Die Demonstranten am Brandenburger Tor treten wieder in den Hungerstreik. Sie fühlen sich von der Regierung nicht ernst genommen. Dabei nehmen wir sie genauso wenig ernst. Es folgt ein non-interaktives Streitgespräch zwischen dem Leser (also dir) und mir, Thilo Tiede.
Sie harren in der Kälte aus, tagelang. Die Presse jubelt und lobt ihre Tapferkeit. Die Twilight-Fans in Berlin sind zurzeit die Helden unserer Massenmedien. Natürlich haben die Fans Camps aufgeschlagen, um die begehrten Karten zu ergattern. Das Interesse am Asylbewerber-Camp dagegen geht gegen null. Die deutschen Medien berichten darüber nur verhalten, wenn überhaupt. Eigentlich sind sie uns auch egal: diese Asylbewerber. Wir mögen sie ja auch nicht wirklich. Sie sehen anders aus, sprechen unsere Sprache nicht, glauben vielleicht sogar noch an einen Gott und das schlimmste: Sie nehmen uns unsere Arbeitsplätze weg. Diese Barbaren!
Wir können nicht die ganze Welt retten
Was sagst du? Du bist doch nicht ausländerfeindlich? Tut mir leid, ich sollte dir wirklich nicht solche Gedanken unterstellen. Du denkst doch sicherlich nur, dass wir eben nicht die ganze Welt retten können. Würden wir jeden Asylbewerber aufnehmen, dann bräche unser Sozialsystem schneller zusammen als die Umfrage-Ergebnisse von Phillip Rösler. Damit hast du vermutlich sogar Recht. Aber dürfen wir deswegen den blinden und taubstummen Affen spielen? Wir sollten uns doch zumindest mit dem Thema auseinander setzen und uns die Lebenssituation derer anschauen, die mit Hoffnungen in unser Land kommen.
Ich habe ein Asylantenheim in Sachsen gesehen. Verrostete Baracken, Sanitäranlagen unter aller Sau, die Lage weit weg vom Schuss (Deutsche leben anscheinend nicht gern in Nähe von Asylheimen – oder andersherum?). Dabei bekam dieses Asylheim noch eine gute Note, in anderen Teilen Deutschland sieht es noch viel schlimmer aus. Keine Matratzen, 100 Mann teilen sich eine Dusche etc. „Die Menschenwürde ist unantastbar“, heißt es im Grundgesetz. „Nicht in Deutschland“, denke ich mir.
Keine Struktur, keine Arbeit, kein Leben
Dabei ist noch nicht einmal die miserable Unterkunft das größte Problem. Es ist das komplette Fehlen eines strukturierten Tagesablaufs, das Verbot arbeiten zu dürfen und sich in Deutschland frei bewegen zu können. Es gibt kaum Betreuung, kaum Sprachunterricht. Sie kommen nach Deutschland und in ihrem Leben wird einfach die Pause-Taste gedrückt – und das über Jahre hinweg. Asylbewerber haben oft keine andere Wahl, als in den Heimen zu gammeln, um dann abgeschoben zu werden.
In gerade einmal 1,5 Prozent der Fälle werden Anträge auf Asyl bewilligt. Menschen aus Schurkenstaaten wie dem Iran, das die Bundeskanzlerin und die Medien regelmäßig wegen Menschenrechtsverletzungen öffentlich anklagen, müssen erstaunlich lange warten und werden meist auch wieder abgeschoben.
Mach dich schlau
Ich verlange von dir gar nicht, dass du sofort für die Rechte der Asylbewerber demonstrieren gehst, deinem Abgeordneten schreibst oder gar dein Wahlverhalten änderst (wie verrückt wäre das denn?). Ich will nur, dass du dich mit dem Thema auseinandersetzt und dich darüber informierst. Wenn du danach immer noch sagst, dass du es mit deinem Gewissen vereinbaren kannst, wie wir Neuankömmlinge behandeln, dann will ich nichts gesagt haben.
Ansonsten müssen wir darüber ernsthaft nachdenken und diskutieren, was im Asylrecht geändert werden muss. Es ist natürlich bequemer, einfach wegzuschauen und das Thema weiterhin zu ignorieren. Aber ich glaube, wenn wir fest zusammen arbeiten, dann können wir … Was hast du gesagt? Der Tatort geht gleich los? Hmm, ich wollte ja heute auch noch ins Kino. Der neue Twilight soll echt gut sein. Naja, dann machen wir das halt ein anderes Mal.
Aber hey, wenn wieder irgendwo ein paar Nazis gesichtet werden, dann gehen wir auf jeden Fall auf die Straße. Gegen Rassismus und für Toleranz und so! Okaaay?
Dein Thilo Tiede
Dieser Beitrag ist zuerst auf Thilo Tiedes Blog erschienen.
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