Die Geburt meines Sohnes hat mein Leben völlig verändert. Schlafrhythmus, Tagesablauf, Papa-Sein: Alles richtet sich nach ihm, geschlafen und gearbeitet wird nur sporadisch zwischendurch und an Freizeit ist gar nicht erst zu denken. Doch so anstrengend das Vatersein auch jetzt schon ist – ich würde mich direkt wieder in dieses Abenteuer stürzen.
In der ersten Woche zuhause habe ich keine Zeit, um schon wieder das Leben zu hinterfragen. Neben dem Kind – das schreit, schläft, schreit, isst oder auch nicht, getragen wird, ausgewickelt wird, eingewickelt wird, schreit, schläft, schreit – geben sich auch viele andere größte Mühe, eine anhaltende Ruhe von den frischgebackenen Eltern fern zu halten. All jene, die nicht schon im Krankenhaus zu Besuch waren, kommen jetzt zum Beschnuppern. Wir freuen uns über die Visiten, denn ganz von der Außenwelt abgeschottet zu sein und nur von der Zwei-Zimmer-Wohnung im 3. Obergeschoss aus auf Neuköllns graue Winterszenen zu schauen, ist auch nicht das Feinste.
Ich nehme an, dass die meisten damit irgendwelche Erwartungen erfüllen oder ihrer Pflicht als Freunde nachkommen wollen. So geht es mir zumindest immer – in letzter Zeit ist schon so manches Pärchen zu Eltern geworden. Viel lieber wäre ich aber zu einem späteren Zeitpunkt in gelassenerer Runde gekommen, da es doch meistens eine komische Situation ist. Das Kind lässt sich nicht vom Besuch beeindrucken und plärrt in schrillem Ton nach Muttermilch. Die Mutter liegt im Bett, von den Strapazen der Geburt und dem Rund-um-die-Uhr-Wachsein sichtlich gezeichnet. Sie stillt natürlich, was bleibt ihr auch anderes übrig. In unserer Wohnung herrscht eine gemütliche Unordnung und ich bin sowieso– im Gegensatz zu meiner Frau, die auch in dieser Situation gerne noch zum Abendessen einlädt – nicht so ausdauernd, was Besuchszeiten angeht. Zwischendurch klingelt das Telefon und jemand aus der Schwiegerfamilie, dessen Name ich zwar schon einmal gehört habe, aber kein Gesicht dazu finde, gratuliert uns. Man will wissen, wie lang und schwer das Baby denn war – was mir ziemlich sonstwo vorbei geht. Mal ehrlich: Was spielt das denn für eine Rolle? „Mein Kind, ja, ein Prachtkerl! Schwere Geburt, aber ein toller Bursche! Wie, eurer nur 53 Zentimeter lang? Unserer 56! 3750 Gramm! Jep.“ Vielleicht hat die Hebamme auch nur das Maßband falsch angesetzt. Wenn das die Substanz dessen ist, was wir über unsere Kinder zu teilen haben, die gerade das Licht der Welt erblickt haben, dann enthalte ich mich gerne. Auch reagiere ich manchmal gereizt auf den alltäglichen Besuch der Hebamme, obwohl dieser sicherlich seine Berechtigung hat und meiner Frau auf jeden Fall hilft.
Bitte nicht falsch verstehen: Das alles ist zugleich auch eine tolle Zeit. Es gibt viel Ruhe, denn man hat eine Pauschalentschuldigung, nichts zu tun und sich als Familie zu entdecken. Man schläft, wann man kann, genießt es, alles andere auszublenden und sein Neugeborenes zu beobachten. Und das ist eine überwältigende Angelegenheit. Da ist jetzt dieses Kind, das sich Platz verschafft in unserer Welt. Ein Wesen, das so selbstsüchtig ist, wie es nur irgendwie sein kann, das wir aber lieben, ohne einen Grund dafür finden zu können. Ein neuer Mensch, der irgendwann Ähnlichkeiten mit uns haben wird. Vielleicht die Nase, bestimmt die Augen (die bieten einen riesigen Spielraum für Interpretationen), die Haare, wenn man auch jetzt noch kaum welche ausmachen kann. Und dann wird er vieles nachmachen. Er wird von uns lernen. Wie wir reden, wie wir lachen oder lauter dumme Sachen machen. An den Fingernägeln kauen, die kritische Falte zwischen den Augen entwickeln, Treppen nie laufen, sondern immer rennen. Den vollen Umfang dieser Lebensveränderung können wir noch gar nicht fassen. Aber jede dieser Kleinigkeiten eröffnet uns einen neuen Blick in die Zukunft, die jetzt schon so anders erscheint, als noch vor einem Jahr.
Da meine Frau sich noch nicht unnötig bewegen soll und Erholung braucht, übernehme ich so oft wie möglich. Es gibt die Dinge, wie das Stillen, die der Mutter natürlicherweise zustehen. Auch scheint der Kleine eine engere Bindung zu ihr zu haben. Bei ihr beruhigt er sich schneller, bei ihr schläft er schneller ein. Mir bleibt da unter anderem das Wickeln, was mir keine große Freude bereitet. Freunde, die schon vor uns ein Kind bekommen haben, meinten zwar, dass das bei den Kleinen nicht komisch riecht, bekommen sie doch nur Muttermilch. Süßlich soll es sein. Ich finde da wurde doch etwas zu viel romantisiert. Was da in der Windel landet, riecht zwar nicht nach Scheiße (entschuldigt, aber jetzt wurde lang genug um den heißen Brei herumgeredet), aber es stinkt nichtsdestotrotz! Da braucht man nicht so zu tun, als sei Windel wechseln eine süße Angelegenheit. Auch muss der Nabelrest sauber gehalten werden. Trotzdem entzündet sich dieser und schmoddert wochenlang vor sich hin – und hier schiebe ich die Schuld auf alternative Wässerchen, die wir statt der gebräuchlichen Alkohollösung auftragen sollten. Diese ganzen Kügelchen und Pellets und Heubäder, Wald und Wiesentränke und Druidenmischungen… Da platzt mir gleich mal der Kragen bei all dem Mist.
Wenn der Kleine nicht gerade gestillt werden muss – was doch sehr häufig der Fall ist – trage ich ihn durch die Wohnung, bringe meiner Frau die Kohlblätter zum kühlen aus dem Kühlschrank und lasse sie schlafen, muss sie doch alle paar Stunden zum Stillen aufwachen, ob Tag oder Nacht. Anfangs weiß ich noch nicht, wie ich mit diesem so zerbrechlich wirkenden Bündel umgehen soll. Alles ist so klein. Beim Anziehen, oder besser beim Einwickeln, versuche ich an nichts zu stark zu ziehen – habt ihr mal so ein Ärmchen gehalten? Und an diesem Ärmchen sind noch Fingerchen, kleine Erbsen, die nach mir greifen. Doch man lernt schnell. Nach wenigen Tagen ist ihn zu tragen so natürlich wie den Fußball unterm Arm. Das Wickeln ist auch nur noch Routine und wenig später hat man sich auch an den Rhythmus, der gar kein Rhythmus ist, gewöhnt. Läuft.
Zwischendurch versuche ich dann doch ein wenig zu arbeiten. Jetzt, wo ich mit dem Studium fertig bin und mich als Selbstständiger durchschlage, geht das von zuhause. Da landet der schlafende, knurrende Knirps schon mal auf dem Schreibtisch, während ich E-Mails beantworte.
Noch stellt er keine Fragen. Aber ich kann nun doch nicht anders, als sie mir selbst zu stellen. Es wird wohl, zum Glück, auch noch ein wenig Zeit ins Land gehen, bevor ich meine Ahnungslosigkeit über so vieles im Leben mit banalen Antworten vertuschen muss. Bevor ich nebenher mal schnell die Fakten googele und später einwerfe, um der beste Vater der Welt zu bleiben. Bevor ich Rede und Antwort stehen muss. Bevor ein Kind, unschuldig und ahnungslos, mich in Frage stellt. Papa weiß alles, das weiß jeder. Interessant dennoch, jetzt anscheinend am Wendepunkt dieser Gewissheit angekommen zu sein. Sicherlich, man wird erwachsen, man wird älter, lernt dazu, man lässt sich bilden und bildet sich irgendwann so einiges ein. Doch der Papa-weiß-alles-Baum, der als Kind gepflanzt wurde, wuchs zwischenzeitlich unbeachtet weiter. Bis heute ist er ein so wuchtiges Gebilde geworden, dass ich kaum daran zweifeln kann. Dieser Mythos, so erwachsen ich auch geworden bin (oder eben auch nicht), steht fest verwurzelt, tief in meinem Kopf. Jetzt, wo dieses Bündel auf meinem Schreibtisch liegt, regungslos und mit geschlossenen Augen, schlägt es mein Denken wie ein Hebel um. Ich bin nicht stolz darauf, denn letztendlich ist es eigennützig und nichtig, doch bisher hat das Streben nach Glück mein Leben definiert. Es war sogar einer der Gründe, warum ich Vater werden wollte. Jetzt bin ich tatsächlich Vater. Und ich weiß Nichts von den wichtigen Dingen im Leben. Da liegt er nun und brüllt mir ins Gesicht: „Papa, woher komme ich? Papa, warum bin ich hier? Papa, du musst mir zeigen, wo es lang geht!“ Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, mein Streben wird von nun an seinem Glück gelten.
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