Öko-Lobbyisten wettern gegen das geplante EU-Saatgutrecht. Die EU-Skepsis dient als fruchtbarer Boden und die Medien bieten sich als Mikrofonhalter an.
Das europäische Saatgutrecht ist für gewöhnlich ein Thema für das sich die Deutschen – gelinde gesagt – wenig begeistern können. Doch in den letzten Wochen versetzte auch dieses Thema die deutsche Seele in Angst und Schrecken. Das Hamburger Abendblatt titelte: „EU-Verordnung bedroht Obstvielfalt im Alten Land„. Die Süddeutsche beobachtet einen „Aufstand gegen die Saatgut-Lobby“ und der österreichische Sender ORF kann von einem „Jahrelangen Lobbying der Agrarkonzerne“ berichten.
Der Kampf um unsere Teller
Der Tenor in allen Artikeln: Die EU-Kommission plane mit dem neuen Gesetzes-Entwurf am 6. Mai, die Artenvielfalt drastisch einzuschränken – zu Lasten der Öko-Bauern und zugunsten der großen Saatgut-Konzerne. Noch schlimmer: Jahrhunderte-alte Saatgutsorten werden faktisch verboten und Kleingärtner dürfen nicht einmal Saatgut verschenken. In Zukunft bestimmt dann eine Handvoll Konzerne, was in Zukunft auf unsere Teller kommt, so das Schreckensszenario, das die Medien zeichnen. Das macht natürlich Angst und weckt Emotionen.
Unerwähnt bleibt meist, dass gewerbliche Samensorten schon jetzt registriert werden müssen. Das bestimmt eine bisherige EU-Richtlinie, die nun in eine EU-Verordnung umgewandelt werden soll: „Dadurch werden aus 27 Nationalgesetzen eine Verordnung und vereinfache womöglich den Registrierungsprozess für neue Samensorten“, meint der europäische Abgeordnete und Mitglied des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, Peter Jahr (EVP)auf Anfrage von JUICED.de.
Zweifelhafte Quellen
Doch ein möglicher Bürokratie-Abbau wird von den Medien kaum erwähnt. Sie schwimmen lieber auf der Empörungswelle mit und schreiben den beiden Umwelt-NGOs Arche Noah und Global2000 größtenteils nach dem Mund. Stimmen aus dem Gegenlager kommen erst gar nicht zu Wort, nur Politiker, die sich anscheinend profitieren wollen: So empört sich auch Niedersachsens Agrarminister Christian Meyer (Grüne) lautstark und erklärt: „Es darf nicht sein, dass man nur noch drei oder vier Apfel- oder etwa Kartoffelsorten im Supermarkt kaufen kann.“
Die Empörung der Medien und der Politiker wirkt noch rätselhafter, wenn man bedenkt, dass es sich dabei lediglich um einen Gesetzesentwurf handelt, der selber noch gar nicht verabschiedet wurde. Erst am Montag soll der Entwurf von der Kommission vorgestellt werden. Dieser kann dann aber noch in einem langen Hin und Her zwischen dem europäischen Parlament und den Ministern der Mitgliedsstaaten verändert oder abgelehnt werden. Auch die Quellenangaben klingen mehr als zweifelhaft. Viel zu oft heißt es: „es sickerte durch“ oder „Insider berichten“. Aber auch der Gesetzes-VOR-entwurf, auf den sich die Medien beziehen, lag vielen Redaktionen anscheinend gar nicht vor. (heise.de berichtete)
So wundert sich auch Peter Jahr über die frühe Protestwelle: „Eine Diskussion über dieses Thema ohne Kenntnis des endgültigen Vorschlages erscheint wenig zielführend.“ Doch auch die EU-Kommission versucht zu beruhigen. Vergangene Woche brachte sie eine Pressemitteilung heraus, in der es heißt: „Für Kleinstunternehmen jedoch wird es Ausnahmen geben, um für sie die administrativen Hürden und Kosten zu minimieren. […] Auch für alte Sorten sollen schwächere Regeln gelten. Aus Transparenzgründen muss dieses Saatgut zwar auch registriert werden, allerdings in einfacher Form und auf der Grundlage von historischen Daten und praktischer Erfahrung. Tests sind nicht vorgesehen.“
Suche: Gut recherchierten, ausgewogenen Journalismus
Die Süddeutsche hat diese versöhnlichen Worte zwar zur Kenntnis genommen, wischt sie aber mit einer Leichtigkeit zur Seite: „Eine Entwarnung ist das aber noch lange nicht, denn an einer Verschärfung der Regeln für Landwirte und Gartenbaubetriebe hält die Kommission fest.“ Wie soll diese Verschärfung aber aussehen? Eine Frage, die uns die Süddeutsche und die anderen Medien schuldig bleiben. Das scheint aber vielen Lesern auch egal zu sein. Auf den Kommentarfeldern wird von hunderten Lesern das alte Lied über Monopolisierung, unfähigen Politikern und dem profitgeilen Lobbyismus gesungen. Dass sie selber Opfer der Öko-Lobby wurden, hat kaum Jemand registriert.
Dabei möchte ich hier nicht falsch verstanden werden: Auf der EU-Ebene wurden bereits mehrere Gesetze verabschiedet, die ganz im Sinne der Industrie waren (Beispiel: Energiesparlampen). Nicht ganz zu Unrecht wird Lobbyismus als die fünfte Macht im Staat bezeichnet. Unsere Medien füllen aber hier ihre Rolle als Mikrofonhalter perfekt aus. Weder decken sie die Handlungen der Agrarlobby glaubhaft auf, noch hinterfragen sie die Pressemitteilungen der Öko-Lobby. Ich möchte bei meiner Meinungsbildung nicht abhängig sein von der Stimmungsmache einzelner Lobbygruppen, sondern auf fundierten und gut recherchierten Journalismus zurückgreifen können.
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