Wenn Traditionalisten das E-Book kritisieren, lautet ein Argument stets: “Ich vermisse die Haptik des gedruckten Buches”. “Hab dich nicht so”, antworten dann Digital Natives meist, und schütteln eher mitleidig den Kopf über so viel Technikfeindlichkeit.
Doch Scientific American fragt jetzt in einem Artikel wohl zurecht: “Warum arbeiten wir eigentlich so hart daran, den Lesevorgang auf neuen Geräten wie Tablets oder E-Readern der Leseerfahrung mit dem sehr alten Medium Papier so ähnlich wie möglich zu machen?” Wahrscheinlich, so die Vermutung, weil Lesen auf Papier doch einige Vorteile gegenüber elektronischer Lektüre haben könnte.
Problem: Räumliche Orientierung in der Textlandschaft
Manche Dinge liegen auf der Hand – natürlich ist trotz Touch-Screen-Technologie eine Buchseite “greifbarer” als eine virtuelle Seite auf dem Tablet- oder E-Reader-Display. Auch der Unterschied zwischen einem dicken Wälzer und einem dünnen Heftchen ist elektronisch kaum feststellbar, der Reader wiegt befüllt mit Tolstois “Krieg und Frieden” genau soviel wie mit einer Kurzgeschichte von Hemingway. Wirklich problematisch wird es jedoch bei der “räumlichen” Orientierung in der Textlandschaft: “Das implizite Gefühl dafür, wo man sich in einem physisch vorhandenen Buch befindet, scheint wichtiger zu sein, als wir es bisher wahrhaben wollten. (…) Dieses Problem haben die E-Book-Hersteller bisher vernachlässigt”, zitiert Scientific American die Forscherin Abigail Sellen (Microsoft Research Cambridge), Koautorin des vielsagenden Titels “The Myth of the Paperless Office.”
Scientific American zufolge hat das mit den mentalen Tricks zu tun, die unser Gehirn zur “Textverarbeitung” anwendet: “Wenn wir lesen, konstruieren wir eine mentale Repräsentation des Textes, die Bedeutung und Struktur miteinander verbindet. Wie genau das funktioniert ist unklar, doch diese Repräsentationen gleichen ‘mental maps’, die wir uns von unserer Umgebung machen, als etwa Bergen oder Wegen, und von hergestellten Räumen wie Wohnungen oder Büros. Studien zeigen, dass die Leute sich bei dem Versuch, eine Textinformation wiederzufinden oft an die Stelle im Text erinnern, an der sie aufgetaucht ist.”
Vertiefende Lektüre besser auf Papier?
Gerade bei längeren Texten haben Probanden in der Vergangenheit oft Probleme gehabt, sich in elektronischen Versionen so intuitiv zu orientieren wie auf Papier, was sich auch auf das Textverständnis und die Erinnerungleistung auswirkt. Die häufig geäußerte Präferenz für Papier scheint aber auch mit der Ablenkung durch zuviel Bling-Bling auf dem Bildschirm zusammenhängen: “Weil der Verzicht auf Multifunktions-Screens die Konzentration verbessert, sagen die Leute immer wieder, dass sie für die vertiefende Lektüre lieber auf die Papierversion eines Textes zurückgreifen”.
Wirklich einig sind sich die Forscher jedoch nicht mehr, seit dem die Displaytechnologie immer weiter voranschreitet – spätestens seit Beginn der Neunziger Jahre gibt es widersprüchliche Erkenntnisse. Selbst viele “aktuellere” Studien, die Scientific American zitiert, stammen zudem aus der Zeit vor 2005. Zu diesem Zeitpunkt existierten weder E-Ink-Lesegeräte noch Tablets wie das iPad. Von den allerneuesten Glowlight-E-Ink- oder Retina-Displays mal ganz zu schweigen. Ein Blick auf die von Scientific American zitierten wissenschaftlichen Artikel zeigt sogar: Bei vielen Leseexperimenten wurden bis vor kurzem noch PC-Bildschirme genutzt, eine Umgebung, die mit “natürlichem” Leseverhalten ohnehin nur sehr wenig zu tun hat.
Aktuelle Lesestudien sehen E-Paper vorne
Wohl nicht ganz zufällig sehen die Ergebnisse von aktuellen Lesestudien, die mit Mobilgeräten aus den Jahren 2010ff. durchgeführt wurden, deutlich anders aus. So fanden etwa die Forscher der Uni Mainz heraus, dass Senioren mit Tablets sogar besser lesen können als mit gedruckten Büchern (diese auch auf englisch publizierte Studie wird allerdings vom Scientific American nicht erwähnt). In manchen Fällen scheinen sich also schon jetzt die Vor- und Nachteile des elektronischen Lesens mehr als auszugleichen. Gut möglich, dass also bald doch ein eindeutiger Sieger im Kampf Papier vs. Display feststeht – sobald Kindle Paperwhite und iPad 5 auch die Labore der Forscher erreicht haben.
Dieser Artikel von Ansgar Warner ist zuerst auf E-Book-News erschienen.
Fabian meint
Mh, also ich weiß ja nicht ob der Erfolg im Kampf „Papier vs.Display“ tatsächlich nur von wissenschaftlichen Studien abhängt. Die ließt doch eh kein Mensch. Und ganz sicher wird davon nicht abhängen, ob sich E-Reader durchsetzen.
Ich sehe 3 Dinge, die die Verbreitung von E-Readern m. E. nach hemmen:
1. Der Preis der E-Books. E-Books sind (zumindest in D) nicht wesentlich billiger als die gedruckten Versionen. Als Beispiel von der aktuellen Bestseller-Liste: „Er ist wieder da“. Die schöne, gebundene Version kostet 19,33 Euro, das E-Book 14,99 Euro. Für eine Datei! Bei digitalen Gütern ist es nun einmal so, dass man eigentlich nicht wirklich das Gefühl des „Besitzens“ hat, wenn es nur irgendwo auf einem Speichermedium schlummert, müsste der Preis sich doch ganz ordentlich unterscheiden, um E-Books richtig attraktiv zu machen.
2. Bücher sind nicht nur zum lesen da – sondern, zumindest in meinem Haushalt und in vielen, vielen anderen (in denen ich bisher war ;-) sind Bücher auch wichtige „Deko-Artikel“. Was wäre ein Arbeitszimmer ohne Bücherregal? Ich freue mich immer, wenn ich ein Buch ausgelesen habe, es zu den anderen ins Regal zu stellen.
3. Das bezieht sich vor allem auf Bücher, die ich mit Gewinn lesen will (nicht nur Fachliteratur, sondern auch z. B. populäre Sachbücher): Ich muss markieren können! Ich muss mit dem Buch arbeiten können! Das geht bei E-Books (bislang) nur sehr beschränkt. Das markieren von Texten ist umständlich, dauert viel Länger als mit einem Bleistift/Textmarker, ich kann (keine) „Randnotizen“ machen (zumindest nicht so einfach). Sprich: E-Reader kann ich mir gut vorstellen, um Romane oder sonstige einfache Literatur, an der mir am Ende nicht viel liegt, zu lesen. Alles, was ich einigermaßen ernsthaft Lese, muss ich „wirklich“ in der Hand nehmen können. Nicht aus haptischen, sondern aus „arbeitstechnischen“ Gründen.
Punkt 1 und 3 werden sich vielleicht künftig ändern oder durch technische Fortschritte bessern (wobei: bei dem unter 3. Erwähnten kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass es technisch jemals an das „Feeling“ der „Handarbeit“ rankommt). Meine Regale werden jedenfalls weiter auch mit Büchern gefüllt. Es sei denn, irgendwer entwickelt eine LCD-Tapete, die sich automatisch mit einem E-Reader synchronisiert und ein Regal an der Wand simuliert. (Oh, das kommt bestimmt! Technisch ist das sicher schon möglich ;-)) aber nein, auch das wäre nicht das gleiche… Es lebe das Buch!
Kelaja meint
Ich muss sagen, dass ich den Punkt 3 ähnlich sehe wie du. Ich habe mein Bachelorarbeit komplett am PC geschrieben, d.h. alle Markierungen usw. habe ich direkt im PDF dokument gemacht. Aber inzwschen (bei meiner letzten Seminararbeit und aktuell bei der Masterarbeit bin ich doch auf das Papier umgestiegen. Markierungen gehen schneller, ich kann Dinge dazu schreiben usw.
Gleichzeitig verbrauche ich jedoch auch viel mehr Papier, was ich eigentl. schade finde. Aber praktischer ist es alle mal =)
Torsten meint
ich kann Fabian nur beipflichten (die Idee mit der synchronisierenden LCD Tapete finde ich übrigens klasse :D). Mein Hauptgrund gegen einen eBook Reader ist, dass ich gelesene Bücher nicht weiterverkaufen kann. Oder gebrauchte (wegen des Preises) kaufen kann. Wären die Kaufkosten viel niedriger, wäre das Argument dann auch quasi egal.
So schleppe ich in den Urlaub halt auch wieder 3 Bücher mit; Platz dafür hatte ich bisher aber dann doch immer
JUICEDaniel meint
Passt zwar nicht ganz dazu, aber habe gerade etwas Interessantes gelesen:
Und:
Quelle: Punkt, Komma, Strich: Was Journalisten vom Social Web lernen können
la pequena meint
Fabian hat recht, was mir an E-Books aber auch nicht gefällt ist, dass ich sie nicht tauschen kann. Ich lese viel und tausche viele Bücher mit Freundinnen und kaufe gern auch gebrauchte Bücher.