung von Wahrheit und Fantasie. Vieles liest sich, als sei es wirklich so passiert – bis es plötzlich doch etwas too much und damit unglaubwürdig wirkt. Und das ist schade, denn unnötige Unwahrheiten nehmen deinen ansonsten überwiegend gelungenen Zeilen die Kraft. Beispiel S. 197 (Hervorhebungen vom Redakteur, Anm.):
Allerdings haben beide keinen Wikipedia-Eintrag und somit keinerlei kulturhistorische Relevanz. Ich gehe so weit zu behaupten, dass Dinge, Lebewesen und abstrakte Gedanken ohne Wikipedia-Eintrag schlichtweg nicht existieren.
…
Einziger Erfinder dieser beiden Ausdrücke ist und bleibt Patrick Salmen, der zwar auch über keinerlei kulturhistorische Relevanz, dafür aber immerhin über ein sehr freches Mundwerk verfügt.
Ein kurzer Wikipedia-Check offenbart, dass du deiner eigenen Definition nach sehr wohl über kulturhistorische Relevanz in Form eines eigenen Wikipedia-Artikels verfügst – und das schon seit 2012. Ich verstehe, dass es bei den Menschen gut ankommt, wenn man Witze über sich selbst (anstatt andere) macht. Aber bei solchen Aussagen wirkt das auf mich nicht witzig, sondern unglaubwürdig.
Dabei hast du das gar nicht nötig, weil du es sprachlich definitiv drauf hast und mit deiner Wortakrobatik durchaus zu begeistern weißt. Und wenn ich mir mal einen Auftritt von dir anschaue, bin ich mir sicher, dass ich ganz viel lachen muss und dich sehr sympathisch finden werde. Aber bis dahin würde es mich freuen, wenn du Fiktion und Realität nicht so stark miteinander vermischen würdest. Und bis dahin bleibst du für mich der gemütliche Käpt’n Blaukuschelbär – und nicht etwa der zarte harte Mann mit der Axt.
PS: Da du ja so ein Fan frecher Naseweise bist, hier noch ein Hinweis auf ein „h“ zu viel auf S. 29 (raues statt rauhes) und ein Buchstabendreher auf S. 47: „Aber aufgrund der Tatsache, dass andere Menschen noch komischere Vögel sind, hab ich mich irgendwann für ihn entscheiden.“ KKKKKRRRAAAWWWUMMMM.
Patrick Salmen, „Ich habe eine Axt – Urlaub in den Misantropen“, Knaur TB, 1. April 2014, 224 Seiten, 8,99 Euro, ISBN: 978-3-426-51558-7
Womit Patrick Salmen mich zum Lachen brachte
- Johannes 2,1-11 ↵
- Mein interner Notendurchschnitt liegt bei irgendwas zwischen 2,5 und 3,0 (bei 23 von 33 benoteten Kurzgeschichten). ↵
- Was auch daran liegen kann, dass ich die zweite Hälfte am Stück und mich somit in einen Sprachrausch gelesen habe. ↵
- Die letzten beiden Geschichten gehen über banale Alltagsunterhaltung hinaus und erinnern mehr an anspruchsvolles Kabarett. ↵
- Und gleichzeitig der Grund, wieso ich mir das Buch überhaupt geholt habe. ↵
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