[Ein Gastartikel unseres Sponsors Lebenskarriere.com]
Im Effekt wird immer mehr Arbeit unproduktiv. Man kann bei vielen Jobs nicht mehr wirklich erkennen, welche Bedürfnisse sie befriedigen. Arbeit wird also auch leer in dem Sinne, dass sie nichts mehr mit Produktion zu tun hat.
Eine steile These. Ist es möglich, dass viele Jobs heute effektiv mehr aus dem Anschein von Arbeit als der eigentlichen Arbeit selbst bestehen? Und kann es sein, dass es für Arbeitnehmer anstrengender und belastender ist, diesen Schein zu wahren, als ihrer Arbeit nachzugehen?
Roland Paulsen, schwedischer Schriftsteller und Soziologie an der Universität Uppsala und der School of Business der Universität Lund, beantwortet diese Fragen mit einem Ja. Im Interview mit der Wirtschaftswoche – aus dem auch das Eingangszitat stammt – fasst er die Thesen aus seinem Buch „Empty Labour: Idleness and Workplace Resistance“ zusammen.
Nach dutzenden ausgewerteten Studien und Umfragen ist Paulsen davon überzeugt: In immer mehr Jobs gehört Nichtstun zum Arbeitsalltag. Das klingt möglicherweise kontraintuitiv, beklagen doch einer imap-Umfrage zufolge mehr als 70 Prozent aller Arbeitnehmer den enormen Leistungsdruck und Stress, unter dem sie jeden Tag stehen.
Was wie ein Widerspruch klingt, ist laut Roland Paulsen jedoch gar keiner. Denn:
Es kommt darauf an, wie die unsere Arbeit messen und bewerten. Diesen Verfahren zu entsprechen, ist entscheidender, als objektiv etwas zu leisten.
Zwar hat die tatsächliche Arbeitsleistung meist schon noch einen gewissen Bezug zur Bewertung, doch in vielen Unternehmen ist es für Mitarbeiter überlebenswichtig, Aktivität vorzutäuschen.
Ehrliche und offene Worte können den Job kosten
Wer diese Spiel nicht mitspielt und seinem Chef offen sagt, wie wenig Zeit er für seine Arbeit wirklich braucht, riskiert damit nicht selten seinen Job. Paulsen nennt in seinem Buch verschiedene Beispiele von Arbeitnehmern, die aufgrund ehrlichen Feedbacks ihren Job verloren haben oder denen die Arbeitszeit reduziert wurde.
Nicht nur in Deutschland gelten Anwesenheitszeit, Aktivität und scheinbare Hektik nach wie vor als Zeichen von Bedeutung und Produktivität. Alte Gewohnheiten und Deutungsmuster sterben leider nur sehr langsam.
Doch dieses langsame Sterben kommt nicht nur der Wirtschaft, sondern vor allem den Menschen teuer zu stehen. Während die Produktivität in den letzten zwei Jahrzehenten enorm gestiegen ist, nimmt die Zahl der stressbedingten und psychischen Erkrankungen in einem erschreckenden Maße zu.
Studien zeigen, dass sich die Zahl der psychischen Erkrankungen in den letzten Jahrzehnten mehr als verfünffacht hat und heute die zweithäufigste Diagnosegruppe für Krankschreibungen uns Arbeitsausfälle darstellen. Mit einer durchschnittlichen Krankheitsdauer von mehr als 40 Tagen und geschätzten Gesamtkosten von über 10 Milliarden Euro pro Jahr stellen psychische Erkrankungen damit einen enormen wirtschaftlichen Faktor dar.
So beeindruckend oder erschreckend diese Zahlen auch sein mögen: Es sind die menschlichen Schicksale hinter ihnen, die den wachsenden Druck der modernen Arbeitswelt wirklich tragisch machen.
Der von Roland Paulsen erkannte und thematisierte Leerlauf könnte – würden sich Politik, Arbeitgeber und Gesellschaft aus althergebrachte Denkmustern lösen – ein Schlüssel zur Reduzierung dieses Drucks sein.
Wenn Arbeit weniger Zeit wird, bleibt mehr Zeit für die Menschen
Die zunehmenden Leerlaufzeiten in vielen Berufen haben einen Grund, auf den Roland Paulsen in seiner Arbeit ebenfalls eingeht: Immer mehr Jobs können heute von Maschinen übernommen und automatisiert werden.
Wer jetzt zuerst an Arbeiten am Fließband denkt, irrt damit gewaltig. Johannes Kleske zeigte dies bereits in seinem Talk auf der republica 2013 „Das Ende der Arbeit: Werden Maschinen unsere Jobs übernehmen“ Immer mehr intellektuell anspruchsvolle Aufgaben werden bereits heute – und in Zukunft noch stärker – von Algorithmen und Computern erfüllt werden können.
Erwerbsarbeit wird in den kommenden Jahrzehnten nicht mehr für alle Menschen ausreichen, schon gar nicht, um damit den Lebensunterhalt zu bestreiten. Diese Ansicht vertritt auch Thomas Reis, studierter Jurist und Autor des eBooks „Das Problem der Arbeitslosigkeit“.
Mit Thomas Reis habe ich bereits vor einiger Zeit im Sozialgespräch Podcast zum Thema „Soziale Gerechtigkeit in der Post-Arbeitsgesellschaft“ gesprochen. Eine seiner – für mich – markantesten Aussagen in diesem Interview ergänzt Roland Paulsens Arbeit hervorragend. Denn Thomas Reis sagt im Interview:
Die Frage ist: Was tun wir wenn wir tätig sind? Und wir können wir uns sinnvoll beschäftigen, wenn die Erwerbsarbeit weniger wird?
Sowohl Thomas Reis als auch Roland Paulsen sind sich einig: Die durch effizientere Prozesse gewonnene Zeit könnten Menschen nutzen, um das soziale Miteinander aktiver zu gestalten, Gespräche zu führen und sich sozial zu engagieren.
„Klingt gut, ist aber unrealistisch…“ mag der eine oder andere jetzt denken – und hat damit aktuell auch noch Recht. Denn so wünschenswert die Reduzierung der Arbeitszeit und die Umverteilung des Engagements in das soziale und menschliche Miteinander auch wäre: Wovon sollten Menschen, die diesen Weg gehen, denn leben?
Bedingungsloses Grundeinkommen als Folge der Empty Labour?
Das Modell des bedingungslosen Grundeinkommens könnte diese Umverteilung möglich machen. Mit diesem Modell ist in Deutschland ein Name eng verknüpft: Götz W. Werner, Gründer der DM-Drogeriekette und Autor des Buches „Einkommen für alle“.
Im Gesellschafter Podcast mit Tim Pritlove gibt Götz W. Werner einen Überblick über das Modell und die oft kritisierte Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens. Mein persönliches Fazit: Das Modell könnte funktionieren, würde jedoch einen grundlegenden Haltungs- und Mentalitätswandel in Politik und Gesellschaft nötig machen.
Dieser ist angesichts der wachsenden Empty Labour und der perspektivisch sinkenden Erwerbsarbeit ohnehin unumgänglich. Eher früher als später wird das bestehende Arbeits- und Sozialsystem an seine Grenzen stoße und auch durch noch so viele Gesetzte und Subventionen nicht mehr zu stützen sein.
Roland Paulsen, Thomas Reis, Götz W. Werner – sie alle sind sich in einem Punkt einig: Die Frage ist nicht, ob wir uns Gedanken um einen neuen Umgang mit Arbeit machen müssen, sondern wann.
Die gesellschaftliche Veränderung mag noch einige Jahre in der Zukunft liegen. Doch sie kann schneller vonstatten gehen, wenn sich mehr Menschen mit den Themen Empty Labour, soziale Gerechtigkeit und bedingungslosem Grundeinkommen befassen. Vielleicht weckt dieser Artikel beim einen oder anderen ja Interesse daran.
Thomas Reis meint
Dieses Buch scheint in der Tat einen wichtigen Punkt aufzugreifen. Hoffentlich wird es noch für die breitere Öffentlichkeit verfügbar gemacht.
Auch hier möchte ich noch einmal meine Freude ausdrücken, in diesem Zusammenhang Erwähnung zu finden. Der Redlichkeit halber sollte ich noch sagen, dass der erste Teil der Aussage, mit der Du mich zitierst, oruginal nicht von mir stammt, sondern dem Untertitel von Hannah Arendts Klassiker „Vita activa“ entlehnt ist.
Lukas S. meint
Ein bedingungsloses Grundeinkommen – wäre ja eine schöne Sache aber kann so etwas wirklich funktionieren? Auf jeden Fall hat dieser Artikel mein Interesse geweckt, ist ja schon mal ein Anfang.
Gruß Lukas
Faulenzender Arbeitsverweigerer meint
Arbeit ist die Religion des 21 Jahrhunderts, da geht es nicht darum ob diese Arbeit gut und sinnvoll ist sondern es geht darum die Rituale der Religion zu befolgen und zu glauben, und wer nicht glauben kann der muss wenigstens so tun als ob.
Denn Ungläubige werden von der Arbeitsreligion bestraft, wer nicht arbeiten will von Behörden sanktioniert und der Lebensgrundlage entzogen. Die Arbeitsreligion ist den ungläubigen gegenüber nicht toleranter als die Inquisition gegenüber den frühen Atheisten. Wer nicht arbeitet bekommt schnell Probleme mit den Religionswächtern vom Arbeitsamt welche den Rechten glauben zur Not eben auch erzwingen können.
Francis Bee meint
Es gibt sicherlich Tätigkeiten, bei denen stimmt: es braucht keinen Menschen mehr, der selbst daran Hand anlegt. Viele Maschinen übernehmen Arbeiten, aber eben nicht alle. Das in dem Video vorgetragene Beispiel eines Bäckers, ist sehr weit hergeholt. Die Zusammensetzung eines Brotes kann man maschinell erledigen – Menge und Mischverhältnis kann computergesteuert geregelt werden. Das Einfügen der Teigmasse kann sicherlich auch ein Roboter erledigen. Das Verteilen von Produkten funktioniert bisher nicht maschinell, sondern noch immer durch Menschen. Das wird sich auch bald verändernn und Menschen steuern nur noch. Ob Kinder dann noch wissen, wi man kocht, backt oder wo das Getreide für das Brot her kommt, lasse ich offen, weil es eine erzieherische und Lehrmaßnahme ist. Dennoch werden viele Aufgaben beim Menschen bleiben und es wird auch noch Bauern mit entsprechenden Höfen geben, in denen keine Maschine alle Aufgaben übernehmen. Wir gehören aber jetzt schon zu der Generation von Menschen, die kaum wissen, dass die Milch aus einem Lebewesen stammt und dieses Lebewesen eigentlich Hörner hat.
Mir macht diese Entwicklung Angst. Wir befördern uns damit selbst in ein handlungsunfähiges Aus. Es ist eine Sackgasse. Und dass wir immer mehr mit depressiven, PC-Zerstörten Burnout-Kandidaten zu tun haben, der Krankenstand so hoch wie nie ist, ist eine Folge dieser körperlichen und geistigen Bewegungslosigkeit und der Schnelligkeit der Zeit, die durch die Arbeitsübernahme von Maschinen entsteht.
Die gewonnene Freizeit haben wir uns gleichzeitig mit der Maschine Computer wieder zerstört. Es ist das immer Erreichbarsein, kommunikativ und informativ auf facebook und Co., immer up to date sein, das unsere Kreativität zerstört, die Nacht zum Tage macht und Schlaflosigkeit die Folge ist. Das macht krank, auch im Job: schneller, höher, weiter … manchmal geht es eben nicht mehr schneller, höher, weiter. Manchmal muss man langsam, kürzer und dafür qualitativ besser sein. Wellness ist keine Erfindung der Werbeindustrie, sondern ein Hilferuf des Körpers. Ein Verlangen nach Entspannung, Träumen und Selbsterfahrung…weit weg von Meschinen und Netzwerken.
Erkan meint
Guter Artikel, das ist ein wichtiges Thema. Ich denke, dass es kein bedingungsloses Grundeinkommen geben wird auch wenn die Leute laut einiger Umfragen trotzdem arbeiten gehen würden, was ja auch verständlich ist, denn auf Dauer würde es zu Hause langweilig werden. Aber wer bezahlt das ganze? Das bedingungslose Grundeinkommen würde ja entweder vom Staat oder von der Wirtschaft kommen und die haben kein Interesse daran ihren Einfluss und ihre Macht zu verlieren. Denn wenn jemand nicht mehr im Hamsterrad läuft kann dieser ja anfangen nachzudenken und ganz eigene Ideen entwickeln. Das Hamsterrad und die Abhängigkeit ist gewollt und wird nicht abgeschafft. Nur wenn eine Gesellschaft und die Mächtigen wirklich daran interessiert sind die Gesellschaft weiter zu entwickeln kann so ein Experiment wie das bedingungslose Grundeinkommen eingeführt werden. Auch wenn dies geschieht wäre es erstmal ein Experiment das auch scheitern kann. Im Falle des Scheiterns könnte dies so gedeutet werden, dass das bedingungslose Einkommen nicht funktioniert (wie bei der Demokratie, z.B. in Deutschland, später hat es funktioniert). Aber nur wenn man es immer wieder probiert und das Konzept im Laufe der Zeit weiter entwickelt kann das Konzept des bedingungslosen Einkommens Erfolg haben. Aber ohne den Versuch bleibt es nur eine Idee über die man gerne redet, während man sich weiter in seinem Hamsterrad bewegt.