Vor wenigen Wochen habe ich die Tagesschau neu für mich entdeckt. Nach langer Abstinenz warte ich nun brav, bis die 20 Uhr-Nachrichten gegen 20.45 Uhr auf tagesschau.de veröffentlicht werden – oder schalte manchmal sogar bei Zattoo in den Livestream der ARD.
Nun mag das für den ein oder anderen vielleicht verwunderlich klingen: Ein 26-Jähriger, der plötzlich Tagesschau schaut? Und auch noch mag? Was ist da los? Nein, die Antwort lautet nicht Judith Rakers – auch wenn das ein durchaus plausibler Grund wäre. Was mir an dem 15-minütigen Tagesschau-Format gefällt, ist der kompakte und visuelle Überblick über die aktuellen Geschehnisse des Tages. Warum auch nicht?
Zugegeben: Wenn man ein bis drei Mal am Tag auf Zeit.de und anderen Nachrichtenseiten rauf und runter scrollt, erfährt man am Abend in der Tagesschau nicht viel Neues. Erschreckend also, wie dürftig der Informationsgehalt der Tagesschau ist. Warum also 15 Minuten meiner wertvollen Zeit für etwas verschwenden, was ich schon längst weiß? Die Antwort darauf ist eine Typenfrage. Wer mehr auf audiovisuelle Informationsvermittlung steht, ist bei der Tagesschau als Ausgangspunkt gut aufgehoben. Wer hingegen eher textlastig orientiert ist, dürfte Nachrichtenseiten bevorzugen. Da ich von den meisten Meldungen ohnehin nur den Teaser auf der Startseite lese (und nur einige wenige Artikel anklicke), kommt es am Ende also aufs Gleiche raus. Und nur weil die Tagesschau ein angestaubtes Image hat, hält es mich nicht davon ab, sie zu schauen – und gut zu finden.
Kai-Hinrich Renner schreibt auf Die Welt:
Die „Tagesschau“ steht vor ihrem 60. Geburtstag. Heutzutage wirkt das halbamtliche Verlesen von bekannten Meldungen schon etwas seltsam. Warum nicht lieber eine Stunde „Tagesthemen” um 20 Uhr?
Ich bekenne: Mir persönlich gefällt das Format sehr gut. Auch wenn die Spreche der Moderatoren eine Kunstform ist, habe ich mich daran gewöhnt. Hier habe ich das Gefühl, die Nachrichten so neutral wie möglich vermittelt zu bekommen – ohne Wertung der Moderatoren. Sicher, 100 Prozent objektiv sind die Nachrichten nie: Allein Auswahl und Reihenfolge der Meldungen sind bereits eine Wertung. Aber man merkt, dass die Moderatoren sich bemühen, ihre eigene Meinung zurückzuhalten und sachlich zu informieren. Und das ist gut so. Zumindest als Ausgangspunkt.
Am Ende seines Artikels schreibt Kai-Hinrich Renner:
Was spräche also dagegen, die „Tagesthemen“ auf eine Stunde zu verlängern und auf den Sendeplatz der „Tagesschau“ zu heben? Gewiss, das ist ein radikaler Vorschlag. Aber das Mediennutzungsverhalten der unter 40-Jährigen hat sich bereits radikal geändert. Die Macher der „Tagesschau“ täten gut daran, dies ins Kalkül zu ziehen.
Auch hier muss ich dem Autor widersprechen: Ich würde mir eine einstündige Tagesthemen-Sendung definitiv nicht anschauen, jedenfalls nicht täglich. Und dadurch dann vermutlich gar keine Nachrichten aus dem Fernsehen mehr schauen. Also lieber 15 Minuten in Kurzform als gar nicht, oder?
Hier mein Kompromiss-Vorschlag: Wie wäre es, die Tagesschau bei 15 Minuten zu belassen, aber die später folgenden Tagesthemen auf eine Stunde zu erhöhen? Denn eine Ausweitung von zwei auf drei Minuten ist in meinen Augen keine Vertiefung des Themas. Schon gar nicht, wenn man in den Tagesthemen dann lediglich drei weitere O-Töne hört, die das gleiche nochmal in anderen Worten sagen – und der Rest identisch mit dem Beitrag aus der Tagesschau ist. Das fände ich als zusätzliches Angebot sinnvoll – und würde mir dann die Hintergrundberichte bei ausgewählten Themen tatsächlich auch anschauen. Denn auf tagesschau.de bin ich aufgrund des Hinweises in der Tagesschau noch nie gegangen. Und hier stimme ich Kai-Hinrich Renner zu:
Für Analyse und Hintergrund sind sogenannte Lean-Back-Medien viel besser geeignet wie etwa Zeitungen, Zeitschriften, Tablet-PCs, aber eben auch das gute alte Fernsehen.
Heute um 19 Uhr erscheint übrigens die Sondersendung zum „60. Jahrestag der Erstausstrahlung der ‚Tagesschau‘“ im Ersten. Einschalten werde ich nicht – und das, obwohl Judith Rakers moderieren wird.
Bleibt mir nur die Fragen: Schaut ihr Tagesschau? Wenn ja, wie häufig und was haltet ihr davon? Wenn nein, warum nicht?
David Decker meint
Ich schaue schon lange keine Fernsehnachrichten mehr – wozu auch? Ist immer derselbe Aufguss, und ich bin der Auswahl/ Manipulation der „Macher“ ausgeliefert. Von der oft einseitigen Interpretation unserer Zwangsgebühren-Fernsehanstalten ganz zu schweigen.
JUICEDaniel meint
Zugegeben: Wenn ich mal eine Woche keine Tagesschau schaue und dann wieder einschalte, denke ich jedes Mal: „Absolut nichts verpasst.“ Aber das geht mir allgemein mit den tagesaktuellen Nachrichten so, auch im Netz.
Und was die Auswahl/Manipulation anbelangt: Nicht jede Auswahl ist gleich eine (bewusste/böswillige) Manipulation. Aber ja, manchmal wundert es mich schon, welche deutschen Themen dann afrikanischen Krisenherden vorgezogen werden (z.B. Bundesliga und Lottozahlen vs. Hutu & Tutsi in Kongo/Ruanda).
Was mich noch interessieren würde: Von wo beziehst du denn die (unmanipulierten) Nachrichten?
David Decker meint
Im Prinzip gar nicht. Mir fehlt die Zeit, so einfach ist das. Außerdem macht es mich destruktiv, mal zwei Tage lang die ganzen Meldungen reinzuziehen (egal, in welchem Format). Für den Kurzüberblick höre ich bisweilen Radio-Nachrichten bzw. scrolle mal den Feedreader durch :)
Speziell die öffentlich-rechtlichen Anstalten „manipulieren“ teilweise sehr stark. Es ist ja die Kunst des Auslassens und Umstellens, die „gewünschte Ergebnisse“ bringt. Journalistische Grundsätze, dass man auch die Gegenseite fair darstellt, scheinen immer weniger zu zählen. Wir erleben großteils einen Kampagnen-Journalismus, der im Kern von „Political Correctness“ gepolt ist.
Wenn man mal eine DPA-Originalmeldung sieht und dann sieht, dass die ganzen großen Leitmedien fast dasselbe draus machen, fragt man sich, was die „Meldungseinsteller“ so den ganzen Tag eigentlich machen?
Und bei irgendwelchen großen Ereignissen erleben wir immer mehr „Gleichschalterei“ — war ja nicht nur rund um den 11. September so. Auch die Syrien-Berichterstattung etwa, oder davor Lybien, läßt extrem zu wünschen übrig.
Beim Thema NPD-Verbotsverfahren, scheint sich die übergroße Mehrheit der Medien nur von ihrem persönlichen Wunschdenken (d.h. Verbot/ „Ausschaltung“) leiten zu lassen. Das interessiert mich aber als Bürger nicht, wie das irgendein Journalist oder Chefredakteur beurteilt. Ich will die Infos haben, die es mir ermöglichen, selbst eine Meinung zu bilden.
Ich brauche diese ganzen Medien nicht, wenn sie meinen, mir das Denken und Interpretieren abnehmen zu müssen.
Es geht ja schon im lokalen Bereich los: Was da teilweise von Stadtratssitzungen oder Kreistagssitzungen frei erfunden wird – ohne das jemand vom Medium anwesend war – ist eine Frechheit! Die lassen sich von Behördenmitarbeitern vor oder nach der Sitzung die Vorlagen geben und mutmaßen dann fröhlich drauf los… Wären sie mal bei einer Sitzung dabei, würden sie ganz andere Dinge erleben! — Oft habe ich den Eindruck, auf der „großen Bühne“ ist es nur noch schlimmer.
noch ein Markus meint
@ David Decker: ich bin mir gerade nicht so sicher ob die Nicht- öffentlich-rechtlichen Medien weniger manipulativ sind.
die 20.00 Uhr Tagesschau ist tatsächlich auch eine der wenigen TV-Sendungen die ich mir bewusst ansehe, auch wegen des kompakten Formats und der relativ umfassenden Informationen.
David Decker meint
Sicherlich.
Ich meine nur, uns wird ja immer überall erzählt, dass die öffentlich-rechtlichen Anbieter die „Qualitätsmedien“ wären. Für mich ist da kaum ein Unterschied erkennbar. Wenn man mal eine 10-20-minütige Nachrichtensendung hernimmt…
Rolf Krüger meint
Früher habe ich überwiegend „heute“ geguckt. Die Tagesschau habe ich seit der Tagesschau-App für mich entdeckt. Mit kleinen Kindern guckt man weder um 7 noch um 8 Nachrichten – sondern dann, wenn Zeit ist. Dass die Tagesschau so schnell war, aufs iPhone zu kommen und sich auch noch gegen die Krallen der Verleger behauptetet hat, das hat mich beeindruckt,
Da das ZDF bis dato keine News-App zustande gebracht hat (und heute.de seit dem Relaunch nicht mehr zu gebrauchen ist) zieht mich zur Zeit eigentlich nachrichtenmäßig nichts mehr zum ZDF.
JUICEDaniel meint
@ David Decker: Das Angebot der Öffentlich-rechtlichen finde ich trotz aller Kritik noch deutlich besser als das der Privatsender. Und denk nur an das Radio: Hier leistet das Ö-r hervorragende Arbeit, wie ich finde.
Um auf die Tagesschau zu kommen: Mir ist keine bessere Nachrichtensendung bekannt als die Tagesschau. Peter Kloeppel & Co. mag vielleicht unterhaltsamer sein, aber sicher nicht sinnvoller im Sinne von relevanten Informationen.
@ Rolf Krüger: „Heute“ habe ich nur ganz selten geguckt. Als das neue Studio mit dem viel zu großen Tisch eingeführt wurde – da hab ich mal eingeschaltet. Ansonsten meistens nur in der Halbzeitpause von WM- und EM-Spielen ;)