500 Millionen Einwohner binnen weniger Jahre: Damit wäre Facebook das drittgrößte Land der Welt. Die Ausmaße des Internetriesen sind schier grenzenlos. Doch welche Auswirkung hat das auf unser Leben, welchen Einfluss auf unsere Gesellschaft? Daniel und Debora diskutieren über das Soziale Netzwerk.
Daniel: Nachdem ich 2009 in kurzer Zeit meinen 90. Freund auf Facebook gesammelt hatte, habe ich mich abgemeldet. Mir erschien das alles zu oberflächlich. Negativer Höhepunkt für mich waren die vielen Möglichkeiten, dort Zeit zu verschwenden. Wenn ich etwa lese, dass mein Freund ein Quiz ausgefüllt hat, das ihm beantwortet, welche Pizza er sei, dann ist das schon frustrierend. Warum bist du noch auf Facebook?
Debora: Facebook ermöglicht mir, den Kontakt mit meinen Freunden im Ausland zu erhalten. Seltsamerweise beantworten sie eher eine Facebook-Nachricht als eine E-Mail. Dabei frage ich mich natürlich immer, warum das so ist. Vielleicht, weil Facebook-Nachrichten kürzer sind? Heutzutage soll ja alles schneller sein und wird dabei leider oft oberflächlich. Auch wenn ich mir dieser Tendenz sehr bewusst bin, möchte ich meine Freundschaften im Ausland nicht dafür opfern. Die unzähligen Quiz und Spiele ignoriere ich inzwischen. Ich muss ja nicht alles nutzen, was Facebook mir anbietet, sondern kann selbst auswählen.
Daniel: Aber ich kann nicht mehr auswählen, wie ich den Kontakt zu meinen Freunden halte. Wer einmal im Ausland war, kommt nicht mehr an Facebook vorbei. Nachdem ich mich abgemeldet hatte, habe ich tatsächlich den Kontakt zu einigen Freunden verloren. Das war anfangs nicht sehr schön, aber mittlerweile habe ich zwar weniger Freunde, zu denen aber einen engeren Kontakt. Ich bekomme wieder mehr – meist sehr persönliche – E-Mails, was mir viel bedeutet. Außerdem sehe ich schnell, wer wirklich an mir interessiert ist. Bei Facebook hingegen habe ich permanent das Gefühl, dass die Nutzer dort immer öfter vorbei schauen, um ja nichts zu verpassen und noch mehr Inhalte veröffentlichen, um aufzufallen. Eine Aufmerksamkeitsfalle?
Debora: Auf einige trifft das ganz sicher zu. Es stört mich auch, dass sich viel zu viele auf Facebook permanent emotional ausziehen. Deswegen finde ich es wichtig, den eigenen Umgang mit Facebook zu reflektieren. Es ist schon so, dass Freundschaften und soziale Beziehungen durch Facebook eine andere Dimension bekommen, zumindest besteht diese Gefahr. Aber das ist kein Argument gegen Facebook an sich, sondern kritisiert lediglich den Umgang damit. Und für den ist immer noch jeder Nutzer selbst verantwortlich. Genauso wie eine Facebook-Nachricht kann auch eine E-Mail oberflächlich sein. Die Tiefe einer Freundschaft muss nicht durch das Medium bestimmt werden.
Seit sechs Jahren ist Facebook nun online, und der Wachstum ungebrochen. Der Anstieg von 300 auf 400 Millionen Facebook-Nutzer dauerte gerade einmal fünf Monate. Im März dieses Jahres hatte Facebook in den USA erstmals mehr Besucher als bisheriger Spitzenreiter Google, mittlerweile liegt der Marktanteil von Facebook.com nach Angaben des US-Datensammlers Experian Hitwise bei über neun Prozent. Unter den Top 10-Suchbegriffen ist „facebook“ viermal vertreten, darunter mit Abstand auf den ersten beiden Plätzen.
Bereits im Mai dieses Jahres verbrachten Facebook-Mitglieder jeden Monat über 500 Milliarden Minuten auf der Plattform. Das sind über 20 Stunden pro Mitglied – Tendenz stark steigend.
Facebook will das neue Internet werden. Denn alle unsere Internetaktivitäten sollen künftig auch auf Facebook möglich sein – inklusive Spiele, Nachrichten und Suchmaschine. Viele sprechen heute schon vom Kampf der vier großen Global Player Microsoft, Apple, Google und neuerdings eben auch Facebook. Da die interne Suche von Facebook derzeit stark zunimmt, scheint Google als größter Verlierer aus dem Wettkampf hervorgehen.
Mit vielen weiteren Funktionen will Gründer Mark Zuckerberg, der die Idee für Facebook angeblich von seinen Kommilitonen geklaut haben soll, die Verweildauer auf seinem Netzwerk weiter ausbauen. Dazu zählen etwa eine erweiterte Mailfunktion mit eigener Facebook-Mailadresse, eine eCommerce-Plattform mit internen Bezahlmöglichkeiten, Geolocation-Dienste mit exakter Standortbestimmung der Nutzer. Auch ein Online-Office ähnlich wie Googles „Text und Tabellen“ und sogenannte Community-Pages mit Wikipedia-Inhalten und eigenen Texten der Nutzer sind in Planung. Dazu kommt laut Informatiker Christoph Kappes ein „vollpersonalisierter Nachrichtenstrom durch die Kombination aus ‚Gefällt mir‘-Wertungen, ‚Shared Links‘ und strukturierten Interessen sozialen Graphen sowie den entsprechenden Aktivitäten der ‚Freunde‘“.
Daniel: Neben der – so empfinde ich es zumindest – zunehmenden Oberflächlichkeit an Freundschaften („Wir haben online so viele Freunde, dass wir ein neues Wort für die echten brauchen“) war für mich vor allem der undurchsichtige bis nicht vorhandene Datenschutz ein klarer Grund, mich von Facebook abzumelden. Facebook kennt meine Interessen, meine Freunde, mein Surfverhalten – und scheut sich nicht davor, diese Daten an Partner weiterzugeben. Schreckt dich das nicht ab?
Debora: Das ist ein Punkt, den ich selbst auch als grenzwertig ansehe und der für mich ein starkes Argument wäre, mich von Facebook abzumelden. Bisher war es mir wichtiger, den Kontakt zu meinen Freunden im Ausland zu erhalten. Natürlich versuche ich, so wenige Daten wie möglich über mich preiszugeben. Mir ist aber auch bewusst, dass nicht nur die Daten gespeichert werden, die ich von mir angebe. Und deswegen würde ich mir nochmal Gedanken darüber machen, welche Konsequenzen das für mich konkret hat.
Daniel: Was ich mich dabei frage: Warum scheint das sonst kaum jemanden zu stören? Wissen die meisten das alles nicht oder kümmert es sie nicht weiter? Provokant gefragt: Was muss noch alles passieren, damit die Nutzer endlich mal reagieren? Ich schätze, dass sich auch nach diesem Artikel niemand abmelden wird. Viele winken gelangweilt ab und wollen davon nichts wissen. Ein hoffnungsloser Fall?
Debora: Schwer zu sagen, es betrifft mich ja auch selbst. Ich denke, dass sich die Wenigsten bewusst sind, welche Nachteile und möglichen Konsequenzen das hat. Ich selbst habe durch die Recherche für diesen Artikel vieles erfahren, was ich vorher nicht wusste und was mich nachdenklich gestimmt hat. Für Viele ist die Gefahr wohl zu surreal, nicht greifbar genug, als dass sie sie dazu bewegen könnte, etwas so Unterhaltsames wie Facebook aufzugeben. Auch ich finde es schwierig zu unterscheiden, was Panikmache und was reale Gefahr ist. Das ist momentan schwer abzuschätzen.
Daniel: Für mich ist das ein wichtiger Faktor: Wenn ich nicht genau weiß, was mit meinen Daten passiert – und das weiß ich schon heute nicht –, dann entscheide ich mich im Zweifelsfall lieber dagegen und gehe auf Nummer sicher. Die meisten sehen nur, dass es momentan nicht weh tut, sondern im Gegenteil sogar Spaß macht, Daten von sich preiszugeben. Doch schon heute sind diese Daten im Besitz von Facebook und dessen Partner, die ich nicht kenne und die Datenschutz als überholt ansehen.
Debora: Zugegeben, was mich damals sehr abgeschreckt hat, waren die unwiderruflichen Nutzungsrechte Facebooks an allen veröffentlichten Daten, Fotos und Videos – die sogar nach Löschung meines Accounts weiter bestehen. Leider liest man sich zu selten die Geschäftsbedingungen durch. Und wer sich die „privacy policy“ von Facebook durchlesen will, hat einiges vor sich: Mit 5.830 Wörtern sind die Datenschutzrichtlinien länger als die Verfassung der Vereinigten Staaten mit 4.543 Wörtern. Die Nutzer können die Privatsphäre an 50 Stellen verändern und haben dabei über 170 Optionen – wer soll da noch durchblicken?
Daniel: Trotzdem sollten sich die Nutzer mit den unzähligen Optionen befassen – allein schon, um es den Hackern nicht so leicht zu machen. Erst vor vier Monaten hat ein Hacker 1,5 Millionen Facebook-Konten zum Verkauf angeboten – inklusive den Passwörtern. Die Folgen davon können verheerend sein: So werden etwa gefälschte Links über Facebook an ahnungslose Freunde verschickt, die zu manipulierten Webseiten statt zu den angegebenen Videos führen. Eine weitere Gefahr ist die Ortsangabe auf Facebook, die durch Geolocation-Dienste noch präziser wird. Je mehr Mitglieder Zugriff auf das Profil haben, desto mehr wissen über den anstehenden Urlaub oder die neueste Luxusanschaffung Bescheid – ein gefundenes Fressen für Diebe und Einbrecher. Die ironisch gemeinte Webseite pleaserobme.com hat eine Zeit lang öffentliche Statusänderungen nach Urlaubsangaben gefiltert und fein säuberlich aufgelistet, um auf den Leichtsinn der Nutzer aufmerksam zu machen.
Auf dem f8-Gipfel (engl. „fate“, dt. „Schicksal“) im April dieses Jahres präsentierten Mark Zuckerberg und Co. die Zukunft des Sozialen Netzwerkes oder besser gesagt des gesamten Internets, das zunehmend ineinander verschmilzt. Hilfreich dabei ist der sogenannte „Open Graph“, mit dem man Inhalte von Facebook auf externen Webseiten anzeigen kann und umgekehrt. So war während der Fußball-Weltmeisterschaft ein öffentlicher Chat neben den Spielen im Livestream auf ard.de integriert – an dem jedoch nur Facebook-Mitglieder aktiv teilnehmen konnten. Durch den „Open Graph“ ist auch die Möglichkeit neu dazugekommen, den „Like“-Button auf andere Webseiten einzubinden. Dadurch sammelt Facebook ab sofort eine Menge zusätzlicher personenbezogener Daten. Da kann selbst die „Datenkrake Google“ nicht mehr mithalten.
„Durch die Verknüpfungen mit anderen Nutzern, Inhalten, Mails, Seiten, Anwendungen und anderem ist die faktische Bindung der Nutzer an die Plattform so hoch, dass Facebook als Marktführer eine kaum angreifbare Stellung erreicht“, schreibt Christoph Kappes auf dem Weblog carta.info. Der Blogger Carsten Drees von „Basic Thinking“ bringt es auf den Punkt: „Fakt ist (…), dass Facebook möchte, dass absolut alles und absolut jeder miteinander vernetzt wird – und dass der Schlüssel dazu Facebook heißt.“ Offen hingegen lasse Gründer Mark Zuckerberg die Fragen nach unserer Sicherheit im Netz und den Auswirkungen auf unser Leben, „denn Facebook möchte nicht ein x-beliebiges, austauschbares Netzwerk sein, Facebook möchte unser komplettes Leben mit all seinen Facetten abbilden“, so Drees.
Debora: Wenn ich beobachte, in welche Richtung sich Facebook entwickelt – nämlich zum Monopolisten aller Informationen unseres persönlichen Lebens im Web und weit darüber hinaus –, dann fühle ich mich gar nicht wohl dabei. Daher hoffe ich auf einen gesunden Wettbewerb seitens der Anbieter und auf einen bewussteren Umgang mit den eigenen Daten seitens der Nutzer.
Daniel: Ich selbst werde weiterhin abgemeldet bleiben und hoffe, dass ich das auch in ein paar Jahren noch kann. Denn leider nehmen die Zwänge immer mehr zu, sich in der digitalen Welt miteinander zu vernetzen – ohne auch nur einmal an die möglichen Folgen zu denken, die das mit sich bringen könnte. Noch haben wir die Möglichkeit, diese Entwicklung zu beeinflussen; das sehe ich als unsere zentrale Verantwortung im Internet. Auch ich plädiere daher für einen bewussteren Umgang mit unseren Daten im Netz.
Zuerst erschienen in: Medienmagazin pro 4/2010 (Webseite)
David B meint
Danke für den gut recherchierten Artikel!
Hat mich bei meiner Entscheidung Facebook nicht beizutreten bestärkt.
Wir werden sehen, wies in einigen Jahren aussieht…
Andi meint
Hi
ich habe mich auch von Facebook abgemeldet.
Ich hab viel zu viel Zeit darin verbracht. Das ist wie so ein Störgeräusch, dass plötzlich aufhört. Aufjedenfall werden die sinnlosen Kontakte deutlich weniger und die, die mir wirklich etwas bedeuten intensivieren sich, da ich mich nun nicht mehr mit ihnen über Facebook etc. unterhalte sondern übers Telefon oder auch mal im echten Leben ^^
gruß Andi
bastj meint
Super Artikel, regt zum Nachdenken an.
Ich vertrete da eher den Standpunkt von Debora, d.h. ich nutze facebook wohlüberlegt und dosiert und ziehe die Vorteile heraus, die ich persönlich haben möchte.
So veröffentliche ich so gut wie nie eine Statusmeldung, like nur Seiten, die ich WIRKLICH mag und das so auch offen jedem gegenüber zugeben würde, stelle keine Bilder online, spiele keine Spiele und überprüfe regelmäßig meien Privatsphäre-Einstellungen (meistens sind Inhalte „Nur für mich“ sichtbar).
Ich nutze Facebook also primär, um im Kontakt mit Freunden zu bleiben und für mich wichtige Informationen (v.a. bezüglich meines Studiums durch Kommilitonen) zu erhalten.
Doch trotz all dieser Vorsicht gibt es natürlich auch von mir indirekt durch Freunde die Gefahr, dass sensiblere Daten preisgegeben werden – ich ärgere mich über jede Verlinkung auf einem Bild, die ohne meine Zustimmung erfolgt ist.
Auch der mittlerweile häufige Zwang, sich nur über ein Facebook-Konto bei anderen Diensten/Seiten etc. anmelden zu können bereitet mir Sorge – jedoch muss ich zugeben, das auch oft zu tun, da mir die jeweiligen Anwendungen dann auch nicht sicherer vorkommen.
FAZIT: Gäbe es eine sicherere, transparentere Alternative, die nutzbar ist und vergleichbar bequem, würde ich gerne umsteigen. Im Moment jedoch will ich mein Konto noch nicht löschen.