In Zeiten steigender Spritpreise nehmen immer mehr junge Leute die Dienste von Mitfahrzentralen in Anspruch. Doch wer bei Fremden ins Auto steigt, weiß nie, an wen er gerät. Warum gehen so viele Jugendliche dieses Risiko ein?
Eine junge Frau, Mitte 20 und kurz vor der Promotion in Medizin. Knappe sechs Stunden hat Johanna Warda gerade mit ihr verbracht. Und das auf engstem Raum. Warda hat die Darmstädterin durch eine Mitfahrzentrale im Internet kennengelernt und im Auto nach Berlin mitgenommen. Am Zoo verabschiedet sich die neue Bekanntschaft, bezahlt und steigt aus. „Wir haben nicht viel geredet“, sagt Warda. „Aber auf eine angenehme Art, würde ich sagen.“
Dass es jedes Mal so reibungslos läuft, dafür gibt es keine Garantie. Und trotzdem melden sich immer mehr junge Leute bei den gängigen Plattformen an. Was tun, wenn der Fahrer Verkehrsregeln missachtet, in einer Tour raucht oder obszöne Anspielungen macht? Was, wenn der Mitgenommene kein Deo besitzt oder bei der Ankunft plötzlich einen niedrigeren Preis für angemessen hält, als ausgemacht? Meist bleibt dem Betroffenen nichts anderes übrig, als die Situation stillschweigend hinzunehmen. Denn in Zeiten, in denen der Liter Benzin mitunter 1,70 Euro kostet, lässt sich durch Fahrgemeinschaften viel Geld sparen.
Auch Johanna Warda ist sich der Gefahren bewusst. Gerade als Mädchen habe sie in fremden Autos ein mulmiges Gefühl gehabt, berichtet sie. „Es passiert eben alles aufs eigene Risiko hin.“ Bei anderen steige sie deshalb auch nur selten ein. Leute mitzunehmen, bezeichnet die 20-Jährige hingegen als „absolute Win-Win-Situation“.
Für ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Kindertagesstätte zog Warda mit ihrem Freund Henri Shabani nach Berlin – weg von ihrer Familie im odenwäldischen Klein-Bieberau. Mitfahrzentralen ermöglichen es ihr, einmal im Monat übers Wochenende nach Hause zu pendeln. Bei jeder Fahrt nimmt das Paar zwei bis drei Leute mit, die im Gegenzug die Benzinkosten tragen. „Wir bezahlen nämlich so gut wie nichts!“, erzählt die Jugendliche. Manchmal würden sie sogar Gewinn machen. „Ich habe ein recht mickriges Gehalt und bin echt auf die Mitfahrer angewiesen, wenn ich meine Familie ab und zu mal sehen will. Ohne Mitfahrer wäre das unbezahlbar!“
Neben dem großen finanziellen Vorteil gefalle ihr, so Warda, dass man auf die unterschiedlichsten Leute treffe. „Wir hatten schon Fahrten, bei denen wir nur Hallo und Tschüss gesagt haben, was ich aber nicht unangenehm oder komisch finde. Es war noch nie jemand unverschämt.“ Ein Nachteil von Mitfahrzentralen sei das Risiko, dass man immer an jemand Unzuverlässigen geraten könne, der zum Beispiel nicht auftaucht. „Das hatten wir aber bisher noch nie!“, betont Warda.
„Es ist wichtig, von A nach B zu kommen. Doch wie – das ist mittlerweile unwichtig“, sagt Benjamin Kirschner, Gründer der Mitfahrzentrale flinc. Immer weniger Jugendliche besäßen heutzutage noch einen Führerschein. „Dann gibt es viele, die einen haben, sich aber kein Auto kaufen.“ Dennoch bedeute Mobilität Freiheit. Mitfahrzentralen würden daher mit Sicherheit eine immer größere Rolle spielen. „In Deutschland gibt es 165 Millionen Autofahrten am Tag. Doch in den Autos sitzen durchschnittlich nur 1,1 Personen.“ Das sei viel zu wenig, betont der Experte. Doch vor allem die steigenden Benzinpreise würden für ein Umdenken in der Bevölkerung sorgen. Laut Kirschner wuchs die Zahl der flinc-Nutzer im März um 25 Prozent.
Damit niemand während der Fahrt im fremden Auto eine böse Überraschung erleben muss, arbeiten die Betreiber von Mitfahrzentralen an neuen Konzepten. Das sogenannte „Social Ridesharing“ etwa verbindet Mitfahrzentrale und Soziales Netzwerk. Jeder Nutzer muss sich ein Profil anlegen. Kommentar- und Bewertungsfunktionen helfen dabei, unzuverlässige Leute zu meiden. „Dass die Technologie immer besser wird, ist ein großer Vorteil für uns“, sagt Kirschner.
Ferdinand Dudenhöffer, Professor für Automobilwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen, betrachtet die aktuellen Trends hingegen mit Skepsis. Studien, die besagen, das eigene Auto habe in Deutschland als Statussymbol ausgedient, entgegnet er: „Einen wirklichen Trend sehe ich hier nicht.“ Dass weniger Leute einen Führerschein haben, könne ab und zu vorkommen. „Als 20-Jähriger ohne Führerschein ist man aber gehandicapt“, betont der Professor. Vor allem auf dem Land seien Autos weiterhin unverzichtbar. In Großstädten wie Berlin könne man schon eher auf ein eigenes Fahrzeug verzichten. Doch eine Sache werde sich nie ändern: „Wenn man einem Jugendlichen einen Ferrari-Schlüssel in die Hand drückt, bekommt der immer noch glänzende Augen.“
Einen Sportwagen besitzt Cora Werwitzke nicht. Ihr Auto ist klein, blau und hat bereits einige Jahre auf dem Buckel. Dies habe sie bisher davon abgehalten, andere Leute mitzunehmen, berichtet die 27-Jährige. Für Kurztrips greife sie hingegen gerne auf Mitfahrgelegenheiten zurück.
„Klar, ein Restrisiko bleibt immer. Doch es ist noch nie etwas passiert“, sagt Werwitzke. Einmal habe ihr Fahrer sogar eine halbe Stunde auf sie gewartet, als sie nicht rechtzeitig am vereinbarten Treffpunkt erschienen sei. „Es war für ihn total ausgeschlossen, dass ich nicht komme.“ Ihr absolutes Highlight sei jedoch die Fahrt in einem gelben Käfer gewesen. „Die Fenster gingen nach außen auf und alle haben uns angehupt. Das war echt ein Erlebnis.“
Meistens fährt die Langenerin per Mitfahrgelegenheit nach Paris – dort lebt ein Teil ihrer Freunde. Seit die Journalistin die Mitfahrzentralen für sich entdeckt hat, reist sie an verlängerten Wochenenden oft nach Frankreich. „Das Geld, das man spart, macht viel aus“, erklärt sie. „Und wenn man dann noch mit den Leuten auf einer Wellenlänge ist, ist das ein riesen Vorteil.“
Dies kann Johanna Warda nur bestätigen: Die 20-Jährige ist heute mit einer Berlinerin befreundet, die einst als völlig unbekannte Mitfahrerin bei ihr ins Auto stieg.
Kelaja meint
Ich muss sagen, dass ich auf der Strecke Köln-Basel sowohl positive als auch negative Erfahrungen gemacht habe. Es gab teilweise wirklich gute, tiefgehende Gespräche, teilweise aber auch Leute, die kein Wort geredet haben. Mal lief das Gespräch plätschernd vor sich hin. Und natürlich gab es auch seltsame Mitfahrer. Einen Parapsychologen, der sich mit allen Weltreligionen beschäftigt hatte, aber immer fand, dass es nicht das Wahre sei. Hippies, die von ihren Fahrten erzählten, wo sie mit anderen Mitfahrern rumgeknutscht hatten, um sich die Zeit zu vertreiben. Von 15 h Fahrten im Schneechaos habe ich gehört und von Leuten, die auf ihrer ersten Fahrt direkt in einen Unfall verwickelt wurden. Oder auch die Geschichte die eine Fahrerin meiner Frau mal erlebte, als zwei Mitfahrer vor dem Schweizer Zoll erwähnt, dass sie Gras dabei hätten und ob es okay sei, wenn sie es schmuggeln würden, oder es lieber vorher rauchen sollten (was sie an der nächsten Raststätte dann auch taten). Alles das und noch viel mehr habe ich in zwei Jahren regelmäßiger Fahrten erfahren. Insgesamt waren die Erfahrungen größtenteils positiv, auch wenn einige negative Erinnerungen bleiben werden. Personen, die 10 Minuten vorher absagen. Personen die nicht mehr erreichbar sind und nicht mal reagieren und man selbst so 20 Minuten wartet und doch niemand kommt…
Mein Auto selbst hat auch schon weit über 10 Jahre auf dem Buckel aber es fährt immer noch sehr zuverlässig und bietet sogar erstaunlich viel Platz im Kofferraum. Aber auch wenn wir schon zu fünft unterwegs waren, gebe ich doch meist nur 2-3 freie Plätze an, da es sonst doch sehr eng wird. Aber bis jetzt hat immer alles reingepasst.
Huge meint
Eigentlich finde ich Bahnfahren viel komfortabler, nutze aber des Geldes wegen auch sehr oft Mitfahrgelegenheiten und habe damit eigentlich nur gute Erfahrungen gemacht. Bis auf einen sehr unfreundlichen Fahrer bin ich immer an nette Leute geraten, auch wenn ich nicht der Typ bin, der die Fahrt durch reden will, und auch bzgl. Treffen oder Bezahlung gab es nie Schwierigkeiten.
JUICEDaniel meint
Ich habe auf meinen Fahrten von Frankfurt nach Berlin (und zurück) sowie später von Frankfurt nach Bonn (und zurück) eigentlich durchweg(!) positive Erfahrungen gemacht. So typisch Mitfahrgelegenheit ist es, wenn man sich darüber unterhält, was man bei der Mitfahrgelegenheit alles schon erlebt hat.
In letzter Zeit jedoch hatte ich den Eindruck, dass die Teilnehmer von Mitfahrgelegenheit tendenziell das immer mehr aus Routine nutzen und wenig Lust mehr haben, andere kennenzulernen. Das finde ich sehr schade. Auf den letzten Fahrten war es meist ruhig, nur wenige Gespräche. Wobei ich selbst oft genug dann doch noch ein Gespräch mit einem Mitfahrer oder dem Fahrer angefangen habe…
Was mich jedoch deutlich mehr stört, sind die organisierten Mitfahrten. Von Bonn nach Berlin etwa hatte ich das kurz vor Weihnachten erlebt – und das war so richtig ätzend. Statt einem Thomas kann ein Machmud – und der musste dann plötzlich auch noch ganz dringend zwei Stunden früher abfahren, also um 07 Uhr. Na toll. Dann gab’s nonstop arabische Musik (jedem das Seine, aber das Meine ist es absolut nicht!) und ein Kleinbus statt komfortablen Mercedes-Auto, wie ursprünglich im Internet angegeben. Er erzählte mir dann, dass er von einem anderen Typen immer angerufen wird, Fahrten zu machen. Und zwar täglich. In ganz Deutschland. Ärgerlich. Denn dann muss man eigentlich ein Gewerbe anmelden, was diese Leute natürlich nicht gemacht haben.
Das Krasse: Auf der Rückfahrt von Berlin nach Bonn gab es NUR(!) solche Angeboten. Fahrten, die täglich angeboten werden (welcher normale Mensch bitte fährt täglich(!) von Bonn nach Berlin und zurück?). Als Kontaktperson stand jedes Mal ein typisch deutsch klingender Name (Thomas Dose oder so) – der bei einem kurzen Google-Check jedoch nicht auftauchte. Und von anderen habe ich gehört, dass sowas auf vielen Routen (vor allem wohl Karlsruhe-Frankfurt) an der Tagesordnung sei. Die meisten nehmen das einfach so hin, zucken nur müde mit den Achseln. Hauptsache billig. Das ärgert mich.
Kelaja meint
Genau die gleiche Geschichte mit den Arabern hat mein ehemaliger Mitbewohner auch erlebt. Er ist mal an so jemanden geraten und hat beim nächsten Mal darauf geachtet einen deutschen Fahrer zu wählen und hatte dann auch eine nette Frau am Telefon. Dann kam er in Köln an den Bahnhof und der SELBER Fahrer vom letzten Mal kam wieder. Und fragt ob er nach HD wolle. Er meinte dass er schon nach Heidelberg wolle, aber dass er mit einer Susanne Müller verabredet sei. UN der Fahrer meinte, dass er Susanne Müller sei, dass er aber das Handy an die Frau gegeben habe…
So etwas ist einfach nur dreist und wenn ich es recht weiß, ist er dann auch nicht mit gefahren, da er für die Strecke Köln-Heidelberg statt 3 Stunden fast 5 gebraucht hat mit allen Umwegen über Frankfurt und andere kleine Dörfer…
Torsten meint
als ich vor über 10 Jahren das erste Mal die Mitfahrzentrale als Mitfahrer nutzen wollte, wurde ich direkt versetzt: die Fahrerin ist nicht augetaucht und einfach nicht mehr ans Telefon gegangen! Zum Glück hatten meine Freunde mitgewartet und haben mich zum Flughafen gebracht (München-Köln). Hat mich aber nicht abgehalten, weiterhin die MFZ zu nutzen. Übrigens kann man dort auch den Fahrer/Mitfahrer bewerten! Macht bloß nie jemand, frag mich warum…
Als Fahrer hab ich durchweg gute Erfahrungen gemacht; Geld sollte man sich übrigens vor Antritt geben lassen, dann gibt’s auch keine bösen Überraschungen :)