Sänger, Akrobaten, Politiker und Models: In den vergangenen zehn Jahren haben die deutschen Fernsehsender so ziemlich alles gecastet. Oft waren dabei die Zuschauerzahlen richtig gut, allen voran beim Marktführer RTL. Doch die einstigen Erfolgsformate sind in der Gunst der Zuschauer abgerutscht, 2013 wird sich der Castingmarkt selbst reinigen.

“Aus Castingshow-Teilnehmern wird nach der Sendung sowieso nichts.” Das ist die einhellige Meinung von vielen Zuschauern solcher Formate. Doch man muss unterscheiden. Tatsächlich können einige Ex-Kandidaten später von ihrem kurzen Ruhm profitieren und sind zum Teil bis heute im Musik-Business aktiv. Aber den ganz großen, langfristigen Erfolg hat nie ein deutscher Künstler gehabt. Alle gecasteten Bands sind inzwischen in der Versenkung verschwunden oder haben sich aufgelöst. Die Solo-Künstler ebenso.
Den Fernsehsendern konnte das lange egal sein, die Zuschauerzahlen waren immer sehr gut. Die Marktanteile und Umsatz-Zahlen lagen auf einem starken Niveau. Doch im abgelaufenen Jahr 2012 hat ein großes Casting-Sterben eingesetzt, dessen Ausmaß wohl erst in den kommenden Monaten sichtbar wird.
Die Mutter aller Castingshows ist das erste große Opfer
Da wäre zum einen “Popstars” bei ProSieben, das sich mit der vergangenen zehnten Staffel ins Aus manövrierte. Die Mutter aller Castingshows erreichte im Sommer 2012 durchschnittlich nur 1,5 Millionen Zuschauer. Der Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen lag bei 10,6 Prozent. Dass es nicht unter die Marke von zehn Prozent ging, hat das Format nur dem relativ guten Start zu verdanken. Ab der fünften Folge holte die Sendung wochenlang nur noch einstellige Marktanteile, nicht einmal das Finale konnte sich spürbar aufrappeln.
“Popstars” hatte in der Vergangenheit immer mal wieder einige Durchhänger – so deutlich nach unten ging es bislang aber nie. Bei ProSieben werden sich die Senderchefs nun ganz genau überlegen, ob sie das Format überhaupt noch einmal zurück auf die Bildschirme zurückbringen wollen.
Auch “X Factor” steht vor dem Aus
Ähnlich sieht es derzeit bei der noch relativ neuen Castingshow “X Factor” aus. Die ersten zwei Staffeln lagen auf einem ordentlichen bis gutem Niveau, 2012 ging es dann aber steil bergab. Der Abwärtstrend während der Staffel zeigte deutlich nach unten und die Marktanteile lagen am Ende auf einem enttäuschenden Niveau. Noch will sich VOX nicht zur Zukunft seiner Castingshow äußern – eine Einstellung scheint aber nachvollziehbar. Sarah Connor hat bereits angekündigt, das sinkende Schiff vorzeitig zu verlassen.
Wie geht es mit “DSDS” weiter?
Interessant wird es sein, wie sich der neue Durchlauf von “Deutschland sucht den Superstar” schlagen wird. Die RTL-Sendung startete am vergangenen Samstag in die zehnte Staffel und will seine Zuschauerzahlen wieder steigern. Schon 2012 tat sich die Sendung schwer, an einstige Reichweiten und Marktanteile heranzukommen. Seitdem ist der gesamte Castingmarkt aber noch einmal ein Stück weit abgesackt. RTL setzt jedenfalls alles daran, um mit “DSDS” auf der Erfolgsspur zu bleiben. Es gibt ein neues Moderatorenduo und in der Jury sitzen mit Bill und Tom Kaulitz erstmals zwei echte Persönlichkeiten. Typen, die es auch mit einem Dieter Bohlen aufnehmen könnten.
Auch der Ablauf wurde etwas geändert. So gibt es keine Top-15-Show mehr und die Jury erhält mehr Einfluss auf die Kandidatenauswahl für die Mottoshows. Ob sich die ganzen Änderungen letztlich auszahlen, bleibt natürlich abzuwarten. Dass eine Umbesetzung in der Jury und auf dem Moderations-Posten nicht zwangsläufig zu steigendem Zuschauerinteresse führt, haben die Kölner schon leidvoll bei ihrem “Supertalent” erfahren.
Prominente Jury != Quotenanstieg
Dort holte sich der Marktführer werbewirksam Thomas Gottschalk an den Jury-Tisch und die ganze Nation sprach von Gottschalks neuem Job. “Das Supertalent” startete dann zwar gut, gab im Verlauf der Staffel aber immer mehr Zuschauer ab. Nach dem Finale mussten die Verantwortlichen ein ernüchterndes Fazit ziehen: Reichweiten und Marktanteile gingen spürbar zurück und die sichere Marktführerschaft war der Castingshow ebenfalls nicht mehr garantiert. Ausgerechnet zum Finale übertrumpfte “Schlag den Raab” den einstigen Quoten-Primus.
“Das Supertalent” wird wohl trotzdem in eine neue Staffel gehen. Die Quoten lagen schließlich noch immer über dem RTL-Senderschnitt. Außerdem hat man in Köln nichts anderes, was man stattdessen zeigen könnte. Wie die kommende Staffel aber aussehen wird ist noch unklar.
Einzig “The Voice” schwimmt gegen den Strom
Ausgelöst wurde der Niedergang der Castingshow-Ära interessanterweise von einer in jüngster Zeit oft gelobten Sendung: “The Voice”. Die allererste Folge der Show lief damals im direkten Duell gegen eine Sondersendung des “Supertalents” – und behielt die Oberhand. Die RTL-Show konnte danach nie wieder an die früheren Erfolge anknüfen. Für “Popstars”, “DSDS” & Co. ging es auch erst danach so richtig abwärts.
“The Voice” selbst hält sich aber nach wie vor mit guten Werten auf dem Markt. Für Sat.1 und ProSieben ist die Show ein Segen, vor allem während der Blind-Auditions. Über einen Makel kann man aber auch bei “The Voice” nicht hinwegsehen: Die Zuschauerzahlen zeigen im Verlauf der Staffel deutlich nach unten. Wie lange das Konzept mit den umgedrehten Jury-Sesseln zu Anfang der Staffel noch ziehen wird, ist natürlich ungewiss.
Auch die Modelshows verlieren
Fernab der Musik-Castings gibt es ebenfalls Beispiele die zeigen, dass die Ära der Castingshows sich langsam dem Ende neigt. “Germany’s Next Topmodel” zum Beispiel. Die siebte Staffel der Model-Suche erreichte knapp 400.000 Zuschauer weniger als der Durchlauf ein Jahr zuvor. Für Heidi Klums Sendung ging es lange nur in eine Richtung: nach oben. Auch das hat sich 2012 geändert. Mit durchschnittlich 15,9 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe schnitt das Format so schlecht wie noch nie ab.
Außerhalb von “Germany’s Next Topmodel” scheinen die deutschen Zuschauer überhaupt keine weiteren Model-Shows zu suchen. “Das perfekte Model” floppte bei VOX jedenfalls gnadenlos. Und auch Sat.1 hatte mit Bar Refaeli und “Million Dollar Shooting Star” kein sonderlich glückliches Händchen. Nach nur einer Folge um 20.15 Uhr und völlig desaströsen Quoten verbannten die Senderchefs das Format in die Nachtstunden, wo es dann unspektakulär zu Ende ging.
Überhaupt, Sat.1. Der derzeit angeschlagene Sender hatte noch nie viel Erfolg mit seinen Castingshows. Auch “The Winner Is”, ein Mix aus Game- und Castingshow, war ein Flop. Ebenso die Suche nach Musical-Darstellen in “Ich Tarzan, Du Jane!”. Diese entwickelte sich 2008 nicht nach den Wünschen der Senderchefs und blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Eigentlich ist Sat.1 nur “The Voice” geblieben – doch das muss man sich auch noch mit ProSieben teilen.
Auch international geht es abwärts
Doch nicht nur in Deutschland baut das Casting-Genre ab. Das Finale der gerade zu Ende gegangenen “X Factor”-Staffel in Großbritannien war das schwächste der vergangenen sieben Jahre. Und auch sonst musste sich die Castingshow einige Male dem Gegenprogramm geschlagen geben – früher war das undenkbar. In den USA zeigte FOX 2012 erst die zweite Staffel von “X Factor” – ebenfalls mit einem enttäuschenden Ergebnis. Die Castingshow von Simon Cowell kam bei den US-Zuschauern nie so gut an wie die Konkurrenz von “The Voice” & Co.
Und obwohl “American Idol” noch immer die Nummer eins beim Publikum ist, lässt sich auch hier ein deutlicher Abwärtstrend erkennen. Die Sender versuchen dann mit den immer gleichen Methoden, die Quoten wieder zu steigern: Mit Umbesetzungen in der Jury. Inzwischen sind sogar Weltstars wie Britney Spears, Mariah Carey und Christina Aguilera in den Casting-Jurys angekommen. Das treibt natürlich die Kosten dieser Shows in die Höhe. Und wenn die Zuschauer dann nicht entsprechend zur Sendung zurückfinden und die Reichweiten sogar noch weiter sinken, rechnet sich das irgendwann nicht mehr.
Für viele ist das alles Gejammere auf hohem Niveau. In manchen Fällen trifft das auch zu. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis die bislang noch sehr erfolgreichen Castingshows im Normalbereich der Quoten-Tabellen landen. Und dann wird die Diskussion um ihre Zukunft so richtig losgehen. Ute Biernat, Geschäftsführerin von Grundy Light Entertainment und damit verantwortlich für “DSDS”, “Das Supertalent” und “X Factor”, sieht das Casting-Genre noch lange nicht am Ende. Sie ist der Meinung, dass die Anzahl der Shows abnehmen wird, Casting als solches aber nie ganz verschwinden wird.
Bleibt nur die Frage, welches Format diese Selbstreinigung des Marktes überleben wird – und wie es dann aussehen wird.
Ich habe den ganzen Casting-Hype in der Tat noch nie verstanden. Danke für das Aufdröseln des langsamen Niedergangs, war interessant zu lesen! Die Frage wird auch sein: Welche Fernseh-Formate füllen die Sendeplätze dann, wenn die „Selbstreinigung“ des Casting-Markts abgeschlossen ist? „Scripted Reality“? Man darf gespannt sein. Wenn die Qualität des Fernsehens allerdings künftig noch weiter abnimmt, dann geht die Tendenz ganz sicher in eine Richtung: Zur Abschaffung des TV-Geräts.
als ob den Niedergang jemand interessiert. Ich hab diese Shows auf jeden Fall wirklich nicht angeschaut (will ja niemand gewesen sein)
@Fabian
man kann den Fernseher auch zum Fernsehen aus der Konserve aka DVD/BlueRay benutzen, also nicht gleich wegwerfen, das gute Ding ;)
@ Fabian: Gute Frage. Was „Scripted Reality“ anbelangt, hier ein lesenswerter Artikel: Warum ich nicht mehr fernsehe…
@ Torsten: Ich gestehe: Ich hab mal ein paar Folgen DSDS gesehen. Aber dann war ich auch froh als die Staffel vorbei war. Seitdem nie wieder. (War das mit Pietro und Sarah Engels – erinnert ihr euch noch?) Ach, und einmal „The Voice“ mit Xavier Naidoo & Co. Weil’s angeblich so viel besser/niveauvoller sein soll. Mich hat’s gelangweilt.
@Thorsten: Stimmt. Und ab und an kommen ja auch solche Dinge wie sehenswerte Spielfilme :-) Und nach der Einführung der „Haushaltsabgabe“ macht es zumindest finanziell eh keinen Unterschied mehr…