Mit guten Geschichten will das Non-Profit-Magazin FROH! die Welt ein kleines bisschen besser machen. Der aktuellen Ausgabe gelingt das mühelos – mit bewegenden Erzählungen über Grenzen aller Art.
Grenzen existieren nur in unseren Köpfen, heißt es. Auch John Lennon plädierte schon dafür, sie einfach abzuschaffen: „Imagine there’s no countries“, sang er 1971. Wie lassen sich also Grenzen überschreiten, überwinden, vergessen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die elfte Ausgabe des Non-Profit-Magazins FROH! – und zwar so, wie FROH! das immer macht: behutsam und tiefgründig, ohne erhobenem Zeigefinger oder vorgespielte Intellektualität, dafür mit guten Geschichten, die zum Nachdenken und Hinterfragen anregen.
FROH! ist das, wofür der Begriff „Schreibware“ erfunden wurde. Ein 194 Seiten dicker Schinken von einem Magazin, vollgestopft mit Buchstaben, schwarz auf weiß, im sterilen Schreibmaschinenlook. Manche Artikel kommen mit einer minimalistischen Bebilderung aus, andere sogar ganz ohne Foto. Tatsächlich stört das beim Lesen kein bisschen. Weil die Texte so sehr fesseln, dass man gar keinen Gedanken daran verschwendet, wie schlicht eigentlich dieses Blatt Papier gehalten ist, über das die Augen gerade wandern. Und weil die Geschichten, allesamt der leicht verschütt gegangenen Gattung des literarischen Journalismus entsprungen, so lebhaft sind, dass sie genügend Bilder im Kopf erzeugen. Dazu kommt, und das gibt es wirklich nicht alle Tage, dass sämtliche Artikel mithilfe einer Art sehr großzügiger Fußnoten auch auf Englisch angeboten werden.
Das alles ist auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftig, beim näheren Hinsehen fallen jedoch zwei Dinge auf: FROH! ist anders. Und: Es ist FROH! ziemlich schnuppe, dass es anders ist. „Wir glauben, dass gute Geschichten eine Gesellschaft verändern können“, lautet das ebenfalls nicht kleinlaute Selbstverständnis der FROH!-Macher, die ihr Magazin mithilfe eines gemeinnützigen Vereins finanzieren. So viel Mut gefällt.
Gute Geschichten gibt es in der neusten Ausgabe der FROH! zuhauf. Das Titelthema heißt nicht „Grenzen“, sondern „Transit“ – vielleicht, weil das eben auch auf Englisch funktioniert. Grenzen sind jedoch das alles bestimmende Thema: Ländergrenzen, Grenzen in unseren Köpfen, Grenzen zwischen mir und dem, was ich nicht kenne. Ein Autor findet Gefallen an der Quantenphysik („Ich liebe es, Bücher zu lesen, die ich nicht verstehe“), ein anderer macht eine Grenzerfahrung im wahrsten Sinne des Wortes durch: Wie überlebt man einen 15-Stunden-Flug rund um den Globus mit einjährigen Zwillingen auf dem Schoß? („Die Last, die Frodo mit dem Ring trug, kam mir im Vergleich zu meinem eigenen Leid harmlos vor.“)
Eher ernüchternd ist der Bericht aus einem Flughafengefängnis in Berlin-Schönefeld, das zwar einen Garten mit Rutsche und einen Aufenthaltsraum mit „Mensch ärgere dich nicht“ hat, aber nur zu dem Zweck eingerichtet wurde, dass Flüchtlinge, die es irgendwie per Flieger in die Hauptstadt geschafft haben, gar nicht erst deutschen Boden betreten. Und somit leicht wieder abgeschoben werden können.
Ein echtes Must-Read wartet dann noch auf den hinteren Seiten von FROH!, als der Autor Christoph Schwyzer am Beispiel einer Zugfahrt von Luzern nach Oberkirch aus dem Leben mit seinem Sohn Jakob erzählt, der eine geistige Behinderung hat. Große Freude über etwas so Banales wie einen ICE, der endlich losrollt. Großes Interesse an einer völlig fremden Mitfahrerin („Welche Farbe hat dein Kopfkissen?“). Große Trauer, als die Zugfahrt schließlich vorbei ist. Vater und Sohn lassen Ländergrenzen hinter sich und brechen dabei Alltagsgrenzen auf – das geht ans Herz.
All diese Geschichten sind obgleich der nicht ganz einfachen Thematik ziemlich unterhaltsam und kurzweilig, trotz seiner großen Masse an Text geht FROH! daher als leicht bekömmliches Magazin für die Mittagspause durch. Das liegt auch an den namhaften Autoren: Schriftsteller, Professoren und Journalisten wie „Zeit“-Redakteur Henning Sußebach oder die langjährige „Zeit“-Auslandskorrespondentin Charlotte Wiedemann haben zur aktuellen Ausgabe beigetragen. So viel Qualität hat dann auch ihren Preis, 15 Euro kostet FROH!. Möglicherweise braucht es einen Schuss Idealismus, um sie sich zu leisten. Wer jedoch auf Journalismus steht, der den Horizont erweitert, für den ist das gut investiertes Geld.
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