bento, ze.tt und byou – so heißen die drei neuen Nachrichtenseiten für Jugendliche und junge Erwachsene aus dem Hause Spiegel, Zeit und Bild. Eigentlich ist das ein erfreuliches Signal, da journalistische Experimente längst überfällig sind und Medieninnovationen dringender denn je benötigt werden. Umso mehr enttäuscht mich das Resultat – aus zwei Gründen.
Als ich neulich auf Twitter meine Zustimmung gegenüber zweier kritischer bento-Artikel zum Ausdruck brachte, bekam ich gleich ein paar erboste bis verwunderte E-Mails mit der Aufforderung, meine ablehnende Haltung gegenüber bento doch bitte gefälligst zu begründen. Aus Zeitgründen konnte ich dieser Bitte bislang nicht nachkommen. Und 140 Zeichen reichen dafür wahrlich nicht aus. Oder eigentlich doch, es reichen sogar 19 Zeichen: Ich brauch‘s nicht. So einfach ist das. Warum sollte ich das jetzt also gut finden müssen oder umgekehrt das nicht sagen dürfen? Ganz so einfach ist es aber natürlich nicht – daher möchte ich mich gerne im Folgenden um eine differenziertere Kritik bemühen.
In den E-Mails, die ich bekam, wurde mir zum einen vorgeworfen, ich hätte keine Argumente angeführt. Gleichzeitig wurden aber keine Argumente genannt, warum bento und Co. eben doch toll sind und ich mit meiner Einschätzung völlig daneben liege.
Zunächst einmal: Meine Hauptaussage ist nicht, dass bento scheiße ist – sondern dass ich es schlicht nicht brauche. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge.
Aber als ich den Kommentar von Miguel Robitzky las, dachte ich: „Oha, sehr gut getroffen.“ Und die Verärgerung einiger Kollegen über seinen Artikel zeigt mir, dass seine Kritik einen wunden – und somit vorhandenen – Punkt trifft. Ich empfinde seine Kritik als nachvollziehbar und berechtigt – und damit unheimlich wertvoll. Doch anstatt „vielen Dank für den Eye-Opener“ zu sagen, gibt’s nur Kritik an der Kritik, yeah. Schade um die verschenkte Gelegenheit.
Interessant an der ganzen Thematik sind für mich zwei Randaspekte:
- Ich habe bislang keinen positiven Artikel über bento und Co. gelesen. Mit Sicherheit gibt es die, aber in meiner Twitter- und Medium-Timeline sind sie noch nicht aufgetaucht oder ich habe sie übersehen. Mit Miguel Robitzky (geil geschrieben), Lorenz Matzat (kluge Gedanken) und Philip Steuer (konstruktiv-kritisch) hingegen sind mir gleich drei kritische Artikel begegnet.
- Von den Kritik-Kritikern habe ich im Gegenzug bislang keine Argumente gelesen, warum bento und Co. eben doch toll oder gar innovativ sind. Die würden mich wirklich mal interessieren (anstatt sich die ganze Zeit über die Kritik resp. Kritiker aufzuregen).
Insgesamt wirkt das auf mich, als hätte man die Befürchtung, (meine) kritischen Worte könnten irgendetwas kaputt machen. Keine Angst, liebe besorgte und verärgerte Leser: bento wird sich völlig unabhängig von meiner Kritik durchsetzen oder scheitern. Das ist so wie bei Til Schweiger-Filmen: Obwohl die Feuilletonisten und Filmkritiker seine Filme regelmäßig in der Luft zerreißen, sind sie bisweilen wahnsinnig erfolgreich. Und genauso wird es auch mit bento sein: Entweder die Leute brauchen, mögen und lieben es – oder eben nicht. Und da wird auch keine Kritik der Welt etwas daran ändern können.
Ich selbst brauche es eben nicht – aber vielleicht bin ich da ja der einzige… und dann ist doch alles gut. Kein Grund zur Panik also. (Ich finde sogar, dass bento und Co. dankbar für die Kritik sein sollten. Nicht nur, weil es vielleicht tatsächlich Punkte aufzeigt, die man verbessern könnte, sondern vor allem, weil es ihnen Aufmerksamkeit verschafft, die Leser somit davon erfahren, draufklicken und sich dann eine eigene Meinung bilden. Nur weil ein Miguel Robitzky sagt, dass er bento doof findet, heißt das noch lange nicht, dass sich alle seiner Meinung anschließen und sie unhinterfragt übernehmen. Ganz ehrlich? Solche unreflektierten Leser will man doch eh nicht. Außer vielleicht bei byou o_O.)
Bleiben mir noch vier Gedanken, die ich gerne mal offen loswerden würde:
1. Oberflächliche Einzelkritik in 60 Sekunden
- ze.tt: Was habt ihr euch eigentlich bei dem Namen gedacht? Und bei dem Logo? Und bei der Farbe Orange? Geht für mich gar nicht, sorry. #fail
- bento: Sehr schöner Name, wun-der-schöne(!) Webseite. Hat aus meiner Sicht schon allein deshalb am meisten Potenzial. #einwunderistgeschehenichlobe
- byou: Hilfe, ich bin alt. Aber wtf habt ihr keine eigene Website? Geht ja mal gar nicht. (Warum habt ihr dem Eigentümer nicht längst die Domain byou.de abgekauft??? Für Business Insider habt ihr doch auch Kohle, lieber Axel Springer Verlag.) #fail
2. Ich würde ja gerne mehr loben, aber…
Mich nerven diese chronischen Nörgler genauso wie euch. Diese Leute, denen nie etwas gut genug ist. Leute, die erst über mangelnde Innovation meckern und dann über die Innovation meckern. Leute, denen man es nie recht machen kann. Leute, die einfach um der Kritik Willen kritisieren. Kritiksüchtige Leute also.
WTF kritisierst du bento und Co. dann?, könntest du jetzt denken. Ganz einfach: Weil ich sie doch einfach gerne loben wollen würde. Ich würde ja gerne – aber ich kann nicht. Name und Design allein ist zu wenig. Entscheidend ist der Inhalt. Und hier stelle ich immer wieder fest: Ich brauche dieses zusätzliche Nachrichtenangebot nicht. Warum würde ich beispielsweise verkürzte Spiegel Online-Meldungen lesen wollen? Dann gehe ich doch lieber gleich zum „Original“. Zumal ich noch nie das Gefühl hatte, dass es im Netz zu wenig Nachrichtenangebote gibt.
Aber das ist doch voll innovativ, könntest du vielleicht noch anführen. Ach echt? Wo denn bitte schön? Ich sehe hier lediglich ein Mashup aus Vice, Neon und Buzzfeed. Mit der Möglichkeit, Native Ads auszuprobieren ohne den Ruf der Hauptseite zu beschmutzen, sollte das nach hinten losgehen. Aber Innovation? Sehe ich leider reichlich wenig. Und genau DAS ist es, was mich wirklich enttäuscht. Wie kann es sein, dass mit dem Kapital und dem Personal das Angebot nur in homöopathischen Mengen Innovation beinhaltet? Überzeugt mich gerne vom Gegenteil und listet auf, wie krass innovativ bento und Co. sind. Aber bisher ist mir davon sehr wenig aufgefallen.
Und das führt mich zu den Kritiken von Lorenz Matzat und Philip Steuer: Wo sind datenjournalistische Formate? Wo sind selbstproduzierte Videos? Wo ist euer Profil, eure Haltung? Gerne mehr davon – und gerne mehr Neues.
Blablabla, du nörgelst wieder nur ohne selbst Vorschläge zu machen, könntest du jetzt denken. Genau das wurde mir nach meinen paar unbedeutenden Tweets vorgeworfen. Witzig jedoch, dass ich darin etwa den Artikel von Lorenz Matzat verlinkt habe, der sich mehr Datenvisualisierungen wünscht – ein klarer Vorschlag. Oder dass ich mit Philip Steuers Artikel hier gleich vier weitere Vorschläge verlinke. Oder dass ich mit der Aussage „Ich brauch’s nicht“ doch eigentlich sage: „Ich würde es ja gerne brauchen“ – und ihr euch dann überlegen könnt, wie ihr genau das erreichen könnt. Die Antwort auf diese Frage ist viel Arbeit – und in erster Linie euer Job. Und jetzt kommt ihr.
3. Applaus, Applaus
Zu guter Letzt noch ein paar Worte zur Unterstellung, ich hätte auf Twitter nur deshalb kritisiert, um Applaus dafür zu bekommen: Mal ganz abgesehen davon, dass ich genau das Gegenteil dafür bekommen habe, geht es mir absolut nicht um Applaus. Wäre ich auf Applaus aus, würde ich ganz andere Dinge schreiben. Wer mich kennt, weiß das. Lobe, Schleime und Schmeichle – und der Applaus ist dir sicher. Wie bereits gesagt: Ich würde ja gerne loben – aber meine Enttäuschung über das anfängliche Resultat macht das leider nicht ganz einfach. „Na dann einfach mal Fresse halten?“ Das kann doch auch nicht die Lösung sein, oder? Ich frage mich also, ab wann man so etwas kritisieren darf? Ab einer Schonfrist von einem halben Jahr? Ab dem Moment, in dem man selbst dort mitgearbeitet hat? Gar nicht?
Was mich dabei beunruhigt, ist die Tatsache, dass einige Journalisten ähnlich zu denken scheinen wie ich – aber nur sehr wenige den Mut haben, den Mund aufzumachen. (Herzlich willkommen in der Schweigespirale!) Ein Journalist, der normalerweise wahrlich nicht mit seiner Meinung hinter dem Berg hält, traut sich nicht einmal, seine Kritik öffentlich zu äußern, wie er mir sagte. Das hat mich schockiert. Sollen wir uns in Zukunft alle nur Honig ums Maul schmieren? Ich würde lieber ehrliche und aufrichtige Debatten miteinander führen. Nur das bringt einen doch voran, oder nicht?
4. Eigenkritik
Was ich jedoch daraus gelernt habe – und hier möchte ich einmal deutliche Kritik an mir selbst üben: Es wäre tatsächlich sehr viel sinnvoller gewesen, mir die paar Tweets zu sparen, da dieser Kontext für die Twitteraner natürlich nicht mit dabei steht und somit klar fehlt. Also genau das, was Journalisten eigentlich liefern sollten. Daher wollte ich das hiermit nachholen. Ich bedanke mich also bei allen kritischen Zuschriften, die mich erreicht haben und mir genau das aufgezeigt haben. Ihr habt Recht und ich hoffe, daraus gelernt zu haben.
Andreas meint
„Die Antwort auf diese Frage ist viel Arbeit – und in erster Linie euer Job“ – trifft wie ich finde einen extrem wunden Punkt, weshalb vielleicht einige auch empfindlich reagieren. Zumindest im Fall von Bento hat man soweit ich weiß ausgiebig bei Vorbildern in den USA etc. recherchiert. Vielleicht hätte man mehr Zeit damit verbringen müssen wirklich zu beobachten und befragen, was die Zielgruppe will (ich halte eine Altersgruppe übrigens aus Gründen für selten eine fassbare Zielgruppe). Auch – völlig ernst gemeint, auch wenn es lame klingt – ein Blick in die Forschungsliteratur zu dem Thema (gibt da gerade viel an Unis) hätte womöglich gelohnt. Dass es nun Kritik gibt, noch dazu aus der gewünschten Zielgruppe stellt halt schnell die Strategie in Frage. Allgemein hätte es sicher geholfen nicht erst jetzt auf die Kritiker zuzugehen (entgegen deiner Wahrnehmung sehe ich nicht nur Kritik-Kritik sondern auch den Wunsch aus dieser kritik etwas zu lernen), sondern im Vorfeld sich zu öffnen. Aber das ist ja eine allgemeine Krankheit in der Medienbranche: Jobs werden nicht ausgeschrieben. Ze.tt wurde nicht einmal vorher angekündigt, bei Bento gab es überwiegend Prakitkums-Stellen. Wer sich intern die Leute zusammen trommelt (bei byou ist es ja ein jeweiliger Jahrgang der AS Akademie) muss sich nicht wundern, wenn der widerspruch erst später von außen kommt, da man intern zusehr mit ähnlich denkenden arbeitet
JUICEDaniel meint
Vielen Dank für deine klugen Anmerkungen. Das mit dem Wunsch aus dieser Kritik etwas zu lernen mag sein – ist mir bisher wie gesagt nur nicht begegnet. Und klar habe ich keinen umfassenden Überblick und verpasse sehr viel. Genau deshalb freue ich mich ja auf eine ehrliche und konstruktive Debatte – bei der bento und Co. am Ende am meisten davon profitieren dürften, aber auch ich gerne dazulernen möchte.