Manch einer macht erst im Ausland die ganz große Karriere: Die Ballsportart Cricket wurde in Indien zur Nummer eins. Ursprünglich kommt sie aus England, gerät dort jedoch immer mehr in Vergessenheit.
Cricket ist wie Bollywood: Jeder Inder ist verrückt danach und der Rest der Welt kratzt sich etwas ratlos am Kopf. Es flimmert stundenlang über die Bildschirme in indischen Wohnzimmern. In den Jugendzimmern hängen die Poster der gerade angesagten Publikumslieblinge wie Imran Khan oder Shoaib Akhtar.
In Deutschland hingegen ist Cricket nur ein kleines Blümchen an der Mauer zum Fußballplatz. Obwohl Deutschland sogar über ein eigenes Nationalteam verfügt, ist der Sport in der Bevölkerung kaum bekannt. So stammen 80 Prozent der Mitglieder des Cricket Clubs in Frankfurt aus Indien oder Pakistan, wie Salim Khan, der Vorsitzende des Vereins, erzählt.
Einmal die Woche trainieren die Frankfurter Cricketfans auf ihrem Spielfeld in Frankfurt-Ginnheim. Der Cricket Club Frankfurt ist neben Hamburg und Berlin einer der wenigen deutschen Clubs, die einen richtigen Cricketplatz mit Kunstrasen besitzen. Viele Vereine müssen sich mit einem Fußballplatz behelfen – benötigt wird aber ein Platz in doppelter Größe. Da sich Cricket nur sehr schlecht in einer Halle spielen lässt, wird im Winter nicht trainiert.
Ursprünglich kommt Cricket aus England. Schafhirten erfanden es im 13. Jahrhundert zum Zeitvertreib. Im 18. Jahrhundert ernannten die Engländer es zum Nationalsport. Damals war es vor allem der englische Adel, der sich an dem Spiel erfreute. Mit der Kolonialisierung brachten die Engländer es nach Südasien. In den Ländern des British Commonwealth wie Barbados, Australien, Bangladesch oder Sri Lanka erfreut es sich noch heute großer Beliebtheit. In England hingegen ist Cricket nur noch die Nummer zwei. Fußball regiert die Köpfe und Herzen der Inselbewohner.
Heute noch ist es in Indien ein besonderes Ereignis, wenn die ehemaligen englischen Kolonialherren gegen die indische Nationalmannschaft spielen. „Wenn in Indien ein wichtiges Spiel stattfindet, kommt das ganze Land zum Stillstand“, erzählt Salim Khan. „Die Leute gehen nicht mehr zur Arbeit und machen blau.“ Dabei müsse man ein guter Verlierer sein. Denn ein falscher Wurf kann beim Cricket schon über das ganze Glück eines Spielers bestimmen. Mehrere Chancen wie beim Fußball gibt es nicht. „Da wartet der Spieler einen Monat auf seinen großen Auftritt und dann vermasselt er es in einer Sekunde“, so der 58-jährige Banker.
Das größte Stadion Indiens steht in Kalkutta, nennt sich „Eden Gardens“ und bietet 130.000 Stehplätze – ein Paradies für Cricketfans. „Bei Nationalspielen würde am liebsten das ganze Volk gucken“, sagt Salim Khan, „aber ein Stadion für eine Milliarde Menschen gibt es halt nicht.“ Stehen ist allerdings nicht die beste Idee beim Cricket. Ein Spiel dauert für gewöhnlich neun Stunden. Oft ziehen sich die Durchgänge bis zu fünf Tage hin. Amerikanische Ehefrauen sollen schon ausgerufen haben, Cricket zu schauen sei wie dem Gras beim Wachsen zu zusehen. Salim Khan nennt es den familienunfreundlichsten Sport überhaupt. „Die Männer sind dann tagelang weg, um sich gemeinsam das Spiel anzusehen.“
Wenn die Heimmannschaft „Kolkata Knight Riders“ im „Eden Gardens“ spielt, strömen die Fans in Scharen in das ovale Stadion. Da wird das Essen ausgepackt und den Spielern entgegen gejubelt. Die beiden Mannschaften werfen eine Münze, um zu entscheiden, wer als erste die Feldmannschaft stellen und mit allen elf Spielern auf den Platz darf. Die andere Mannschaft darf nur mit zwei Schlagmännern aufs Feld. Die Schlagmänner tragen Helm, Gesichtsmaske und schwere Schützer an den Beinen und sie würden alles tun, um mit dem Schlagholz den Ball abzufangen und die Feldmannschaft vor einem Tor zu bewahren.
Wird das Tor getroffen, wird der Schlagmann ausgewechselt – so lange, bis alle Spieler diese Aufgabe übernommen haben. Für Außenstehende sind die vielen Regeln nur schwer zu durchblicken. „Man muss damit aufgewachsen sein, um das Spiel zu verstehen“, sagt Syed Ghayur Abbas, der in Frankfurt am Main ein indisches Restaurant betreibt. Cricket sei wie ein Schachspiel, sagt Syed Ghayur Abbas, der leidenschaftlich gerne Cricket spielt. „Es dauert lange und man muss gute Züge zeigen.“ Es sei vor allem Intelligenz gefragt um den Gegner zu verwirren, anstatt wie ein Pitbull hinter dem Fußball her zu rennen. So etwas wie Hooligans gebe es beim Cricket auch nicht. „Es ist ein Sport für Gentlemen“, sagt er. Eine Cricketausrüstung für einen Spieler kann schnell 1000 Euro kosten und deshalb ist Cricket eigentlich eine gehobenere Sportart. Doch die Kinder auf den Straßen Indiens und Pakistans trainieren fröhlich mit Tennisbällen. Denn bei der Begeisterung für Cricket gibt es keine Unterschiede – ob arm oder reich, Hindu oder Moslem.
Indische Topspieler werden als Idole verehrt, verdienen eine Menge Geld und bei Siegen kommen Tausende von Menschen auf die Straße, um sie zu feiern. „Sie werden wie Götter behandelt“, erzählt Salim Khan. In Pakistan ist es Imran Khan, der als Nationalheld gilt. Er führte 1992 als Kapitän Pakistan zum Sieg im Cricket World Cup. Anschließend heiratete er eine englische Milliardärstochter und gründete eine eigene politische Partei.
„Bollywood- und Cricketspieler haben den gleichen Status“, sagt Salim Khan. Da ist es keine große Überraschung zu erfahren, wer einen Anteil an der erfolgreichen Mannschaft „Kolkata Knight Riders“ besitzt. Es ist Sha Rukh Khan – der bekannteste Bollywoodstar der Welt.
Text: Beatrice Tzschentke und Jennifer Warzecha
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